Wie hätte ich reagieren sollen?

Heute mal wieder die Erfahrungen eines Lesers in einer alltäglichen Situation, verbunden mit einigen Fragen. Vielleicht hat ja der eine oder andere Lust, in den Kommentaren zu antworten. Der Leser schreibt:

Ich beobachtete, wie ein Mann mit Rucksack und mehreren Schachteln in seinen Händen von einem Einkaufszentrum kommend über die Straße rannte. Verfolgt wurde er dabei von einem zweiten Mann, der nicht so aussah, als sei er von der Polizei.

Die Verfolgung endete an einem Zaun, wobei der Verfolger den Verfolgten ziemlich ruppig stoppte und gegen den Zaun warf. Er hielt ihn darauf hin fest, indem er ihn mit einem Griff ins Genick vornüber beugte und dabei seinen Rucksack festhielt. Darauf führte er ihn ab über die Straße zurück zu dem Einkaufszentrum, von wo, ich vermute, die Sache ihren Anfang nahm. Diesen Anfang habe ich nicht direkt mitbekommen und kann nur Vermutungen darüber anstellen.

Sie stoppten noch einmal kurz, wobei der Verfolger, noch immer sein "Opfer" festhaltend, etwas vom Boden aufhob, was wohl vor kurzem
heruntergefallen war. Dies alles nahm ich im Vorbeigehen wahr. Ich kam ziemlich nahe an den beiden vorbei, als der Verfolger sein Opfer wieder zurück über die Straße dirigierte.

Auf meine Frage, "Darf ich fragen worum es hier geht?" antwortete dieser nur knapp mit "Nix.". Der Festgehaltene sagte nichts. Ich sah den beiden noch eine Weile hinterher, ging dann aber weiter. Der Verfolger schien ziemlich kräftig zu sein, breite Schultern und muskulös. Glattrasierter Schädel, Oberlippenbart.

Meine Fragen sind: War das rechtmäßig? Kann man einen des Ladendiebstahls Verdächtigen außerhalb des "Tatorts" noch festhalten? Und wenn nicht, wie hätte ich besser reagieren sollen? Kann ich jetzt noch etwas tun?

“Sollte mir bei der Operation etwas zustoßen”

An ein Testament denken Menschen mitunter erst spät. Oftmals geschieht dies im hohen Alter, vor gefährlichen Operationen oder langen Reisen. Verläuft die Operation dann gut oder stürzt das Flugzeug nicht ab, stellt sich die Frage, ob das Testament auch noch viel später gültig ist. Das Oberlandesgericht München hatte einen solchen Fall zu entscheiden, auf den die Arbeitsgemeinschaft Erbrecht im Deutschen AnwaltVerein hinweist.

Der Erblasser war nicht verheiratet und hatte keine Kinder, allerdings sechs Cousins und Cousinen. Er lebte rund 40 Jahre mit seiner Lebensgefährtin zusammen. Vor einer Gallensteinoperation im Jahre 1983 verfasste er im Krankenhaus ein Testament. Er schrieb: „Sollte mir bei der Gallenoperation etwas zustoßen“ und setzte dann seine Lebensgefährtin als Erbin ein.

Die Operation verlief jedoch gut; der Mann starb erst 27 Jahre später. Die Lebensgefährtin beantragte die Ausstellung eines Erbscheins als Alleinerbin. Es ging um zwei Sparbücher und ein Baugrundstück. Die Verwandten meinten jedoch, das Testament sei nur für den Fall verfasst, dass der Erblasser im Rahmen der Gallenoperation verstorben wäre. Das Nachlassgericht folgte der Argumentation und verweigerte der Lebensgefährtin den Erbschein.

Die Beschwerde der Frau beim Oberlandesgericht war erfolgreich. Mit dem Testament von 1983 habe ihr Lebensgefährte die Erbfolge nicht allein auf die Umstände der Operation beschränkt, sondern generell seine Lebenspartnerin als Alleinerbin eingesetzt. Dafür spreche, so die Richter, schon einmal, dass er das Testament von 1983 nicht widerrufen oder ein neues verfasst habe.

Bei der Formulierung solcher Testamente sei die Operation außerdem nur Anlass, nicht jedoch die Bedingung. Auch das Aufsetzen des Testaments erst im Krankenhaus lasse keinen anderen Schluss zu, sondern weise lediglich darauf hin, dass die Operation der – nachvollziehbare – Beweggrund für die Errichtung des Testaments sei.

Beschluss des Oberlandesgerichts München vom 15. Mai 2012, Aktenzeichen 31 Wx 244/11

BGH senkt den Daumen über Bremer Strafrichter

Es kommt selten vor, dass der Bundesgerichtshof einem untergeordneten Gericht insgesamt sein Misstrauen ausspricht. Im Fall des Polizeiarztes, der im Jahr 2005 durch einen Brechmitteleinsatz den Tod eines 35 Jahre alten Mannes verursachte, geschieht dies aber.

Die Karlsruher Richter bedauern in ihrer Entscheidung ausdrücklich, dass sie die Sache erneut an das Landgericht Bremen zurückgeben müssen – einfach, weil es in dem Stadtstaat kein weiteres Landgericht gibt. Eine Verweisung an ein Landgericht in einem anderen Bundesland lässt die Strafprozessordnung nicht zu.

Zwei Mal hat das Landgericht Bremen den Polizeiarzt freigesprochen. Zum zweiten Mal hat der Bundesgerichtshof das Urteil nun aufgehoben. Nicht nur bei ihrem Bedauern, wieder die Bremer Richter mit der Sache betrauen zu müssen, finden die Karlsruher Richter deutliche Worte der Kritik.

Die Bremer Strafrichter müssen sich “haltlose Unterstellungen zugunsten des Angeklagten” vorwerfen lassen. Sie haben es nach Auffassung des Bundesgerichtshofs außerdem unterlassen, “gebotene zwingende Folgerungen … zu ziehen”. Mit anderen Worten: Auch der zweite Freispruch für den Polizeiarzt war von vornherein so gewünscht, und dementsprechend hat das Landgericht sich die Begründung hingebastelt.

In der Tat zeigt der Bundesgerichtshof gravierende Mängel des Urteils auf. So gestehe das Landgericht Bremen dem Polizeiarzt zu, er habe nicht mit dem Tode des Patienten rechnen müssen. Und das, obwohl der Mann durch einen ersten Brechmitteleinsatz bereits erkenbar so angegriffen war, dass der Polizeiarzt sogar den Notarzt gerufen hatte.

Nachdem der Notarzt den Betroffenen mit Medikamenten und Sauerstof stabilisiert hatte, setzte der Polizeiarzt den Brechmitteleinsatz fort. Dabei bat er den Notarzt, die weitere “Behandlung” abzuwarten. Aus dem Rettungswagen ließ sich der Polizeiarzt dann sogar einen Spatel bringen. Die anwesenden Polizisten veranlasste er, unter erheblicher Gewalteinwirkung den Mund des 35-Jährigen zu öffnen. Mit dem Spatel löste er dann manuell den Brechreiz aus. Bei dieser Behandlung kollabierte der Mann und verstarb.

Das Landgericht Bremen sah darin ein “multifaktorielles Geschehen”, bei dem der Polizeiarzt nicht mit dem Tod des Betroffenen rechnen musste. Diese Auffassung bezeichnet der Bundesgerichtshof, zusammengefasst, als Nonsens. Schon der Umstand, dass der Polizeiarzt den Notarzt alarmierte, belege ein Bewusstsein von der Gefährlichkeit der Situation. Auch die Bitte an den Notarzt, für alle Fälle zu bleiben, deute nicht gerade darauf hin, dass der – erfahrene – Polizeiarzt die Sache als harmlos einstufte.

Spätestens die gewaltsame Auslösung des Brechreizes habe aber eindeutig zu einer lebensgefährlichen Situation geführt. Der Bundesgerichtshof nennt dieses Vorgehen schlicht menschenunwürdig. Der Polizeiarzt habe es auf jeden Fall versäumt, das erkennbare Risiko abzuklären. Er habe sich stattdessen für einen nicht beherrschten medizinischen Eingriff entschieden. Selbst ein bislang unentdeckter Herzfehler des Betroffenen könne angesichts dessen nicht dazu führen, das Geschehen als “Unglück” einzustufen.

Nun wird erneut eine Schwurgerichtskammer am Landgericht Bremen über den Fall entscheiden müssen. Der Bundesgerichtshof betont in seiner Entscheidung mehrmals, dass sich die jetzt zuständigen Richter an die rechtlichen Vorgaben aus Karlsruhe halten müssen. Aber das hätten sie auch schon bei dem jetzt aufgehobenen Urteil tun müssen.   

Brechmitteleinsätze hat der Europäische Menschenrechtsgerichtshof mittlerweile insgesamt als Folter eingestuft und für unzulässig erklärt. Die deutsche Polizei muss nun in der Regel warten, bis verschluckte Gegenstände auf natürlichem Weg den Körper eines Verdächtigen verlassen. 

Urteil des Bundesgerichtshofs vom 20. Juni 2012, Aktenzeichen 5 StR 536/11

Keine Reisekosten für Gerichtstouristen

Der fliegende Gerichtsstand ist und bleibt ein Ärgernis. Er ermöglicht es Klägern in vielen Fällen, sich ein genehmes Gericht auszusuchen. Wobei es dann oft zu der paradoxen Situation kommt, dass weder die Prozessparteien noch die Anwälte ihren Sitz am gewählten Gericht haben.

Das Amtsgericht München macht nun einen kleinen Vorstoß, um der Klägerseite die Lust am fliegenden Gerichtsstand zu nehmen. Das geschieht durch die Hintertür, über die Frage der Reisekosten. Eine englische Firma hatte einen Kieler Anwalt beauftragt, wegen einer Filesharing-Sache in München zu klagen. Da sich die Zuständigkeit des Amtsgerichts München aus dem “fliegenden Gerichtsstand” ergeben haben soll, dürfte auch der Beklagte nicht in München gewohnt haben.

Der Kieler Anwalt wollte nun seine Reisekosten erstattet erhalten. Doch dem erteilt das Amtsgericht München eine Absage. Der Kollege Dr. Martin Bahr fasst die Entscheidung so zusammen:

Die Klägerseite hätte mit ihrem Anwalt auch den Gerichtsstand Kiel oder ein Gericht zumindest in der Umgebung auswählen können, ohne dass dadurch ein Nachteil gedroht hätte. Im Zeichen der Prozessökonomie gilt das Gebot, so kostengünstig wie möglich zu prozessieren.

Dies sei im vorliegenden Fall bei den unverhältnismäßig hohen Reisekosten nicht erkennbar. Es sei nicht notwendig, den Gerichtsstand ausgerechnet am anderen Ende Deutschlands auszuwählen. Ein sachlicher Grund hierfür sei nicht erkennbar, da jeder örtliche Bezug fehle.

Immerhin eine kleine Maßnahme, um die willkürliche Wahl des Gerichtsstandes auszubremsen. Die Frage ist nur, ob die Entscheidung auch in der nächsten Instanz hält. Erst kürzlich hat sich das Landgericht Frankfurt zum fliegenden Gerichtsstand bekannt und eine Entscheidung des Amtsgerichts Frankfurt aufgehoben, die dem Gerichtstourismus Einhalt gebieten wollte.

Stadt-Chauffeur fuhr ohne Führerschein

Stefan Freitag ist Bürgermeister von Velbert. Als solcher hat er einen Fahrer. Der Chauffeur war vor drei Monaten mit dem städtischen Dienstwagen in einen Verkehrsunfall verwickelt. Eigentlich ein Bagatelldelikt – doch es gab überraschende Komplikationen.

Die Polizei ermittelte nämlich wegen Verkehrsunfallflucht. Dabei stellten die Beamten fest, dass der Fahrer des Bürgermeisters keinen Führerschein mehr hat. Und zwar schon seit sieben Jahren. Die Fahrerlaubnis war ihm nach einer Trunkenheitsfahrt entzogen worden. Bis heute hat der Chauffeur auch keinen neuen Führerschein ausgestellt erhalten.

Interessanterweise fing der städtische Mitarbeiter genau in dem Jahr, in dem er seinen Lappen verlor, als Aushilfsfahrer für die städtischen Führungskräfte an. An sich ist der Mann in einem anderen Aufgabengebiet bei der Stadtverwaltung tätig.

„Wir haben zwar“, sagt Velberts Behördensprecher Hans-Joachim Blißenbach, „die Berechtigung zum Führen des Dienstwagens überprüft. Dabei gab es aber eine organisatorische Panne.“ Nun seien aber strengere Vorschriften eingeführt, so dass sich die Panne nicht wiederholen könne.

Wie sich herausstellte, war es ausgerechnet der Fahrer des Bürgermeisters, der bei der Stadt Velbert die Berechtigung zum Führen von Dienstfahrzeugen kontrollierte – und damit auch sich selbst. Nun sollen die Kontrollen durch ein Vier-Augen-System wasserdichter gemacht werden.

Auf den städtischen Mitarbeiter kommt nun ein Gerichtsverfahren wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis zu. Die Polizei wertet derzeit die Fahrtenbücher aller Fahrzeuge aus, die der Mann für die Stadt gelenkt hat. Möglicherweise werden dem Mitarbeiter auf diesem Weg viele Einzeltaten nachzuweisen sein, die am Ende allerdings in eine einheitliche Strafe münden dürften. Den Bürgermeister fährt jedenfalls auf unabsehbare Zeit ein anderer Mitarbeiter.  (pbd)

Fotografen müssen mit Haue rechnen

Wer gegen seinen Willen rechtswidrig von Pressefotografen aufgenommen wird, darf sich dagegen wehren. Unter Umständen darf der Betroffene sogar dem Fotografen die Kamera aus der Hand schlagen oder ihn hauen. Diese, wie ich meine, spektakulären Aussagen macht das Oberlandesgericht Hamburg in einem aktuellen Beschluss.

Ein 60-Jähriger stand wegen Körperverletzung vor Gericht. Es ging um eine Keilerei unter Nachbarn, bei der auch Hunde eine Rolle spielten. Also eine alltägliche Sache. Kleinkriminalität nennt es das Oberlandesgericht Hamburg.

Schon als der Angeklagte die Treppe zum Gerichtssaal erklomm, kam ihm der Reporter einer Boulevardzeitung entgegen und drückte den Auslöser. Der Angeklagte verbat sich die Aufnahmen, doch der Fotograf knipste weiter. Der Reporter erklärte dabei, der Angeklagte können sich doch seine Tasche oder ein Blatt Papier vors Gesicht halten.

Der 60-Jährige hielt sich zunächst die Hände vors Gesicht, war dann aber über das weitere Fotografieren so erbost, dass er mit dem rechten Arm ausholte und wuchtig gegen das Kameraobjektiv schlug. In dem Augenblick des Schlags hielt der Fotograf die Kamera gerade vors Gesicht. Der Fotograf wurde durch den Schlag leicht verletzt.

Amts- und Landgericht verurteilten den Angeklagten wegen gefährlicher Körperverletzung. Das Oberlandesgericht Hamburg sieht dies anders – es billigt dem Betroffenen grundsätzlich ein Notwehrrecht gegen die unerwünschten Aufnahmen zu, in dessen Rahmen auch Gewalt ein zulässiges Mittel sein kann.

Es stellt sich natürlich zunächst die Frage, wieso die Fotoaufnahmen überhaupt unzulässig gewesen sein sollen. Das Oberlandesgericht Hamburg sieht das allgemeine Persönlichkeitsrecht des Angeklagten schon durch den Umstand verletzt, dass der Fotograf ihn überhaupt abgelichtet hat. Fotoaufnahmen von Angeklagten im Gericht seien nämlich nur zulässig, wenn das öffentliche Interesse an einer Berichterstattung überwiege. Das sei bei Fällen der Kleinkriminalität, die keine Besonderheit aufweisen, regelmäßig nicht der Fall.

Da der Angeklagte die Fotoaufnahmen nicht dulden musste, habe er ein Notwehrrecht gehabt. Dieses Notwehrrecht entfalle auch nicht dadurch, dass der Betroffene sein Gesicht hätte verdecken können. Vielmehr habe er ein Mittel wählen dürfen, welches das Fotografieren “sofort und endgültig beendete”. Die Hamburger Strafrichter stellen sich also hinter das durchaus umstrittene Konzept eines schneidigen Notwehrrechts, bei dem Verhältnismäßigkeit allenfalls eine untergeordnete Rolle spielt. 

Die Sache wurde ans Landgericht zurückverwiesen, da dort noch nähere Umstände geklärt werden müssen. Sollte die Entscheidung jedoch Bestand haben, kann sie weit über Gerichtsflure hinaus Bedeutung erlangen. Es stellt sich dann nämlich die Frage, ob sich Menschen grundsätzlich wehren können, wenn sie gegen ihren Willen in der Öffentlichkeit fotografiert werden. Bislang ging die Tendenz eher dahin, dass nur die nicht anonymisierte Veröffentlichung so entstandener Bilder unzulässig ist.

Beschluss des Oberlandesgerichts Hamburg

Richter J. telefoniert nicht

Stellt euch vor, ihr habt eine leitenden Funktion in einem Unternehmen. Ihr seid jetzt schon einige Jahre dabei, leistet gute Arbeit und habt Aussicht, vielleicht auch mal befördert zu werden. Dann entscheidet ihr euch von einem Tag auf den anderen, nicht mehr zu telefonieren. Also mit Kunden und Geschäftspartnern. Eure Sekretärin muss allen Anrufern ausrichten, dass ihr keine Anrufe entgegennehmt, egal wie wichtig es ist, sondern nur per Mail, Fax oder Post kommuniziert.

Was würde passieren?

Die Chance auf Beförderung wäre weg. Und der Job auch, und das wahrscheinlich innerhalb weniger Tage. Oder vielleicht auch nicht. Denn es gibt tatsächlich eine Branche, in der man so eine Nummer durchziehen kann und jedenfalls seinen bisherigen Status nicht risikert. Freilich klappt das nicht bei den beliebtesten Arbeitgebern wie Google oder BMW. Nein, dazu muss man in den Staatsdienst – und Richter werden.

Ich bin heute mal wieder einem dieser – zugegeben seltenen – Richterexemplare begegnet. Das heißt, fast fast bin ich ihm begegnet, denn die nette Dame auf seiner Geschäftsstelle stellte mich ja nicht zu ihm durch. “Herr J. spricht nicht mit dem Publikum”, sagte sie. “Ich bin Prozessbevollmächtigter der Beklagten.” “Er spricht auch nicht mit Anwälten.”

Ich fragte, ob Herr J. vielleicht gerade verhindert ist. Weil er eine wichtige Sache bearbeitet, etwa. Dafür hätte ich großes Verständnis. Ich kann auch nicht immer ans Telefon, wenn ich nicht kirre werden will. “Soll ich mich später noch mal melden? Ich kann es gern morgen versuchen.” “Herr J. ist nicht im Stress, jedenfalls nicht dass ich wüsste. Er spricht einfach nicht mit Ihnen, grundsätzlich nicht.”

Irgendwie hatte ich das Gefühl, die Dame verschweigt mir was. “Ist er vielleicht hörbehindert?” “Nein.” “Stumm?” “Nein, Herr J. hat kein Handicap. Er telefoniert ja auch, zum Beispiel auf seinem privaten Handy. Aber halt nicht mit Anwälten oder Prozessparteien. Dazu hat er keine Lust.”

Richter J. verweigert also die dienstliche Kommunikation per Telefon, um sich sein Leben bequemer zu gestalten. Ich räume ein, viele werden ihn darum heftig beneiden. Insbesondere für den Umstand, dass die richterliche Freiheit in Deutschland so eine Einstellung wohl abdeckt und damit arbeitsrechtliche Konsequenzen unmöglich macht. 

Ein Richter hat ja auch keine Anwesenheitspflicht im Gerichtsgebäude. Wenn er also seinem Dienstapparat durchweg fernbleiben kann, wird man ihm auch kaum vorwerfen können, dass er nicht drangeht, selbst wenn er im Büro ist. So oder ähnlich wäre wahrscheinlich die Argumentation, mit der höhere Stellen streng nach Gesetz Beschwerden gegen J.s Blockadehaltung abschmettern würden. Und es wahrscheinlich auch schon getan haben. 

Immerhin entnahm ich dem tiefen Seufzen der Geschäftsstellenmitarbeiterin, dass nicht jeder im Gericht glücklich mit seinem Verhalten ist. “Danke, dass Sie mich nicht anbrüllen, wie das viele machen”, sagte sie. “Ich kann ja nun auch nichts dafür.”

Die Menschenwürde ist nicht relativierbar

224 Euro für den Lebensunterhalt, davon oft nur 40 Euro in bar – mit diesen Beträgen mussten Asylbewerber und deren Kinder seit rund 20 Jahren leben. Nun wird sich ihre Situation verbessern. Das Bundesverfassungsgericht hat heute geurteilt, dass von diesen Sätzen kein menschenwürdiges Leben möglich ist. Die Unterstützung muss zunächst in etwa auf das Niveau von Hartz IV angehoben werden.

Rund 130.000 Asylbewerber leben derzeit als Asylbewerber in Deutschland. Das Bundesverfassungsgericht stellt klar, dass sie keine Menschen zweiter Klasse sind. Unabhängig vom Grund ihrer Flucht müsse der Staat auch ihnen nicht nur die physische Existenz gewährleisten, sondern auch die Pflege zwischenmenschlicher Beziehungen und ein Mindestmaß an Teilhabe am gesellschaftlichen, kulturellen und politischen Leben.

Das Bundesverfassungsgericht hält es für unzulässig, wenn die Politik über niedrige Versorgungssätze für Flüchtlinge einen Abschreckungseffekt erzielen will. Die Menschenwürde, so heißt es in der Entscheidung, sei migrationspolitisch nicht relativierbar.

Die bisherigen Sätze ermöglichen nach Ansicht der Verfassungsrichter kein menschenwürdiges Leben. Und zwar offensichtlich in einem drastischen Ausmaß. Jedenfalls belässt es das Gericht nicht dabei, den Gesetzgeber nur zu einer Anhebung der Sätze für die Zukunft aufzufordern. Bis zu einer Neuberechnung erhalten Asylbewerber nun 336 Euro im Monat. Diesen Satz legt das Gericht ausdrücklich selbst fest. Daran kommt deutlich zum Ausdruck, welch dramatischen Handlungsbedarf man in Karlsruhe erkannt hat.

Ein Teil des neuen Satzes darf zwar weiter mit Gutscheinen oder Sachbezügen verrechnet werden. Jedoch müssen Asylbewerber mindestens 130 Euro in bar zur freien Verfügung erhalten. Bisher konnte der Baranteil auf bis zu 40 Euro gedrückt werden. Die neuen Sätze gelten sogar rückwirkend ab 2011, sofern Betroffene Widerspruch eingelegt oder geklagt haben.

Pressemitteilung des Gerichts mit Links zu den Beschlüssen

Handy: Nicht telefonieren darf nicht extra kosten

Wieder einmal muss sich das Büdelsdorfer Unternehmen mobilcom-debitel von einem Gericht erklären lassen, dass bestimmte Klauseln in Mobilfunkverträgen einfach nicht zulässig sind. Konkret geht es um eine Nichtnutzungsgebühr von 4,95 Euro im Monat sowie um eine “Pfandgebühr” von 9,97 Euro, sofern der Kunde die SIM-Karte nach Vertragsende nicht innerhalb von 14 Tagen zurückschickt.

Das Oberlandesgericht macht es kurz und schmerzlos. Mit der Nichtnutzungsgebühr berechne mobilcom-debitel den Kunden Kosten, ohne eine Gegenleistung zu erbringen. Die Nichtnutzung sei bereits durch die jeweils vereinbarten Paketpreise abgegolten. Die Firma dürfe ihre Kunden zwar zum Telefonieren animieren, etwa durch Preisnachlässe im Fall regen Handygebrauchs. Eine “Strafzahlung” für den Fall, dass der Kunde die Leistungen gar nicht in Anspruch nimmt, sei aber unzulässig.

Die “Pfandgebühr” für die SIM-Karte wertet das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein als völlig verkorkst. Schon sprachlich passe das nicht zusammen, weil ein Pfand ein Pfand, eine Gebühr aber eine Gebühr sei. Für den Verbraucher sei deshalb gar nicht zu erkennen, was mobilcom-debitel überhaupt will.

Entscheidend für das Gericht ist aber der Umstand, dass der Kunde nicht darüber aufgeklärt werde, ob und wie er die “Gebühr” erstattet bekommen kann. Im Prozess wies debitel-mobilcom darauf hin, die 9,97 Euro würden jedem Kunden erstattet, sofern er die Karte überhaupt zurücksendet – auch nach Ablauf der 14 Tage. Die meisten Kunden haben aber nach Meinung des Gerichts den Eindruck, ihr Geld nicht erstatte zu bekommen, selbst wenn sie die SIM-Karte später zurücksenden. Deshalb würden sie es dann auch sein lassen.

Das Oberlandesgericht Schleswig-Holstein hat die Revision zugelassen. Möglicherweise wird der Bundesgerichtshof das letzte Wort über die fragwürdigen Klauseln sprechen.

Urteil des Oberlandesgerichts Schleswig-Holstein

Teure Anrufe aus dem Urlaub

Wir haben hier im Büro einen kleinen Fall, der aber technisch interessant ist. Es geht um Roaminggebühren, also ein stetes Ärgernis für Urlauber.

Die Geschichte ergibt sich aus unserer Klageerwiderung, die ich nachfolgend einfach mal wiedergebe. Ich bin gespannt, wie die Leser die Sache einschätzen.

Unser Brief ans Gericht:

In Sachen

m. GmbH ./. K.

beantragen wir, die Klage abzuweisen.

Die Klage ist unbegründet. Der Klägerin steht der geltend gemachte Zahlungsanspruch nicht zu.

Die Parteien streiten im Ausgangspunkt um 142,40 Euro brutto. Es handelt sich um Telefongebühren, die der Beklagte angeblich verursacht haben soll, als er über die bei der Klägerin gebuchte Handynummer von Thailand aus telefoniert haben soll.

Es ist richtig, dass der Beklagte im Urlaub in Thailand über den Telefonanschluss mit seinem Handy telefoniert hat. Jedoch hat die thailändische Telefonfirma AIS, die für die Klägerin das Roaming betreibt, diese Gespräche unrechtmäßig berechnet, denn der Beklagte nutzte eine sogenannte „Calling Card“.

Im einzelnen:

Da Gespräche mit einer deutschen Handynummer in Thailand sehr teuer sind, erwarb der Beklagte eine Calling Card des Anbieters CAT. Hierbei handelt es sich um vorbezahltes Telefonguthaben.

Beweis: Kopie der Calling Card nebst Anleitung; Anlage B 1.

Das Guthaben wird abtelefoniert, indem der Nutzer in Thailand zuerst eine kostenfreie Rufnummer des Anbieters CAT anruft. Ist er mit dem Anbieter CAT verbunden, gibt der Kunde eine PIN-Nummer sowie die eigentliche Rufnummer an, die er erreichen will. Er wird dann quasi intern von CAT durchgestellt, während der Anruf bei CAT selbst kostenlos ist. Die Kosten für das eigentliche Gespräch bucht CAT vom Guthaben der Calling Card ab.

Die Zugangsnummer für den Beklagten zu CAT lautete entweder 1544 oder 001-800-84242273. Dies ist ausdrücklich so auf der Anleitung der Calling Card vermerkt, und zwar unter Ziff. 1 (mit Kreuzchen gekennzeichnet).

Die Klägerin bestätigt dies sogar selbst, wie sich aus ihrem Schreiben vom 25. Juni 2009 an den Beklagten nebst angehängtem Bericht über die Rechnungskontrolle ergibt. In der Mitte ihres Schreibens erklärt die Klägerin selbst, welche Nummern der Beklagte zu wählen hatte.

Beweis: Schreiben nebst Rechnungsprüfbericht; Anlage B 2.

Genau diese Nummern hat der Beklagte auch bei den streitigen Telefonaten von Thailand aus vorgewählt.

Beweis: Zeugnis der Ehefrau des Beklagten.

Die Ehefrau des Beklagten kann dies bezeugen, weil die Telefonate in die Heimat stets gemeinsam vom Pool aus geführt wurden. Das Display des (alten) Urlaubshandys war klein, so dass die Ehefrau des Beklagten diesem stets die Einwahlnummern von CAT, den PIN-Code und die eigentliche Rufnummer diktierte.

Keinesfalls hat der Beklagte den Rufnummern, wie nun von der Klägerin behauptet, die Landesziffer +66 vorangestellt.

Beweis: Zeugnis der Ehefrau des Beklagten.

Bei der +66 handelt es sich um die Landesvorwahl von Thailand. Es ist höchst lebensfremd, dass jemand, der in Thailand ist und per Roaming in ein thailändisches Handynetz eingebucht ist, der Telefonnummer für eine Calling-Card die Landesvorwahl voranstellt. Dies gilt umso mehr, als auf der Anleitung ja die Landesvorwahl auch keineswegs aufgeführt ist. Der Beklagte hatte also gar keinen Grund, die +66 vorzuwählen.

Unabhängig davon ist aber aus dem Rechnungsprüfbericht, der zur Anlage B 2 gehört, sehr schön zu erkennen, dass der Beklagte genau die Einwahlnummern für die Calling Card verwendet hat. Die streitigen Gespräche waren alle an die Einwahlnummern gerichtet.

120716a 

Da es sich – unstreitig – um eine kostenlose Einwahlnummern handelt, hätten diese Gespräche schlicht nicht berechnet werden dürfen.

Sollte die Klägerin bestreiten, dass die Einwahlnummern kostenlos sind, wird hierfür Beweis angetreten durch Sachverständigengutachten.

Als Beleg füge ich außerdem einen aktuellen Ausdruck der Internetseite von CAT bei. Hieraus ergibt sich, dass die schon seinerzeit verwendeten Rufnummern nach wie vor aktuell sind. Es handelt sich um kostenfreie Rufnummern, wie auf der Webseite von CAT (www.thaitelephone.com) nachzulesen ist. Das gilt auch für Anrufe von Mobiltelefonen aus.

Da der Kläger die korrekte Einwahlnummer verwendet hat, kann es sich allenfalls um ein technisches Versehen der Telekommunikationsfirma AIS handeln, mit der die Klägerin in Thailand Roaming anbietet.

Aus dem Prüfbericht ist ja auch ersichtlich, dass der Beklagte bei CAT angerufen hat. Er wurde auch ordnungsgemäß mit CAT verbunden und konnte dann seine Heimatgespräche nach dem dargelegten Prozedere führen. Diese Gespräche wurden auch der Calling Card des Beklagten entsprechend belastet.

Soweit sich die Klägerin lediglich darauf bezieht, der Beklagte habe die Ländervorwahl +66 mitgewählt, ist dies nicht zutreffend, wie unter Beweis gestellt.

Überdies kann die Verwendung einer korrekten Ländervorwahl grundsätzlich nicht dazu führen, dass sich an dem Tarif für ein Gespräch etwas ändert. Da sich der Beklagte ohnehin über den Roaming-Partner der Klägerin in ein thailändisches Mobilfunknetz eingebucht hatte, begannen alle von ihm abgehenden Gespräche ohnehin in Thailand. Die Hinzufügung der +66 wäre also allenfalls unbeachtlich, da die +66 genau in jenes Netz führte, in dem sich der Beklagte mit seinem Handy bereits befand.

Ein Anruf aus dem deutschen Handy- oder Festnetz zu der (fiktiven) Rufnummer 089/567890 in München wird ja auch nicht dadurch teurer, dass der Anrufer +4989567890 wählt, dem Anruf also die internationale Vorwahl für Deutschland voranstellt.

Beweis: Sachverständigengutachten.

Sollte dies bei dem Roaming-Partner der Klägerin anders sein, läge ein Tarifierungs- oder Softwarefehler vor. Für derart vertragswidriges Verhalten muss der Beklagte aber nicht bezahlen, da derartige Gebühren zu Unrecht berechnet würden.

Entgegen der Ansicht der Klägerin ist auch nicht der Beklagte in der Beweislast dafür, dass die Gebührenansprüche nicht entstanden sind. Vielmehr muss die Klägerin beweisen, dass der Beklagte gebührenpflichtige Gespräche geführt hat. Dies liegt zum einen daran, dass die Klägerin hier Ansprüche geltend macht, die ihr ein ausländischer Kooperationspartner mitteilt (Roaming). Hier spricht noch nicht einmal der erste Anschein für Richtigkeit der berechneten Gebühren. 

Überdies hat der Beklagte genug tatsächliche Umstände dargetan, warum die von ihm geführten Gespräche nicht gebührenpflichtig waren. In der Tat wird ja auch die Klägerin kaum unterstellen wollen, dass der Beklagte im Urlaub beim Calling-Card-Anbieter CAT einfach nur so zum Spaß anruft und absichtlich hunderte Gebühreneinheiten auflaufen lässt.

Der Klägerin stehen die Gesprächsgebühren also nicht zu. …

Hotspots dürfen anonym bleiben

Ein Telekommunikationsanbieter ist mit dem Versuch gescheitert, übers Wettbewerbsrecht anonyme Hotspots zu verbieten. Die Firma hatte einen Konkurrenten verklagt, weil dieser Hotspots anbot, für deren Nutzung sich Kunden nicht vorher identifizieren mussten. Das Landgericht München wies die Klage ab. Nach dem Urteil dürfen auch gewerbliche Anbieter anonyme WLANs  betreiben.

Die Klägerin hatte im wesentlichen argumentiert, die Identifizierung von WLAN-Nutzern sei eine gesetzliche Pflicht. Wenn sich der Mitbewerber nicht daran halte, spare er Kosten und sei für Kunden attraktiver. Er verschaffe sich dadurch einen Wettbewerbsvorteil.

Das Landgericht München I prüft in seinem Urteil alle Paragrafen durch, aus denen man eine Pflicht zur User-Identifizierung ableiten könnte. Völlig zu recht kommt das Gericht aber zu dem Ergebnis, dass es diese Pflicht gerade nicht gibt. Weil der Hotspot-Anbieter somit nicht gegen gesetzliche Vorschriften verstoße, handele er auch nicht wettbewerbswidrig.

Durch das Urteil ändert sich also nichts an dem Umstand, dass niemand in Deutschland verpflichtet ist, sein WLAN zu verschlüsseln und  dessen Nutzer namentlich zu identifizieren. Vielmehr steht es privaten wie gewerblichen Anbietern frei, ihre Netzwerke offen zu lassen.

Allerdings muss man dann auch bereit sein, die Risiken zu tragen. Ein Problem ist die Störerhaftung. Diese kann einen WLAN-Betreiber treffen, wenn seine Nutzer sich in Tauschbörsen tummeln und urheberrechtlich geschützte Filme, Musik oder E-Books tauschen. Eine andere Gefahr ist, dass über das Netzwerk Straftaten begangen werden, zum Beispiel das Runterladen von Kinderpornografie. Die Ermittlungsbehörden haben als Anknüpfungspunkt meist nur die IP-Adresse und neigen dazu, dann als ersten Schritt eine Hausdurchsuchung zu machen.

Urteil des Landgerichts München I, veröffentlicht vom Arbeitskreis Vorratsdatenspeicherung

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