Männlichkeit als Mangel

Auch wenn es die Überschrift vielleicht erwarten lässt, folgt nun keine Stellungnahme zum derzeit beliebten Thema alte weiße Männer. Vielmehr geht es um junge Hühner. Genauer gesagt um Federvieh im Allgemeinen und die gemeine Zwergseidenhenne im Besonderen. Drei von diesen schönen Tieren hatte eine Züchterin online angeboten – das Geschäft ging aber auf etwas kuriose Art und Weise daneben.

Obwohl im Angebot ausdrücklich von Hennen die Rede war, stellte sich eines der verkauften Jungtiere später als Hahn heraus. Der Käufer wollte vom Vertrag zurücktreten, die Verkäuferin bestand aber offensichtlich darauf, dass ein Hahn gleichwertig ist.

So landete der Streit vor dem Amtsgericht Coburg. Der dortige Richter hatte mit der Bewertung der Rechtslage erkennbar wenig Mühe. Zutreffend weist er in seinem Urteil darauf hin, wenn von Hennen die Rede sei, müssten auch Hennen geliefert werden (sogenannte Beschaffenheitsvereinbarung). Dieser Beschaffenheit habe der Hahn nicht entsprochen, weil er eben keine Henne war. Der Hahn sei „wegen seiner Männlichkeit“ im konkreten Fall als Kaufobjekt untauglich gewesen, was wiederum den Käufer berechtigte, sich vom Vertrag zu lösen (Aktenzeichen 11 C 265/19).

Rip off vehicle

Eins lässt sich festhalten: Einen coolen Namen haben sie den halbmobilen Blitzkisten gegeben, die nun verstärkt auf Deutschlands Straßen eingesetzt werden. „Enforcement Trailer“ werden die Geräte genannt, siehe zum Beispiel diese stolze Polizeimeldung über eine ganz aktuelle Inbetriebnahme in Münster.

Mich erinnerte der Name spontan an das „Wohnmobil der Liebe“ aus dem Uralt-Song der Housemartins, wobei es damals Wochen dauerte, bis uns noch einigermaßen jungen Leuten bei näherem Zuhören auffiel, dass mit „Caravan of Love“ eigentlich was anderes gemeint war. Wer die Zeit nicht miterlebt hat, auf ähnliche Weise hadern heute unzählige Menschen mit dem Parfümerie-Slogan „Come in and find out“.

Aber zurück zum Thema. Ein zur Kasse gebetener Autofahrer empfand den Enforcement Trailer eher als Rip off Vehicle. Deshalb wehrte er sich gegen einen Bußgeldbescheid mit einer lesenswerten Begründung. Er oder sein Anwalt hatten nämlich herausgefunden, dass das im Enforcement Trailer verbaute Messgerät laut Bedienungsanleitung nur „aus einem Kfz, auf einem Stativ oder in einer Messkabine“ Verwendung finden darf.

Die Bedienungsanleitung bei Tempomessgeräten ist an sich heilig. Normalerweise führt, kurz gesagt, jede Zuwiderhandlungzum Erlöschen der Betriebserlaubnis. Aber keine Regel ohne Ausnahme. Jedenfalls hat das Oberlandesgericht Bamberg überhaupt keine Probleme damit, der Betriebsanleitung auch mal keine Bedeutung beizumessen. Nach Auffassung der Richter komme es nur darauf an, ob Anhaltspunkte ersichtlich sind, dass die Messung aus einem kleinen Anhänger in irgendeiner Form fehlerhaft sein könnte. Dies sei aber nicht der Fall, heißt es. Das Bußgeld gegen den Autofahrer wird also durchgesetzt. Oder sollte man korrekter sagen: enforced?

Link zum Beschluss

„Section Control“ kann starten

Auf der B 6 zwischen Gleidingen und Laatzen wird die Geschwindigkeit demnächst mittels „Section Control“ überwacht. Das Oberverwaltungsgericht Lüneburg gab nun grünes Licht für den Testbetrieb. „Section Control“ erfasst am Anfang einer Messstrecke die Kennzeichen und die Einfahrtszeit aller Autos, am Ausgang des Korridors (Länge 2,2 Kilometer) wird die gefahrene Geschwindigkeit der Wagen ermittelt. Temposünder sollen dann zahlen.

Das Verwaltungsgericht hatte den Testbetrieb zunächst gestoppt. Es bemängelte insbesondere, für die Eingangsspeicherung der Nummernschilder gebe es keine gesetzliche Grundlage. Diese hat der Landtag in Niedersachsen dann aber kurzfristig geschaffen, indem er eine Regelung ins Niedersächsische Polizeigesetz aufnahm.

Gegen die Verfassungsmäßigkeit der neuen Vorschrift hat das Oberverwaltungsgericht Lüneburg keine durchgreifenden Bedenken. Die Anlage wird dann nun wohl in den Testbetrieb gehen (Aktenzeichen 12 MC 93/19).

„Kinderwunsch-Tee“ verschwindet aus den Regalen

Mir ist er noch nicht aufgefallen, aber es scheint ihn tatsächlich zu geben: den „Kinderwunsch-Tee“. Allerdings wird das Produkt – oder jedenfalls sein Name – nun aus den Regalen verschwinden. Das Oberlandesgericht Köln untersagt dem Hersteller nämlich, dem aus Kräutern gebrauten Kinderwunsch-Tee eine fruchtbarkeitssteigernde Wirkung anzudichten.

Der Kinderwunsch-Tee soll den weiblichen Zyklus harmonisieren und so den Eisprung fördern. In der Beschreibung des Produkts liest sich das so:

Lemongras wirkt entspannend auf den Körper und baut Stress ab, so dass man sich ganz auf die Schwangerschaft einlassen kann. Zitronenverbene und Basilikum werden eine luststeigernde Wirkung nachgesagt.

Als Belege führt der Produzent eine „volksmedizinische Verwendung“ der Wirkstoffe an, ansonsten blieb er konkrete Nachweise schuldig. Das führte nun in die juristische Falle. Einem Lebensmittel darf eine gesundheitsfördernde Wirkung nur zugeschrieben werden, wenn die Wirkung auf allgemein anerkannte wissenschaftliche Nachweise gestützt werden kann. So regelt es die EU-weit gültige „Health Claim Verordnung“ (HCVO). Die erforderlichen Nachweise blieb der Hersteller aber schuldig (Aktenzeichen 6 U 181/18).

Auch gläubiger Sikh muss auf dem Motorrad einen Helm tragen

Die in § 21 Straßenverkehrsordnung geregelte Helmpflicht gilt auch für Motorradfahrer, die einen Turban tragen wollen bzw. müssen. Dies stellt das Bundesverwaltungsgericht in einer aktuellen Entscheidung klar. Damit endet der Rechtsstreit eines Angehörigen der Religionsgemeinschaft der Sikhs. Dieser hatte geltend gemacht, er müsse aus religiösen Gründen auch beim Motorradfahren einen Turban tragen.

Das Gericht konzediert dem Betroffenen zwar, dass die Helmpflicht ihn in seiner Religionsfreiheit beeinträchtigt. Allerdings schütze die Helmpflicht auch verfassungsrechtliche Rechtsgüter Dritter. So bestehe die Gefahr, dass Dritte oder Rettungskräfte traumatisiert werden, wenn sie ein Unfallopfer sehen oder bergen müssen, das keinen Helm getragen hat. Ein durch einen Helm geschützter Motorradfahrer werde selbst auch nach einem Unfall eher in der Lage sein, zur Rettung anderer beizutragen, zum Beispiel durch Absicherung der Unfallstelle oder Erste Hilfe.

Eine Befreiung von der Helmpflicht komme deshalb nur in Betracht, wenn dem Betroffenen das Fahren mit Helm absolut nicht zumutbar sei. Das sei hier nicht der Fall, denn der Kläger habe einen Autoführerschein und besitze einen Lieferwagen (Aktenzeichen 3 C 24.17).

Sterbewillige müssen nicht „gerettet“ werden

Sterbehilfe ist ein großes Thema, nun bezieht der Bundesgerichtshof in zentralen Punkten Stellung. Weder Sterbehelfer noch Ärzte machen sich strafbar, wenn sie auch dann nicht eingreifen, wenn Sterbewillige nach selbstbestimmter Einnahme von starken Medikamenten schon bewusstlos geworden sind.

Als zentral sehen die Richter die Frage, ob ein eigenverantwortlicher Entschluss des Sterbewilligen vorliegt. In den entschiedenen Fällen sei von den Gerichten eine im Laufe der Zeit entwickelte, bilanzierende „Lebensmüdigkeit“ festgestellt worden. Die Sterbewilligen waren psychisch nicht beeinträchtigt, so dass ihr Wunsch auf einen würdigen Tod eigenverantwortlich war.

Dritte, auch kein Arzt, müssten in so einem Fall lebenserhaltende Maßnahmen einleiten, sobald die Sterbewilligen bewusstlos geworden sind. Das ergebe sich auch nicht aus dem Straftatbestand der unterlassenen Hilfeleistung (§ 323c StGB). Eine zulässige Verwirklichung des Selbstbestimmungsrechts über den eigenen Tod stehe höher als eine (allgemeine) Hilfspflicht.

Das erst kürzlich eingeführte Verbot der gewerbsmäßigen Sterbehilfe (§ 217 StGB) spielte in dem Fall keine Rolle. Das Gesetz galt zum Todeszeitpunkt der Betreffenden noch nicht (Aktenzeichen 5 StR 132/18 und 5 StR 393/18).

Abtreibungs“werbung“: Gericht ordnet Neuverhandlung an

Die Urteile gegen eine Gießener Ärztin, die angeblich verbotenerweise für Schwangerschaftsabbrüche geworben hat, machte viele Schlagzeilen. Nun hebt das Oberlandesgericht Frankfurt die Strafurteile auf und ordnet eine Neuverhandlung an.

Der Grund hierfür ist nachvollziehbar. Denn zum 29.03.2019 ist der geänderte Paragraf § 219a StGB in Kraft getreten. Dieser regelt das „Werbeverbot“ zumindest neu, auch wenn viele Einzelfragen sicher noch zu klären sind.

Auch in dem noch offenen Fall sei das neue Recht anzuwenden, so das Oberlandesgericht Frankfurt. Die Richter verweisen auf § 2 StGB. Danach gilt bei einer Gesetzesänderung das neue Strafgesetz, sofern dieses „milder“ ist. Das sei jedenfalls nicht ausgeschlossen, so das Gericht. Es sei möglich, dass die von der Ärztin veröffentlichten Informationen nach dem neuen Recht straflos waren (Aktenzeichen 1 Ss 15/19).

„Ich habe mir eine neue Matratze gekauft…“

Verbraucher können eine online gekaufte Matratze auch denn zurückgeben, wenn sie die Schutzfolie entfernt haben. Das gesetzliche Widerrufsrecht entfällt dadurch nicht, entschied jetzt der Bundesgerichtshof.

Ein Online-Händler hatte sich geweigert, die ausgepackte Matratze zurückzunehmen. Der Bundesgerichtshof legte die Sache erst dem Europäischen Gerichtshof vor. Es stellte sich juristisch nämlich die Frage, ob eine Matratze zu den Gegenständen gehört, für die das Widerrufsrecht aus hygienischen Gründen oder aus Gründen des Gesundheitsschutzes nicht gilt (§ 312g BGB).

Der Europäische Gerichtshof stellte dazu im Frühjahr fest, dass Matratzen durch das Auspacken und oder ein Probeliegen nicht völlig wertlos werden. Vielmehr sei es bei Matratzen nicht anders als bei Kleidung – diese werde ja auch mitunter auf der Haut Probe getragen, von Verbrauchern zurückgeschickt. Kleidung werde dadurch nicht völlig wertlos, insbesondere gebe es einen Markt für Retouren. Für Matratzen gelte das auch.

Dieser Auffassung schließt sich der Bundesgerichtshof nun an. Damit werden die Rechte von Online-Bestellern deutlich gestärkt. Und der Versandmarkt für Matratzen ist ja nicht gerade klein, wie schon das Werbe-Trommelfeuer der einschlägigen Anbieter auf allen Kanälen zeigt (Aktenzeichen VIII ZR 194/16).

Urlaub verfällt nur unter strengen Voraussetzungen

Ein Urteil des Landesarbeitsgerichts Köln sollte jeden Arbeitnehmer interessieren. Urlaub, so das Gericht, verfällt nur dann, wenn der Arbeitgeber den Arbeitnehmer konkret aufgefordert hat, den Urlaub auch zu nehmen. Zusätzlich müsse der Arbeitgeber unmissverständlich darauf hinweisen, dass der Urlaub ansonsten verfällt.

Unter Hinweis auf die Rechtsprechung des Europäischen Gerichtshofs sehen die Richter den Arbeitgeber also in einer umfassenden Pflicht. Unterlässt er die Aufforderung und/oder den Hinweis, bestehen die Urlaubsansprüche fort – und zwar in den Grenzen der Verjährungsfristen auch für Vorjahre. Im entschiedenen Fall hatte dies zur Folge, dass der Kläger für die Jahre 2014 bis 2016 noch Urlaubsabgeltung verlangen konnte (Aktenzeichen 4 Sa 241/18).

Post darf keine Auskunft über zugestellte Sendungen geben

Postunternehmen müssen Ermittlern keine Auskunft über Briefe und sonstige Sendungen geben, die sie schon zugestellt haben. Genau dazu wollte der Generalbundesanwalt in einem Verfahren wegen Kriegsverbrechen einige Anbieter von Postdienstleistungen zwingen.

Der Ermittlungsrichter beim Bundesgerichtshof verweigerte jedoch einen entsprechenden Beschluss. Auf die Beschwerde hin bestätigte nun der zuständige Strafsenat die Entscheidung. Nach Auffassung der Richter erstreckt sich die Möglichkeit des behördlichen Zugriffs auf Sendungen, solange sie sich „im Gewahrsam“ der Postunternehmen befinden (§ 99 StPO). Für bereits weiter geleitete Sendungen fehle es aber an einer Regelung.

Insoweit, so der Bundesgerichtshof, existiere also keine gesetzliche Ermächtigung. Wegen des als Grundrecht abgesicherten Post- und Fernmeldegheimnisses erfordere jeder Eingriff aber eine ausdrückliche Befugnis. Diese sei jedoch in der Strafprozessordnung oder auch sonstwo derzeit nirgends zu finden. Wobei die Betonung sicherlich auf „derzeit“ liegen dürfte (Aktenzeichen StB 51/18).

Regel Nr. 1: Besser nichts sagen

Der Verdächtige im Mordfall Walter Lübcke hat sein Geständnis widerrufen. Davor gab es schon ein gewisses Hin und Her, das wohl mittlerweile in einem Verteidigerwechsel kulminiert ist. Allgemein zeigt der Gang der Ereignisse mal wieder, wie wichtig es ist, als Beschuldigter in einem frühen Stadium des Verfahrens doch eher zu schweigen.

Der Beschuldigte hatte zu keinem Zeitpunkt ernsthaft die Option, von der Untersuchungshaft verschont zu werden. Zu dicht war schon im Zeitpunkt seiner Festnahme die Beweislage. In so einer Situation sollte man eine Kosten-Nutzen-Relation aufmachen und sich dem durchaus menschlichen inneren Drang entziehen, nun „reinen Tisch“ zu machen. Zu gewinnen ist juristisch im Augenblick kaum etwas. Die gefühlte Befreiung von der emotionalen Last hält maximal bis zur Rückkehr in die Zelle. Bleibt als Argument für ein Geständnis vielleicht noch die vage Aussicht, dass ein Gericht mal anerkennt, das Geständnis sei sehr frühzeitig gewesen.

Allerdings lehrt meine Erfahrung, dass gerade spät abgelegte Geständnisse spürbarere Rabatte bringen. Das liegt einfach daran, dass auf dem Gericht ohne Geständnis zunächst der Druck einer aufwendigen Beweisaufnahme lastet. Diesen Druck kann der Angeklagte kurz vor oder zu Beginn der Hauptverhandlung natürlich lindern, indem er jetzt die Karten auf den Tisch legt. Das Gericht wird in der Regel dankbar sein, wenn es das ansonsten anstehende Programm um einen Großteil einschmelzen kann. Ein in grauer Vorzeit abgelegtes Geständnis ist dagegen längst in die Verfahrensplanung eingepreist.

Jedenfalls sollte man – ganz unabhängig vom konkreten Fall – nach meiner Erfahrung unbedingt so lange schweigen, bis sich der erste Nebel etwas gelichtet hat. Auch ein Verteidiger kann bei einem komplexen Fall in den ersten hektischen Tagen kaum absehen, welche Taktik am Ende zu bevorzugen ist.

Der Beschuldigte im Mordfall Lübcke steht jetzt doppelt schlecht da. Er hat nicht nur gestanden, sondern er hat dieses Geständnis auch noch vor einem Richter gemacht oder dort zumindest ausdrücklich bestätigt. Davon kommt man ohnehin kaum noch runter, wenn nicht krasse Fehler passiert sind. Aber formale Fehler von solchem Ausmaß sind beim Bundesgerichtshof und auch bei anderen Ermittlungsrichtern doch eher krasse Ausnahmen.

Mit anfänglichem Schweigen, das natürlich auch das gute Recht von weniger sympathischen Menschen ist, hätte es der Beschuldigte auch seinem neuen Anwalt etwas leichter gemacht. Der darf jetzt erst mal einen sehr, sehr hohen Scherbenhaufen aufkehren.

E-Roller auf der Autobahn

Weil er am Bahnhof Erkelenz nicht länger auf seinen (mutmaßlich verspäteten) Zug warten wollte, nutzte ein Mann zwei neue Segnungen im Bereich Mobilität. Er fragte Google, wie er am schnellsten an sein Ziel kommt. Dann stieg er auf seinen E-Roller und folgte dem vorgeschlagenen Weg.

Die Route führte ihn aber direkt auf die Autobahn, und zwar an der Anschlussstelle Erkelenz-Süd. In Richtung Heinsberg legte er mehrere Kilometer zurück, wobei sich wohl zwei Autofahrer erbarmten und ihn absicherten. Der eine Wagen fuhr vor, der andere mit Warnblinker hinterher.

An der Anschlussstelle Hückelhoven-West wurde der Rollerfahrer von der Polizei in Empfang genommen – obwohl er eigentlich erst die nächste Ausfahrt nehmen wollte. Deutsche Autobahnen dürfen nur mit Fahrzeugen befahren werden, die mindestens 60 km/h fahren können. Ob der Rollerfahrer das schlicht nicht wusste oder ob er nur mal in die Zeitung wollte, überliefert der Polizeibericht leider nicht. Überdies stellte sich heraus, dass der Roller nicht versichert ist. Spätestens da sahen die Beamten wohl keine andere Möglichkeit, als eine Strafanzeige zu schreiben.

Mord, Totschlag und vieles mehr

Blogs von (echten) Richtern sind eine Seltenheit. Ich erinnere mich nur an wenige, und die meisten sind früher oder später wieder eingestellt worden.

Aber nun gibt es neues Lesefutter, denn der Lüneburger Jurist Ulrich Subatzus informiert in seinem Blog schwurgericht.info über rechtliche Fragen rund um Mord und Totschlag, Schuldfähigkeit, Maßregeln der Besserung und Sicherung sowie viele andere juristische Theman.

Der Autor weiß auf jeden Fall, wovon er redet. Er ist Strafrichter am Landgericht Lüneburg. Spannend wird sicher die Frage, ob und inwieweit uns der Richter tatsächlich an seinem beruflichen Alltag teilhaben lässt. Schaut auf jeden Fall mal rein, ich denke, es lohnt sich.

Wenig sagen, viel sparen

Vor einiger Zeit bat mich ein Anwaltskollege um Unterstützung. Er hatte ein Ermittlungsverfahren am Hals, es geht um eine unerfreuliche Geschichte im Straßenverkehr. Als ich ihm den Entwurf der Verteidigungsschrift zuschickte, fragte der Kollege am Telefon, ob es denn vielleicht Sinn machen würde, auch mal seinen Beruf zu erwähnen.

Ich habe ihm abgeraten, weil es Orte gibt, an denen man besser keine unnötigen Dinge über sich erzählt. Dazu gehört die Justiz, dazu gehört insbesondere das Strafbefehlsverfahren. Denn nun passierte genau das, was abzusehen war. Das Amtsgericht hat gegen meinen Mandanten einen Strafbefehl erlassen.

Gegen 80 Tagessätze als Geldstrafe ist nichts zu sagen. Noch weniger aber gegen die vom Gericht festgelegte Höhe der Tagessätze: Auf 30,00 € soll sich ein Tagessatz belaufen. Was nichts anderes bedeutet, als das man auf der anderen Seite offensichtlich das Einkommen meines Mandanten geschätzt hat. Das ist gesetzlich zulässig, und wenn man als Staatsanwalt oder Richter halt keine näheren Informationen hat, kommen am Ende oft Tagessätze in dieser Höhe raus.

Umgekehrt bedeutet das aber, dass die Höhe der Geldstrafe sich nun an einem monatlichen Nettoeinkommen von 900,00 € orientiert. Ich weiß zwar nicht genau, was ein Zivilrechtler mit etablierter Kanzlei in der Großstadt so am Monatsende übrig hat. Allerdings gehe ich stark davon aus, dass es mehr als 900,00 € sind.

Wenn ihr also mal Ärger mit der Polizei oder der Justiz habt, strunzt lieber nicht zu vorschnell mit Hinweisen auf den akademischen Grad, tolle Jobs, Doktortitel oder Facharztbezeichnungen. Wenn so etwas erst gar nicht in die Akte kommt, lässt sich am Ende womöglich ordentlich was sparen.

Der Angeklagte sollte Lotto spielen

Mit so viel Glück, wie es der Angeklagte in einer Strafsache hatte, könnte man durchaus auch mal Lotto spielen. Die Aussichten auf einen Riesengewinn wären sicherlich nicht schlecht.

Dabei hat sich der Angeklagte zunächst nicht sonderlich schlau verhalten. Ich spreche hier ausdrücklich nicht von meinem Mandanten, weil er es nicht ist. Ich habe von dem Fall nur im Rahmen eines anderen Verfahrens erfahren, in dem ich Akteneinsicht hatte.

Doch zurück zum Angeklagten. Der hatte schon mal einen Riesendusel, dass er trotz des Vorwurfs eines stattlichen Verbrechens nicht ins Gefängnis musste. Vielmehr fand sich ein milde gestimmter Ermittlungsrichter, der den Haftbefehl zwar erließ, aber sofort wieder außer Vollzug setzte. Gegen Auflagen. Eine davon: Der Angeklagte musste sich auf der für ihn zuständigen Polizeiwache melden, und zwar drei Mal wöchentlich.

Hat er genau zwei Mal gemacht, dann wurde er nicht mehr gesehen. Das fiel bei der Polizei natürlich auf, die das dem Gericht mitteilte. Der Richter setzte den Haftbefehl wieder in Vollzug, aber passiert ist – nichts. Insbesondere wurde der Angeklagte nicht zur Fahndung ausgeschrieben, dementsprechend hat sich auch kein Polizeibeamter bemüßigt gefühlt, ihn festzusetzen.

Fehler passieren überall. Was mich aber doch wunderte ist der Umstand, dass die (erst mal) „kleine“ Unterlassung in der Folgezeit niemandem auffiel. Der nun zuständige Strafrichter ließ die hereingekommene Anklage zur Hauptverhandlung zu, verschickte Ladungen an Zeugen und Beteiligte. Das heißt, er sah die Akte diverse Male. Seine Geschäftsstelle und mutmaßlich auch die Staatsanwaltschaft auch. Aber niemand merkte, dass der Haftbefehl zwar wieder wirksam war, dieser Beschluss aber nicht umgesetzt wurde.

Erst bei der unmittelbaren Vorbereitung der Hauptverhandlung ging dem Richter dann wohl ein Licht auf. Jedenfalls empfing er den Angeklagten, der immerhin freiwillig erschien, mit der Nachricht, dass der Haftbefehl wieder in Kraft ist und er deshalb die Verhandlungspausen im Gerichtsgefängnis verbringen muss.

Aber selbst da war dem Angeklagten das Glück am Ende hold. Er bekam Bewährung, so dass der Haftbefehl schon mit der Urteilsverkündung wieder Geschichte war. Der Verteidiger des Angeklagten hat übrigens sehr geschickt an der Sache mitgewirkt. Er dürfte bei einer seiner Akteneinsichten sehr wohl gesehen haben, dass sein Mandant eigentlich in Haft sein müsste. Aber da schaute er geflissentlch weg, wie das seiner Rolle als Interessenvertreter des Angeklagten entspricht.

Wie gesagt, der frühere Angeklagte sollte einen Lottoschein ausfüllen…