Gericht schaut sich Videos nicht an

Wenn ein Arbeitgeber seine Mitarbeiter heimlich per Video überwacht, dürfen die Aufnahmen nicht als Beweis verwertet werden. Mit dieser Begründung weigerte sich das Arbeitsgericht Düsseldorf, Aufnahmen eines Brauhauses anzusehen. Mit den Bildern wollte der Arbeitgeber belegen, dass ein Mitarbeiter falsch abgerechnet hat.

Nicht jeder pauschale Verdacht auf Unterschlagung von Getränken durch in einem Brauhaus beschäftigte Arbeitnehmer rechtfertigt eine heimliche Videoüberwachung durch den Arbeitgeber, entschieden die Richter. Erst dann, wenn der Arbeitgeber aufgrund tatsächlicher, nachprüfbarer Anhaltspunkte seinen Verdacht auf bestimmte Personen sowie eine bestimmte Tat konkretisieren kann, kommt nach umfassender Interessenabwägung eine heimliche Überwachung des Arbeitsplatzes in Betracht.

Diese engen Voraussetzungen konnte das Arbeitsgericht nicht bejahen. Die Videos blieben somit außen vor, und der Arbeitgeber konnte seine Vorwürfe nicht beweisen. Der Arbeitnehmer behält zunächst seinen Arbeitsplatz.

Arbeitsgericht Düsseldorf, Aktenzeichen 11 Ca 7326/10

“Jetzt hat er sein Pulver verschossen”

Falls der nach einer spektakulären Flucht gefasste Friedrichshafener Taximörder Andrej W. Langeweile hat, kann er ja mal über Zivilprozesse nachdenken. Zum Beispiel gegen seinen Anwalt, den Pflichtverteidiger Klaus F. aus Konstanz.

W.s Anwalt hat sich gegenüber der Schwäbischen Zeitung geäußert. Zitat:

Dass Andrej W. erneut ein solcher Coup gelingt, hält der Anwalt für ausgeschlossen. Die Therapieaussichten seien extrem schlecht. „Er hat so viele Schädigungen und Traumata, dass er eigentlich nicht heilbar ist“, sagt F., und eine Heilung sei Voraussetzung dafür, dass er überhaupt in einen normalen Vollzug kommt. Für den Anwalt ist klar: „Jetzt hat er sein Pulver verschossen.“ Er werde wohl für immer in der geschlossenen Psychiatrie bleiben, das heiße: kein Kontakt nach außen, kein Fernsehen, nur eine Stunde Hofgang am Tag.

Ein Verteidiger, auch der vom Staat bezahlte, hat nur eine simple Aufgabe: Er muss die Interessen seines Mandanten wahren. Den eigenen Klienten öffentlich als geschädigt, traumatisiert und unheilbar darzustellen, gehört nicht dazu. Noch weniger die Aussage, es gebe sowieso keine Chance für den Betroffenen, dieser habe sein Pulver verschossen. Und zwischen den Zeilen quasi eigene, private Befriedigung darüber zu äußern, dass der Betroffene mit “harten” Bedingungen rechnen muss, ist unprofessionell und deutlich mehr als grenzwertig.

Selbst ein Strafverfolger oder Richter, der sich so äußert, müsste sich Fragen nach seiner Unbefangenheit gefallen lassen. Vom Verteidiger hätte ich solche Äußerungen aber für unmöglich gehalten. Bis heute.

Deshalb die Frage:

Geht es für einen Anwalt eigentlich noch geringschätziger, noch pflichtvergessener?

Und ja, es gibt eine Alternative es zur öffentlichen Demontage des eigenen Mandanten. Klappe halten.

It’s as simple as that.

Böse Leuchtzeichen

“Die Lichthupe fällt als Anzeige der Überholabsicht auf der selben Spur nun mal unter Nötigung.”

So heißt es in einem Leserkommentar zum Beitrag “Selbstgedrehte Videos kosten Führerschein”. Auch Polizeibeamte nehmen mitunter Strafanzeigen genau mit diesem Inhalt auf: Der Böse hinter mir auf der Autobahn hat mich angeblinkt; das war glasklar eine Nötigung.

Das – nachvollziehbare – Empfinden und die Rechtslage decken sich aber nicht. Die Lichthupe ist eben nicht nur ein Warnsignal oder eine Möglichkeit, Hausfassaden auf der Suche nach der richtigen Hausnummer anzuleuchten. Das bestimmt der auch bei Juristen nicht sonderlich bekannte § 5 Straßenverkehrsordnung:

Außerhalb geschlossener Ortschaften darf das Überholen durch kurze Schall- oder Leuchtzeichen angekündigt werden.

Den Vordermann kurz anzublinken ist somit zulässig. Gerichte halten stoßweises Blinken für erlaubt, sofern es sich nicht über mehr als einige Sekunden erstreckt. Sogar gegen kurzes Hupen ist nach dem Wortlaut der StVO grundsätzlich erlaubt – wenn man es sich denn traut. Voraussetzung ist aber, dass der Sicherheitsabstand zumindest leidlich eingehalten und kein entgegenkommendes Auto geblendet wird.

Wenn man das weiß, vielleicht fällt es vielleicht leichter, mal einen blinkenden Hintermann zu ertragen…

Privatsphäre ist ein Menschenrecht

Es ging um angebliche Sex-Partys des früheren Formel-1-Chefs Max Mosley. Die britische Zeitung News of the World berichtete im Jahre 2008 darüber exzessiv. Unter anderem erzählte sie den Inhalt eines mehrstündigen Videos, das Mosley bei sexuellen Aktivitäten zeigt. Die Weltpresse griff die Geschichte auf und der Ruf des Sportfunktionärs war dauerhaft beschädigt.

Was nun schon einige Zeit zurückliegt, hätte um ein Haar Auswirkungen auf die europäische Pressefreiheit gehabt. Mosley hat nämlich nicht nur in England, Deutschland und anderen Ländern erfolgreich gegen Medien geklagt, sondern sich auch an den Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte gewandt. Redaktionen, fordert er, müssten Privatleute vor der Veröffentlichung brisanter Informationen benachrichtigen. Damit sollen die Betroffenen die Möglichkeit bekommen, im Vorfeld gegen den geplanten Bericht zu klagen.

Das Ganze nennt sich “pre-notification requirement”. Ohne eine derartige Vorschrift, so Mosley, seien die Menschenrechte all jener verletzt, die sich Presseberichte über ihr Privatleben gefallen lassen müssen. Der einmal eingetretene Schaden sei auch nicht mit Schmerzensgeld zu reparieren. Seine Anwälte stützten die Klage auf Art. 8 der Europäischen Menschenrechtskonvention. Die Vorschrift schützt das Privat- und Familienleben.

Der Europäische Gerichtshof für Menschenrechte bekundet in seiner heute veröffentlichten Entscheidung durchaus Sympathie für Mosleys Sicht der Dinge. Die Richter erkennen an, dass dem Briten schwerwiegendes Unrecht widerfahren ist. Im Ergebnis wollen sie sich jedoch nicht zu einem pre-notification requirement durchringen.

Es gebe eine schier unübersehbare Zahl von möglichen Anwendungsfällen. Darunter eben auch jene, in denen ein Interesse an sofortiger Berichterstattung – im Gegensatz zum Fall Mosley- durchaus bejaht werden könne. Letztlich entscheidend für das Gericht ist aber die Sorge um einen “chilling effect”. Eine Pflicht zur Vorabbenachrichtigung beeinträchtige die Presse womöglich so stark, dass sie ihrer Funktion in einer demokratischen Gesellschaft nicht mehr nachkommen könne.

Ein pre-notfication requirement wird es also nicht geben. Jedoch stellt der Gerichtshof an mehreren Stellen klar, dass sensationsheischende, nicht durch ein öffentliches Interesse legitimierte Veröffentlichungen privater und intimer Details durchaus die Menschenrechte beeinträchtigen können. Die Entscheidung dürfte also auf jeden Fall demnächst gern von deutschen Pressekammern zitiert werden, wenn sie Verlage zu Unterlassung und Schadensersatz verurteilen.

(Internet-Law zum gleichen Thema)

Minimalbeschluss

Ich habe heute mal wieder gegen einen dürftigen Durchsuchungsbeschluss Beschwerde eingelegt:

Der Durchsuchungsbeschluss genügt nicht den minimalen Begründungsanforderungen:

a) Der Durchsuchungsbeschluss enthält keinerlei Angaben dazu, woraus sich der Tatverdacht ergeben soll. Mangels solcher Angaben ist nicht überprüfbar, woraus sich der für eine Durchsuchung zumindest erforderliche Anfangsverdacht für eine Straftat ergeben soll. Der Durchsuchungsbeschluss muss zumindest zusammenfassende Angaben darüber enthalten, auf welche Tatsachen oder tatsächliche Anhaltspunkte sich der Ermittlungsrichter bei seiner Bewertung des Tatverdachts bezieht. Dies ist schon deshalb erforderlich, weil nach ständiger Rechtsprechung bloße Vermutungen und vage Anhaltspunkte einen Anfangsverdacht regelmäßig nicht rechtfertigen können.

b) Der Durchsuchungsbeschluss enthält keinerlei Angaben darüber, ob die Verhältnismäßigkeit der Maßnahme geprüft worden ist. Bei derart schweren Grundrechtseingriffen ist es erforderlich, dass sich der Ermittlungsrichter zur Frage der Verhältnismäßigkeit äußert. Der vorliegende Durchsuchungsbeschluss lässt nicht erkennen, dass die Frage der Verhältnismäßigkeit überhaupt geprüft wurde.

Als Ursache wird es dann später wieder heißen, die Ermittlungsrichter seien halt überlastet. Wenn sie aber so arbeiten wie in diesem Fall (der kein Einzelfall ist), können wir eigentlich auch gut auf sie verzichten.

Selbstgedrehte Videos kosten Führerschein

Selbstgedrehte Raservideos kosten den Führerschein. Dies hat das Verwaltungsgericht Gelsenkirchen einem 25-Jährigen klargemacht. Der Mann hatte sich regelmäßig Sportwagen eines schwäbischen Herstellers geliehen und rasante Spritztouren unternommen, die er in selbstgedrehten Videos festhielt.

So filmte er unter anderem eine Fahrt mit 180 km/h durch die Innenstadt sowie rasante Wendemanöver und „Burnouts“ auf einer Einbahnstraße in der Nähe der Schalke-Arena. In weiteren Videos warfen die Fahrzeuginsassen Eier auf Passanten.

Rund 20 Videos stellte die Polizei im Rahmen strafrechtlicher Ermittlungen wegen anderer Tatvorwürfe auf dem PC des Klägers sicher und leitete sie an die Fahrerlaubnisbehörde weiter. Die entzog dem Kläger wegen der fehlenden charakterlichen Eignung zur Teilnahme am Straßenverkehr die Fahrerlaubnis.

Zu Recht, wie die Kammer des Verwaltungsgerichts dem Kläger in einem Erörterungstermin verdeutlichte. Allein die gefilmten Fahrten entgegen der Fahrtrichtung nach den Wendemanövern in der Einbahnstraße hätten das Flensburger Punktekonto des Klägers um mindestens 40 Punkte bereichert. Die Richter wiesen insbesondere darauf hin, dass auch Fahrten, die inzwischen womöglich verjährt sind und damit nicht mehr als Ordnungswidrigkeit geahndet werden könnten, bei der Entziehung der Fahrerlaubnis zu berücksichtigen seien. In Verfahren dieser Art ist nämlich auf die – längeren – Tilgungsfristen für die Eintragung in das Verkehrszentralregister abzustellen.

Das Verwaltungsgericht empfohl dem Mann eine verkehrspsychologische Therapie. Um seine Chancen hierbei nicht zu verschlechtern, nahm der Betroffene die Klage zurück. Das Verwaltungsgericht muss ihm nun nicht alles auch noch schriftlich geben.

Teure Familienfotos

Aus einer Anzeige:

Herr S. teilte mit, dass ihm beim Einbruch in seinen Pkw ein USB-Stick mit Familienfotos im Gesamtwert von 500.- € entwendet wurde.

Der USB-Stick war ein Kingston DataTraveler 101, der vor einem Jahr um die 15 Euro gekostet hat. Ich bin nun auf die Hauptverhandlung gegen den mutmaßlichen Dieb gespannt. Wenn’s kein anderer macht, werde ich fragen, woraus sich der stattliche Wert der Familienfotos ergibt.

Am Tatort vergesslich

Die Berliner Polizei berichtet von einem auf kuriose Weise missglückten Raub:

Zwei junge Männer hatten gegen 16 Uhr 20 eine Bäckerei in der Greifenhagener Straße betreten und den 45-jährigen Inhaber mit einem Messer bedroht. Während einer der Männer das Opfer in den hinteren Geschäftsbereich drängte, entnahm dessen Komplize Geld aus der Kasse.

Anschließend flüchtete das Duo zu Fuß in unbekannte Richtung. Nachdem die von dem unverletzt gebliebenen Opfer alarmierten Polizisten eingetroffen waren, kehrten plötzlich die Räuber zurück, weil sie ein Handy vergessen hatten. Die beiden 16 und 17 Jahre alten Jugendlichen wurden festgenommen und nach Abschluss der polizeilichen Maßnahmen ihren Eltern übergeben.

Sie sehen nun einem Ermittlungsverfahren wegen schweren Raubes entgegen.

law blog für mobile Endgeräte

Eine hoffentlich erfreuliche Nachricht für unsere Leser, die mobile Endgeräte nutzen und sich mit Browserdarstellungen und Datendrosselungen herumschlagen. Es gibt nun auch eine Mobil-Version des law blog. Der Abruf spart nicht nur Daten, auch die Texte sollten auf Handy  & Co. besser lesbar sein.

Die Mobil-Version ist unter http://m.lawblog.de/ zu erreichen.

Das Design ist noch default. Falls jemand ein schönes Theme rumliegen hat, nehmen wir das natürlich kurzfristig gerne :-). Ansonsten ist alles erst mal beta. Hinweise auf Bugs sowie  Verbesserungsvorschläge nimmt der Maschinenraum gern über lawblog@gmx.de entgegen.

Akademiker unter sich

Gastbeitrag von Paul Kemen, Pressesprecher der Polizei Aachen

Ein praktizierender Arzt und ein Rechtsanwalt sind am Dienstag in Aachen auf offener Straße zu Streithähnen mutiert, und das vor einem staunenden Publikum.

Beide waren als Autofahrer unterwegs und fuhren hintereinander. Der Vordere, in diesem Fall der Rechtsanwalt, bremste ab, weil er rechts abbiegen wollte. Dieser Vorgang dauerte dem Nachfolgenden, dem Arzt, offenbar zu lange. Jedenfalls soll der dann nach Zeugenangaben zunächst gehupt und dann versucht haben, an dem Vordermann vorbeizufahren. Der betitelte diesen dann bei herunter gelassenem Fenster als Idiot. Ferner soll der Po in seiner abfälligsten Formulierungsform erwähnt worden sein.

Diese offen vorgetragene Art der geringen Wertschätzung veranlasste beide, das sichere Gefährt zu verlassen und nunmehr die körperliche Auseinandersetzung – auf offener Straße – zu suchen. So kam es zunächst zu einem eher folgenlosen Gerangel, später zog einer dem anderen an der Krawatte, was ein zu-Boden-gehen zur Folge hatte. Die letzte Runde wurde eingeläutet, als einer der Kontrahenten hinter der kleinen Mauer eines benachbarten Grundstückes landete.

Der Rechtsanwalt klagte über Schmerzen im Nacken. Er will selbstständig einen Arzt aufsuchen. Der Arzt wiederum erlitt Schürfwunden. Er wird einen Rechtsanwalt einschalten.

“Wegsperren und Vergessen” hat keine Zukunft

Das Bundesverfassungsgericht hat heute über die Sicherungsverwahrung entschieden. Die Karlsruher Richter folgen auf dem Papier den Vorgaben des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte und erklären sämtliche Regelungen über die Sicherungsverwahrung für verfassungswidrig. Gleichzeitig ordnen sie aber nicht die sofortige Freilassung der Betroffenen an, sondern erklären die bisherigen Regelungen trotz ihrer Rechtswidrigkeit für weiter anwendbar; der Gesetzgeber muss binnen zwei Jahren die Sicherungsverwahrung auf eine neue Grundlage stellen.

Bis zum Inkrafttreten neuer Gesetze ordnet das Bundesverfassungsgericht eine Übergangsregelung an. An sich zu entlassende Straftäter dürfen trotzdem weiter verwahrt werden, wenn sie hochgradig gefährlich sind. Das muss spätestens bis Ende 2011 positiv festgestellt werden. In jedem Fall, so das Gericht weiter, muss außerdem die Verhältnismäßigkeit jeder Maßnahme “strikt” überprüft werden.

Ich bezweifle, dass die Lösung vor dem Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte Bestand hat. Der Gerichtshof hatte klipp und klar geurteilt, dass die nachträgliche, erst in der Haft angeordnete Sicherungsverwahrung unzulässig ist. Gleiches gilt für die später ausgesprochene Verlängerung über 10 Jahre, obwohl dies seinerzeit das gesetzliche Höchstmaß für die Sicherungsverwahrung war.

Bei solchen Verstößen gegen das geltende Recht (sogenannten Altfälle) kommt es nach Auffassung der Straßburger Richter gerade nicht darauf an, als wie gefährlich der Sicherungsverwahrte einzustufen ist. Sie sehen schlicht keine gesetzliche Grundlage, ihn weiter einzusperren. Dem setzt Karlsruhe nun wiederum eine doppelte Abwägung entgegen, und das ausgerechnet in Form der an sich in diesen Fällen unzulässigen Gefährlichkeitsprüfung.

Nicht ganz nachvollziehen kann ich auch, was neu an der zweiten Prüfungsstufe  ist. Eigentlich sollte man annehmen, dass bei derart drastischen Eingriffen in die Freiheitsrechte schon bislang strikt geprüft wird, ob eine Maßnahme verhältnismäßig ist. Entweder haben die Behörden bislang ihre Arbeit nicht ordentlich gemacht oder  diese Regelung läuft weitgehend leer. Mir erscheint sie wie ein reines Schaulaufen, um die Übergangsregelung etwas gehaltvoller wirken zu lassen.

Das Verfassungsgericht bleibt also seiner Linie treu, die Versäumnisse des Gesetzgebers auf dem Rücken der Sicherungsverwahrten auszutragen. Es dürfte nicht lange dauern, bis diverse Fälle wieder am Europäischen Gerichtshof für Menschenrechte landen. Dieser hat bereits in der Vergangenheit gezeigt, dass er sich nicht mürbe machen lässt und deshalb konsequent immer wieder zu Gunsten der Betroffenen entschieden. Die nächste Zurechtweisung für die deutsche Justiz liegt damit in der Luft.

Dies gilt umso mehr, als das Verfassungsgericht wortreich begründet, warum die Europäische Menschenrechtskonvention unter dem Grundgesetz steht und deutsche Gerichte nicht direkt bindet. Deutsches Recht müsse aber “völkerrechtsfreundlich” ausgelegt werden – was dann immerhin zur Verfassungswidrigkeit der geltenden Regelungen führt.

Eine gute Nachricht ist es allerdings für uns alle nicht, wenn die wichtigste Verbriefung der Menschenrechte auf europäischer Ebene nun auch offiziell auf gleicher Ebene steht wie eine EU-Verordnung oder das Bundeskleingartengesetz. In schlechteren Zeiten kann das eine Einladung sein, diese Vorgaben als minderwertig und verzichtbar abzutun. Insoweit hätte die Europäische Menschenrechtskonvention schon ein paar wärmere Worte verdient.

In einem wichtigen Punkt bewegt das Karlsruher Urteil aber doch viel in Sachen Sicherungsverwahrung. Die Richter stellen unmissverständlich klar, dass sich die Vollzugspraxis ändern muss:

Das Leben in der Sicherungsverwahrung ist, um ihrem spezialpräventiven Charakter Rechnung zu tragen, den allgemeinen Lebensverhältnissen anzupassen, soweit Sicherheitsbelange nicht entgegenstehen. Dies erfordert zwar keine vollständige räumliche Loslösung vom Strafvollzug, aber eine davongetrennte Unterbringung in besonderen Gebäuden und Abteilungen, die dentherapeutischen Erfordernissen entsprechen, familiäre und soziale Außenkontakte ermöglichen und über ausreichende Personalkapazitäten verfügen. Ferner muss das gesetzliche Konzept der Sicherungsverwahrung Vorgaben zu Vollzugslockerungen und zur Entlassungsvorbereitung enthalten.

Außerdem, so das Bundesverfassungsgericht, müssen die Betroffenen vernünftige Möglichkeiten erhalten, ihre Rechte durchzusetzen. Das bislang häufig praktizierte Konzept “Wegsperren und Vergessen” hat nach diesen Vorgaben keine Zukunft mehr.

Bundesverfassungsgericht, Urteil vom 4. Mai 2011, 2 BvR 2365/09