Mehr oder weniger verpeilt

Der Chef des deutschen Verfassungsschutzes, Heinz Fromm, räumt mit 63 Jahren seinen Arbeitsplatz. Bundesinnenminister Hans-Peter Friedrich hat Fromm heute entlassen, nachdem dieser selbst darum gebeten hatte.

Grund dürften in erster Linie die bislang nicht vollständig aufgeklärten NSU-Morde sein – und die Rolle, die der Verfassungsschutz spielte. Fromm hatte in den letzten Tagen selbst eingeräumt, wie fragwürdig sich sein Amt in der Angelegenheit verhalten hat und es vermutlich noch immer tut.

Jedenfalls für die aktuellen Entwicklungen trägt die politische Verantwortung aber der Bundesinnenminister selbst. Auch Hans-Peter Friedrich selbst wird deshalb früher oder später dazu Farbe bekennen müssen, wie weit er sein Ressort im Griff hat. Hierzu gehört ja nicht nur der Verfassungsschutz, sondern auch das Bundeskriminalamt. Diese Behörde hat im NSU-Komplex ebenfalls versagt; BKA-Chef Ziercke räumte es vor Tagen selbst ein. Gut möglich also, dass Ziercke als nächster auf der Entlassungsliste steht. Womit der Schutzwall vor Friedrich selbst niedergerissen wäre.

Die weitaus spannendere Frage stellt sich jedoch abseits von schlagzeilenträchtigen personellen Folgen. Brauchen wir einen Verfassungsschutz? Und wenn ja, sollte er nicht zumindest völlig anders organisiert sein? Die bisherige Ausrichtung als ein klassischer Geheimdienst ist jedenfalls untragbar. Für den Bürger erscheint der Verfassungsschutz zu Recht längst als “Staat im Staate”. Selbst die politisch Verantwortlichen haben diesen Moloch offenbar nicht mehr im Griff.

Ich selbst habe in diversen Ermittlungsverfahren Erfahrungen mit dem Verfassungsschutz gemacht. Das waren meist keine guten – sowohl was die Qualität der Arbeit als auch die Aufbereitung der Ergebnisse angeht. Das ist interessanterweise völlig unabhängig davon, ob es gegen mutmaßlich links, rechts, radikal oder terroristisch geht. Mehr oder weniger verpeilt zu sein, gehört beim Amt in Köln wohl zum Berufsbild. Eine Einschätzung, die man übrigens auch von Staatschützern bei der Polizei, bei Staatsanwälten oder Richtern hören kann.

Bei diesem Verfassungsschutz wird es nicht ausreichen, die Putzkolonne durchzuschicken. Es wird sich früher oder später die Frage stellen, ob die sauberste Lösung so aussieht: Zerschlagung, geordneter Neuaufbau bei klarer Beschränkung aufs eigentliche Kerngeschäft. Die Anschlussverwendung vieler etwas einseitig qualifizierter Beamter wäre sicher ein Problem. Aber selbst eine Auffanggesellschaft fürs Däumchendrehen wäre kein zu hoher Preis. Was sich die Telekom leisten kann, sollte für die Demokratie nicht zu teuer sein.

Bericht auf Spiegel online