Primacall vs. Spreeblick

Ich hoffe mal, dass das nicht zur täglichen Routine wird, dass ich so einen Hinweis schreiben darf: Das Unternehmen Primacall verklagt Spreeblick auf Entfernung eines Blogpostings von 2007, in dem ein Call Center Agent von Primacall über seinen Arbeitsalltag erzählt, oder, wie es Spreeblick selbst formulierte:

Primacall ist ein in Berlin ansässiger Telekommunikationsdienstleister. Am 10. April 2007 unterschrieb Primacall auf Klage der Verbraucherzentrale Berlin eine Unterlassungserklärung. In dieser Unterlassungserklärung verpflichtete sich Primacall, „Privatpersonen ohne deren vorherige Einwilligung nicht mehr zu Werbezwecken anzurufen“. In der vergangenen Woche meldete sich bei uns ein Call Center Agent (CCA) von Primacall. Er behauptete, dass Primacall an der Praxis der Kaltakquise festhalte, also weiterhin Menschen durch sogenannte „Cold Calls“ belästige.

Nach diversen Löschungsbitten im Jahr 2008 seitens Primacall hat Spreeblick den Artikel teilweise redigiert, und die von Primacall kritisierten Stellen durch XXX ersetzt. Offensichtlich war das aber nicht ausreichend, daher wurde nun Klage eingereicht. Die „juristischen Eckdaten“ sind wohl ein Streitwert von 10.000 Euro, und ein angedrohtes Ordnungsgeld von 250.000 Euro. Zu den juristischen Teilen dieses Artikels gilt natürlich der gleiche Disclaimer wie bei meinem Posting gestern. ;)

Mehr dazu gibt es bei Spreeblick oder bei Netzpolitik.org – bei letzteren findet sich auch der Link zu einer Google Cache Version des Artikels, da Spreeblick selbst wohl gerade Lastprobleme hat.

Bitte beim Kommentieren dieses Artikels die üblichen Spielregeln und „fair play“ beachten. Kommentarmoderation und Kommentare löschen ist nichts, was ich sonderlich gerne mache, was aber bei dem Jako-Artikel leider einige Male der Fall war. Danke.

Köln: Denkmal-Demo verboten

Eine rechtsextreme Gruppierung wollte in Köln gegen die Einweihung des Denkmals für die Opfer der NS-Militärjustiz demonstrieren. Das hat der 5. Senat des Oberverwaltungsgerichts Münster (OVG) mit der Begründung verboten. Allein der Aufruf zur Demonstration sei „in strafbarer Weise“ darauf ausgerichtet, die Opfer der NS-Militärjustiz „massiv in ihrer Würde herabzusetzen und verächtlich zu machen“ (AZ: 5 B 1265/09).

Das Denkmal soll daran erinnern, dass unter anderem die Tatbestände der Wehrkraftzersetzung und der Desertion in besonderer Weise in den Dienst der nationalsozialistischen Unrechts- und Willkürherrschaft gestellt worden seien und die Bejahung dieser Tatbestände auch in völlig belanglosen Fällen regelmäßig zur Verhängung der Todesstrafe geführt habe.

Das OVG folgte mit seinem Beschluss der Verbotsverfügung des Kölner Polizeipräsidenten und des Verwaltungsgerichts Köln. Dazu heisst es: „In der öffentlichen Identifikation mit der nationalsozialistischen Gewalt- und Willkürherrschaft liegt stets ein Angriff auf die Menschenwürde der getöteten und überlebenden Opfer“. (pbd)

OLG Köln: Kredit-Werbung mit “Ab”-Zins zulässig

Das Oberlandesgericht Köln hat rechtskräftig entschieden, dass eine Kreditwerbung mit der Aussage „ab 4,44 % eff.p.a.“ zulässig ist. Sie enthalte kein Irreführungspotenzial (6 U 4/09, Volltext):

Sie ist vielmehr eindeutig und besagt, dass der Kredit je nach den Umständen zu unterschiedlichen Zinssätzen und im günstigsten Falle zu 4,44 % effektivem Jahreszins ausgegeben wird. (…) Entgegen der Meinung des Klägers enthält das Angebot nicht allein deshalb nur die „halbe Wahrheit“ im vorstehenden Sinne, weil der Nutzer auch noch ein Interesse hat, die Bedingungen für die Vergabe des Kredits zu erfahren. Dem entspricht es, dass in der Rechtsprechung – worauf die Parteien übereinstimmend hinweisen – die Werbung mit „ab-Preisen“ nur in Fällen als irreführend beanstandet worden ist, in denen – was hier nicht in Rede steht – Ware zu den beworbenen günstigsten Preisen nicht in ausreichendem Umfang vorrätig war.

Das Gericht lies offen, ob es anders entschieden hätte, wenn die neue „Verbraucherkreditrichtlinie“ bereits in Kraft wäre. Das Urteil enthält lediglich die Andeutung, dass „die Richtlinie in der Sache auch nicht so weitgehende Anforderungen stellt, wie der Kläger ihr entnehmen will.“

Jako AG und die „Blogosphäre“

Zugegeben: Dieser Eintrag wäre vermutlich wesentlich interessanter, und mit fundierten Kommentaren zum Sachverhalt versehen, wäre Udo nicht gerade im Urlaub. Nun passieren auch während Udos Abwesenheit manchmal Dinge, die sicher auch für die Leser hier interessant sind, und mich nur den Kopf schütteln lassen, wieviel – oder wie wenig – manche Menschen vom Diskussionskultur, Meinungsäusserung und Technik im Internet verstehen.

Da ich hier im Lawblog-Maschinenraum von Paragraphen eher weniger Ahnung habe, an dieser Stelle statt Kommentar und Einschätzung der Angelegenheit eben nur ein kurzer Hinweis auf den Streit des Sportartikelherstellers Jako und dem Fussballblog von Trainer Baade. Inklusive finanziell unangenehmen Nachtreten, weil der ursprünglich bemängelte Blog-Eintrag wohl von einem Robot in Tschechien gespiegelt wurde.

Eine ausführliche Zusammenfassung des Vorfalls findet sich bei allesaussersport.

Neue „Kronzeugen“-Regelung ab 1. September

Das Bundesjustizministerium gibt bekannt:

Am 1. September 2009 tritt eine neue Strafzumessungsregel in Kraft. Bei Straftätern, die zur Aufklärung oder Verhinderung von schweren Straftaten beitragen, können Richterinnen und Richter die Strafe künftig mildern oder ganz von Strafe absehen.

Die Reform knüpft an frühere Möglichkeiten an, die Kooperationsbereitschaft von Straftätern zu honorieren. Bis 1999 galt das Kronzeugengesetz, das für die Bildung krimineller oder terroristischer Vereinigungen und damit zusammenhängende Taten die Möglichkeit eröffnete, das Verfahren einzustellen, von Strafe abzusehen oder die Strafe zu mildern. Das geltende Strafrecht kennt spezifische („kleine“) „Kronzeugenregelungen“ für bestimmte Delikte, nämlich bei der Geldwäsche (§ 261 StGB), im Betäubungsmittelstrafrecht (§ 31 BtMG) und in sehr engem Umfang bei der Bildung einer kriminellen oder terroristischen Vereinigung (§§ 129, 129a StGB).

Praktisch bedeutsam ist vor allem § 31 BtMG, dessen Anwendung in den vergangenen Jahrzehnten gute Ermittlungserfolge bei der Aufklärung organisierter Rauschgiftkriminalität ermöglichte.
„Die neue Strafzumessungsvorschrift unterscheidet sich vor allem in zwei Punkten von den bisherigen Kronzeugenregelungen: Wir fassen den Anwendungsbereich breiter und treffen Schutzvorkehrungen gegen Missbrauch“, so Bundesjustizministerin Zypries.

Einzelheiten der Neuregelung sind in der Pressemitteilung genannt.

Durchsuchung auch nachts nur mit Richter

Hamm. Die Vorschriften sind schräg. Auf der einen Seite zeigen sie sich streng grundsätzlich, lassen aber ganz klar auch Ausnahmen mit vielen Lücken zu. Die schlichte Frage heißt: Wer darf wann, warum und wie die Grundrechte anderer Menschen verletzten?

Da ist etwa kleiner Verkehrsunfall zur Abendzeit passiert. Dabei ist nur Blechschaden entstanden, nichts Schlimmes also. Dann aber meint ein Polizeibeamter, bei einem der Autofahrer eine Alkholfahne zu riechen. Der Fahrer verweigert den Atemtest, der Beamte will möglichst schnell Beweise sichern und setzt nun – notfalls auch mit Gewalt – die Entnahme einer Blutprobe durch. Das aber ist ein schwerwiegender Eingriff, den grundsätzlich nur ein Richter anordnen darf. Was nun? Der 3. Senat des Oberlandesgerichts Hamm (OLG) hat ein Urteil nun veröffentlicht, das Pflöcke setzt und die Justiz in die Bredouille bringt (AZ 3 Ss 293/08). Eigenmächtige Entscheidungen von Schutzpolizisten und Kriminalbeamten darf es nicht geben. Deswegen muss nun immer ein Richter erreichbar sein. Selbstverständlich auch nachts.

Das war bislang nicht so. Nach einem Urteil des Bundesverfassungsgerichts war seit 5 Jahren bei den meisten nordrhein-westfälischen Amtsgerichten ein Eildienst für Richter geschaffen worden. An den konnten und mussten sich die Ermittler der Polizei aber nur zwischen 6 Uhr in der Früh und abends bis 21 Uhr wenden. Danach herrschte Stille. So war es auch der tiefen Nacht am 13. April 2007 in der Nähe von Minden. Nicht weit von einem Asylbewerberheim kontrollierte ein Polizeibeamter einen Mann. Der roch wohl stark nach Cannabis. Im Rucksack wurde denn auch Marihuana gefunden. Damit war der Verdacht auf eine Straftat mit illegalen Betäubungsmitteln deutlich geworden. Der Beamte dachte weiter. Er meinte, wenn der Mann schon Cannabis bei sich habe, könnte in dessen Wohnung noch mehr sein.

Also telefonierte der Beamte mit der Leitstelle seiner Behörde und die mit dem Eildienst der Staatsanwaltschaft. Danach ordnete der Beamte die Hausdurchsuchung an, wurde auch fündig. Eine Platte Haschisch, mehrere einzeln verpackte Haschischbrocken lagen da, drei Tüten mit Marihuana, Verpackungen und eine Feinwaage. Deshalb verurteilte das Amtsgericht Minden den Täter zu einer sechsmonatigen Haftstrafe auf Bewährung. Dieses Urteil aber hat der 3. Senat des OLG Hamm nun aufgehoben. Und auch gleich verboten, die in der Wohnung gefundenen Beweise gerichtlich zu verwerten. „Eine Durchsuchung greift schwerwiegend in die grundrechtlich geschützte persönliche Lebenssphäre ein“, mahnt der Senat und bemängelt die fehlende richterliche Entscheidung – die Durchsuchung war also rechtswidrig. Der Senat beruft sich vehement auf Entscheidungen des Bundesverfassungsgerichts und fordert den richterlichen Eildienst auch nachts. Doch woher soll das Personal kommen? Der Landesverband des Deutschen Richterbundes sieht ein „unlösbares Problem“, 500 Richter fehlen eh schon. „Wir arbeiten in enger Absprache an einem Konzept“, ließ gestern Justizministerin Roswitha Müller-Piepenkötter (CDU) wissen. Das Ziel sei es, mit personellen und organisatorischen Maßnahmen „binnen weniger Wochen“ eine Eildienstregelung für Richter und Staatsanwälte sicher zu stellen. Die Ministerin ist – nach einem Mord im Siegburger Gefängnis und Skandalen bei der Staatsanwaltschaft Mönchengladbach – mal wieder in Not. (pbd)

Stichwort Richtervorbehalt
Schutzpolizisten, Kriminalbeamte, Zöllner und Steuerfahnder sind zwar Staatsbeamte, gehören aber zu vollstreckenden Behörden. Bestimmte Maßnahmen jedoch – beispielsweise das Abhören von Telefonaten, die Hausdurchsuchung und wie die Blutprobenentnahme auch andere Eingriffe in die Grundrechte – müssen von einem Richter angeordnet werden, der zur Justiz gehört („Richtervorbehalt“). Nur in seltenen Fällen, etwa „bei Gefahr im Verzuge“ erlauben Gesetze und Ordnungen den Vollstreckungsbeamten auch Maßnahmen, die sie mit Gewalt durchsetzen können. Aber auch diese Handlungen können von einem Richter überprüft werden. (pbd)

Wahlkampffluchturlaub

Bei der Planung meines Spätsommerurlaubs vor vielen Monaten war mir gar nicht bewusst, dass ich so dem Wahlk(r)ampf einige Zeit praktisch überhaupt nicht mitbekommen werde. Ein willkommener Nebeneffekt ist das aber auf jeden Fall.

Ich verabschiede mich hiermit für einige Tage in die Sonne. Falls mir gar nichts Berichtenswertes (über 140 Zeichen) begegnen sollte, ist mit mir wieder ab dem 15. September zu rechnen.

Bis dahin wird wieder Andreas Kunze im law blog schreiben. Herzlichen Dank an ihn für die Urlaubsvertretung.

Wahlvorbereitungsurlaub

Heute die Anfrage eines Kandidaten für den Bundestag, der dringend Wahlkampf machen möchte. Aber sein Arbeitgeber gibt ihm nicht frei. Sogar eine Abmahnung ist dem Kandidaten schon angedroht worden, sofern er drei Tage unbezahlten Urlaub nimmt – wie von ihm zunächst gewünscht.

Der Arbeitgeber stritt vehement ab, dass er so was wie Sonderurlaub für politische Kandidaten gibt. Der angehende Politiker wusste da auch nicht weiter.

Ich habe ihn darüber informiert, dass er gar nicht so bescheiden sein muss. Denn ihm steht doch der, sicherlich nicht allseits bekannte, Wahlvorbereitungsurlaub zu:

§ 3 Abgeordnetengesetz Wahlvorbereitungsurlaub

Einem Bewerber um einen Sitz im Bundestag ist zur Vorbereitung seiner Wahl innerhalb der letzten zwei Monate vor dem Wahltag auf Antrag Urlaub von bis zu zwei Monaten zu gewähren. Ein Anspruch auf Fortzahlung seiner Bezüge besteht für die Dauer der Beurlaubung nicht.

Mal sehen, ob es der Kandidat bei den drei Tagen belässt.

Schnell eingestellt

„Sie hatten während der Fahrt den Sicherheitsgurt nicht angelegt.“ So lautet der Vorwurf gegen meinen Mandanten, einen Lkw-Fahrer. Angehalten worden ist er nicht. Vielmehr wurde er am 24. Juli 2009 auf der A 3 bei Kilometer 105,08 gefilmt. Im Rahmen einer Abstandsmessung, von einer Brücke aus.

Also einer jener Fälle, in denen Polizeibeamte die Videobänder der Abstandsmessungen nachher auf mögliche andere Verkehrsverstöße auswerten.

Vorgestern hatte ich mich als Verteidiger bestellt. Heute ein Anruf von der Autobahnpolizei Hilden: „Das Verfahren ist eingestellt.“

Das ging ja überraschend schnell. Womöglich eine erste Konsequenz aus dem noch frischen Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, wonach die Videoüberwachung des Straßenverkehrs eindeutiger gesetzlicher Vorschriften bedarf…

Reingelegt

Mandant schickt eine Filesharing-Abmahnung und einen Beratungshilfeschein. Dann bezahlt der Staat die Kosten für unser beliebtes Antwortschreiben, bis auf eine Selbstbeteiligung von 10 Euro. Mandant denkt mit und macht die Sache nicht unnötig kompliziert:

Ich lege Ihnen die 10 Euro, die Sie bekommen, rein.

Teures Formular

Das Amtsgericht Hagen antwortet auf einen Mahnbescheidsantrag:

Die geltend gemachten Auslagen für Vordruck / Porto erscheinen überhöht. Ist der Betrag tatsächlich entstanden, so fügen Sie der Antwort bitte entsprechende Belege bei.

Die Kritik ist nachvollziehbar. 556,60 Euro für ein Formular oder Porto sind doch etwas ungewöhnlich. Allerdings sind das auch die außergerichtlichen Anwaltsgebühren, die als Nebenforderung geltend gemacht werden.

Da bin ich wohl in der Zeile verrutscht.

Wenn Richter nach Karlsruhe schreiben

Wie es scheint, ist das Bundesverfassungsgericht öfter mit windigen Richtervorlagen konfrontiert. Erst vor wenigen Tagen machte ein Richter des Amtsgerichts Gummersbach, dem Vernehmen nach der stellvertretende Direktor persönlich, einen vor allem in der Begründung holprigen Vorstoß. Ziel: Weg mit dem Handyverbot am Steuer.

In einer anderen Eingabe eines Gerichts können die Verfassungsrichter nun noch nicht einmal erkennen, wer genau den Beschluss gefasst hat und auf welches Verfahren er sich bezieht. In der Vorlage sei nur vom „Amtsgericht Schweinfurt“ die Rede, welches höchstselbst Zweifel an einer familienrechtlichen Vorschrift habe. Die im Gesetz aufgeführten Formalien, heißt es in einer Pressemitteilung des Verfassungsgerichts, seien schlicht nicht eingehalten.

Peinlich außerdem: Der zuständige Richter hat vergessen, seinen Beschluss zu unterschreiben.