Verwandtschaft macht verdächtig

Der genetische Fingerabdruck ist keineswegs so „einzigartig“, wie er mitunter dargestellt wird. Die DNA von Verwandten ähnelt sich nämlich, bei eineiigen Zwillingen ist sie normalerweise sogar gleich. Dieser Umstand hat jetzt zu einem Fahndungserfolg für die Polizei geführt. Obwohl er gar nicht an einem durchgeführten Massengentest teilgenommen hatte, konnte ein 17-Jähriger als Tatverdächtiger einer Vergewaltigung ermittelt werden.

Rund 2.400 Männer zwischen 18 und 40 Jahren hat die Polizei in Dörpen (Landkreis Emsland) testen lassen. Sie wollte damit dem Täter einer Vergewaltigung auf die Spur kommen, berichtet die Welt. Das Opfer hatte das Alter des Täters mit ca. 25 Jahren angegeben. Unter anderem deshalb seien Personen unter 18 Jahren nicht zum Massengentest aufgefordert worden.

Unter jenen, die eine Speichelprobe abgaben, waren offenbar auch zwei erwachsene männliche Verwandte des nun Verdächtigen. Einer Wissenschaftlerin beim Landeskriminalamt, welche die Proben analysierte, sei aufgefallen, dass die DNA dieser beiden Personen auffällig jener ähnelte, die vom mutmaßlichen Täter sichergestellt worden war. Die Polizei recherchierte nach Verwandten dieser beiden Männer. Sie stieß auf den 17-Jährigen, der dann auf richterliche Anordnung eine Speichelprobe abgab. Diese soll dann zu dem Treffer geführt haben.

Der Fall wirft ein Schlaglicht auf einen weitgehend unbeachteten Aspekt von Massengentests und stetig wachsenden DNA-Datenbanken. Die DNA-Probe einer Person hat nicht nur Relevanz für diesen konkreten Menschen, sondern auch für seine Verwandten. Je nach technischem Aufwand lassen sich so wieder neue Ermittlungsansätze und zusätzliche „Raster“ aufmachen. Wenn schon bloße Aufmerksamkeit einer Expertin zu solchen Rückschlüssen führt, lässt sich ausmalen, was für Ergebnisse spezielle Computerprogramme erzielen können.

Der „Anfangsverdacht“ ergibt sich dann aus der bloßen Blutsverwandtschaft mit Menschen, deren Unschuld durch den Test gerade erst erwiesen wurde. Das löst in mir ein, zugegeben diffuses, ungutes Gefühl aus.

Aber auch juristisch dürften die Erkenntnisse auf wackeligen Beinen stehen. Für DNA-Massentests legt die Strafprozessordnung nämlich ausdrücklich fest, dass die Erbgutmuster nur mit den DNA-Mustern des Spurenmaterials abgeglichen werden dürfen, und zwar auch nur zu der Fragestellung, ob das Spurenmaterial von der betreffenden Person stammt. Von einem Vergleich der Testergebnisse untereinander ist im Gesetz (§ 81h Abs. 1 StPO) nicht die Rede. Also ist er auch nicht erlaubt.

Aber auch wer das alles prima findet, sollte vor der freiwilligen Teilnahme an so einem Test zumindest daran denken, dass seine Speichelprobe Folgen für seine ganze Verwandtschaft haben kann.