Hamburger Fälle für Hamburger Richter

Das Hamburger Landgericht arbeitet am Anschlag. So jedenfalls formuliert es Gerichtspräsidentin Sibylle Umlauf in einem aktuellen Bericht des Hamburger Abendblatts (kostenlos nur über Google News abrufbar, Suchbegriff: “Hamburgs Richter”). Wegen akuter Personalnot müssten vielleicht sogar Verdächtige vorzeitig aus der Untersuchungshaft entlassen werden. Schon sechs Große Strafkammern hätten einen Eingangsstopp, weil sie neue Haftsachen nicht bewältigen können.

Die Gerichtspräsidentin beklagt ständige Einsparungen und Stellenstreichungen. Eines allerdings erwähnt sie nicht: Hamburgs Gerichtsbarkeit leistet sich immer noch den Luxus zweier Zivilkammern, die sich praktisch ausschließlich mit Pressesachen beschäftigen. Dabei geht das Einzugsgebiet der hanseatischen Richter weit über Hamburg hinaus.

Tatsächlich strömen aus ganz Deutschland Kläger nach Hamburg, wenn sie juristisch etwas im Äußerungsrecht erreichen wollen. Möglich macht dies der “fliegende Gerichtsstand”. Danach kann man gegen unliebsame Veröffentlichungen an jedem Ort klagen, an dem das Medium erhältlich ist.

Weil es in Hamburg Buchläden, Zeitungskioske und reichlich Internet gibt, fühlen sich die dortigen Presserichter seit jeher berufen, auch Rechtsstreite zu entscheiden, in denen weder der Kläger noch der Beklagte in Hamburg wohnt oder ansässig ist. Das geschieht ohne Not, denn gesetzlich vorgeschrieben ist der fliegende Gerichtsstand keineswegs. Es waren erst Richter selbst, welche die Paragrafen der Zivilprozessordnung so interpretiert haben.

Jedenfalls kann man das mit dem fliegenden Gerichtsstand juristisch auch anders bewerten – wenn man denn will. Einige Gerichte haben in letzter Zeit den fliegenden Gerichtsstand auch mit guten Gründen verneint. Es bedürfte also nur einer gewissen Einsicht der zuständigen Richter, damit in Hamburg Jahr für Jahr nicht mehr hunderte einstweilige Anordnungen beantragt und Prozesse geführt werden, die dort eigentlich nichts verloren haben.

Diese Verfahren würden sich nicht nur geschmeidig auf die 115 weiteren Landgerichte in Deutschland verteilen lassen. Es würde auch wieder mehr Gerechtigkeit herrschen, wenn sich Kläger nicht mehr das “genehmste” Gericht aussuchen können, sondern ihr Glück am örtlich tatsächlich zuständigen Gericht versuchen müssten. In Hamburg würden dagegen beträchtliche Ressourcen frei.

Aber so weit wird es natürlich nicht kommen. Selbst wenn sie es wollte, kann die Hamburger Gerichtspräsidentin die Presserichter nicht anweisen, ihre Liebe zum fliegenden Gerichtsstand aufzukündigen. Dem steht die richterliche Freiheit entgegen. Helfen kann am Ende nur der Gesetzgeber. Ein klarstellender Satz in der Zivilprozessordnung würde reichen, damit Hamburger Richter sich wieder um Hamburger Fälle kümmern.