Hinwendung zu individueller Lebensgestaltung

Keine Zeit. Keine Lust. Oder schlicht was Besseres vor. Es gibt viele Gründe, den Termin zur Bundestagswahl am 22. September zu schwänzen. Ich habe auch einen solchen Grund. Mein Wahllokal liegt in einem Seniorenheim und, fragt nicht, der Besuch dort schlägt mir immer aufs Gemüt.

Aber für all diese Fälle gibt es ja die Briefwahl. Früher war die Briefwahl nur eingeschränkt zulässig. Man musste zunächst einen “wichtigen Grund” nennen, der einen vom Gang ins Wahllokal abhält. Außerdem hatte man diesen Grund “glaubhaft” zu machen. Na ja, ich war zum Glück jedes Mal aus superwichtigem Grund verreist, so dass ich nicht mal schummeln musste. 

Seit einer Gesetzesänderung von 2009 ist alles lockerer. Die Wahlämter dürfen seitdem niemandem die Briefwahl verweigern, der per Brief abstimmen will. Der Zwang, sich für den Wunsch auf Briefwahl zu rechtfertigen, wurde gestrichen.  

Diese Wahlfreiheit wird auch bei der kommenden Bundestagswahl bestehen. Das Bundesverfassungsgericht weist nämlich mit einem aktuellen Beschluss eine Beschwerde gegen das Briefwahlrecht ab.

Die Richter können die Beschwerdegründe durchaus nachvollziehen. Die Briefwahl sei eindeutig störungsanfälliger als die Stimmabgabe in einem Wahllokal. Das gilt gerade für die Möglichkeit, dass gar nicht der Wähler wählt, sondern tatsächlich jemand anderes seine Stimme abgibt – etwa in einem Seniorenheim oder einer Pflegeeinrichtung.

Aber Zeiten ändern sich – das weiß man auch in Karlsruhe. Sie konstatieren eine “zunehmende Mobilität in der heutigen Gesellschaft und eine verstärkte Hinwendung zu individueller Lebensgestaltung”. Mit anderen Worten: Immer weniger Leute kommen ins Wahllokal, weil sie unterwegs sind, keine Zeit oder Lust haben. Dennoch dürften sie nicht einfach so von der Wahl ausgeschlossen werden.

Zwischen den Polen müsse abgewogen werden, so die Richter. Sie entscheiden sich für eine Briefwahl ohne Begründungspflicht (Aktenzeichen 2 BvC 7/10).

Wer in Ruhe per Brief wählen will, muss aber immer noch vorher einen Wahlschein beantragen. Wie das geht, steht hier.