Stellen Sie sich nicht so an

Die Polizei in Hannover berichtet von einem Fahndungserfolg. Zwölf Jahre nach der Tat konnte ein mutmaßlicher Vergewaltiger ermittelt werden. Ein DNA-Abgleich brachte die Ermittler auf die Spur des Mannes, der die Tat inzwischen gestanden haben soll.

Die Ermittlungen liefen so ab:

Ende Oktober vergangenen Jahres wurde der bis dahin unerkannte Tatverdächtige in anderer Sache rechtskräftig verurteilt, wegen gefährlicher Körperverletzung. Im Zuge dieses Ermittlungsverfahren war ihm standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden. Sein genetischer Fingerabdruck führte zu einem Treffer in der bundesweit geführten DNA-Analyse-Datei.

Zum Fall möchte ich nichts sagen, sondern zur Informationspolitik der Polizei. Genau genommen nur zu einem Wort in der offiziellen Meldung: Dem Beschuldigten sei standardmäßig eine Speichelprobe entnommen worden, als gegen ihn ermittelt wurde. Das “standardmäßig” taucht heute auch in etlichen Zeitungsberichten über den Fall auf, unter anderem im Hamburger Abendblatt.

Ich weiß nicht, ob die Polizei selbst an das glaubt, was sie schreibt und was die Medien dankenswerterweise nachplappern. Möglicherweise nehmen Beamte heute tatsächlich an, eine DNA-Probe vom Beschuldigten sei ebenso selbstverständlich wie Maßnahmen, die tatsächlich die Regel sind. Fingerabdrücke zum Beispiel. Oder Fotos.

Jedenfalls vertieft die Formulierung beim Leser den Eindruck, den zu vermitteln sich Polizeibehörden und Staatsanwaltschaften seit geraumer Zeit bemühen. Dass es geradezu 08/15 ist, einem Verdächtigen auf der Polizeiwache das Wattestäbchen in den Rachen zu schieben und ihm eine Speichelprobe zu entnehmen.

Wer möchte dem “Standard” widersprechen? Oder sich gar auflehnen, indem er zum Beispiel mal nach dem fragt, was er tatsächlich muss und was nicht. Statt Beschuldigten nämlich die Rechtslage fair zu erklären, werden ihnen heute gerne diverse Formulare vorgelegt. Darunter auch jenes, mit denen sie sich freiwillig mit einer Speichelprobe und dem späteren Eintrag in die DNA-Kartei einverstanden erklären.

Auf die Unterschrift wird dann genau mit der Einstellung gedrängt, die sich auch aus der Verwendung des Begriffs “standardmäßig” in der Polizeimeldung ergibt. Die Unterschrift wird als bloße Formalität dargestellt, nach dem Motto: Ihre Speichelprobe kriegen wir so oder so. Machen Sie es nicht unnötig kompliziert. Stellen Sie sich nicht so an.

Ich bin täglich überrascht, wie viele Beschuldigte einknicken. (Unabhängig von der großen Zahl derer, die Papiere unterschreiben, ohne sie gelesen zu haben.) Dumm nur, dass die suggerierte Rechtslage überhaupt nicht mit der tatsächlichen übereinstimmt. Auch heute sind DNA-Proben kein Standard, sondern die gesetzliche Ausnahme.

Das ergibt sich schon daraus, dass es für die Polizei neben der schriftlichen Einwilligung des Beschuldigten nur einen Weg gibt, an eine DNA-Probe zu kommen. Das ist die richterliche Anordnung. Der Richter wiederum sagt auch nicht “Standard” und nickt jeden Antrag ab. Vielmehr muss er ins Gesetz schauen und abklopfen, ob die Voraussetzungen für einen zustimmenden Beschluss erfüllt sind.

In der Strafprozessordnung ist dann auch keineswegs festgelegt, dass DNA-Proben standardmäßig zulässig sind – und nur in Ausnahmefällen abgelehnt werden sollen. Im Gegenteil: Eine DNA-Probe bei einem Verdächtigen kommt nach richterlicher Anordnung nur in zwei Konstellationen in Frage.

Zunächst ist sie möglich, wenn die DNA mit Spurenmaterial abgeglichen werden soll. Solch fallbezogenes Material darf auch nicht einfach später in die zentrale DNA-Datenbank eingespeist werden. Bei so einer DNA-Probe hätte die Hannoveraner Polizei keinen Fahndungserfolg erzielen können – wenn sie sich selbst an Recht und Gesetz hält.

Womit wir bei der zweiten Möglichkeit wären – der Speicherung des genetischen Profils in der zentralen Datenbank. Hier muss der Richter (nicht die Polizei!) prüfen, ob tatsächliche Gründe die Vermutung zulassen, dass der Beschuldigte künftig Straftaten begehen wird. Nicht irgendwelche Straftaten übrigens. Sondern solche von “erheblicher Bedeutung” oder gegen die sexuelle Selbstbestimmung.

Mir ist schleierhaft, wie man bei solchen Hürden die DNA-Proben als “standardmäßig” bezeichnen kann. Es sei denn, man will Beschuldigte verschaukeln. Und das geltende Recht gleich ein bisschen mit.