Erst mal plappern lassen

Einen Pflichtverteidiger gibt es erst, wenn mindestens ein Jahr Freiheitsstrafe zu erwarten ist. Mehr als ein Orientierungssatz ist das aber nicht. Das Gesetz kennt andere Konstellationen, in denen man an einen Pflichtverteidiger kommen kann – dann kommt es nicht auf die Höhe der zu erwartenden Strafe an. Ein ganz wichtiger ist die „Schwierigkeit der Sach- oder Rechtslage“.

Im Blog meines Kollegen RA Detlef Burhoff wird ein interessanter Fall beschrieben, der sich genau um diese Schwierigkeit der Sach- und Rechtslage dreht. Es ging um Fahrerflucht. Die Halterin des Pkw erzählte auf der Polizeiwache munter drauflos, der Polizist hörte ihr freundlich zu. Erst nachdem sich die Frau um Kopf und Kragen geredet hatte, belehrte der Beamte die Frau über ihr Schweigerecht. Obwohl im schon lange vorher hätte klar sein müssen, dass die Frau Beschuldigte ist.

Genau so läuft es Tag für Tag an Unfallstellen und auf deutschen Polizeiwachen. Nicht nur in Verkehrssachen. Aber schon diese alltägliche Konstellation, nämlich den Beschuldigten erst mal plappern zu lassen und ihn nicht rechtzeitig über seine Rechte zu informieren, macht die spätere Beiordnung eines Verteidigers notwendig. So zumindest das Landgericht Hannover in einem aktuellen Beschluss (Aktenzeichen 70 Qs 6/17). Das Gericht fasst die Gründe für die Beiordnung so zusammen:

Die Angeklagte, die über keine juristische Vorbildung verfügt, wird die sich vorliegend mit der Einführung und Verwertung von Beweismitteln stellenden Rechtsfragen nicht beantworten können.

Zur Ausrichtung der Verteidigungsstrategie ist eine Auseinandersetzung mit der Frage, ob ein Berufen auf ein Beweisverwertungsverbot verfahrenstaktisch sinnvoll ist, unerlässlich und nur nach Rücksprache mit einem Rechtsanwalt zu beantworten.

Fernerhin können die insofern relevanten Rechtsfragen regelmäßig nur nach vollständiger Aktenkenntnis geprüft werden. Unter Zugrundelegung dieses Beurteilungsmaßstabs ist nach Gesamtwürdigung der Sach- und Rechtslage eine Pflichtverteidigung vorliegend geboten, weil die Annahme eines Beweisverwertungsverbots jedenfalls ernsthaft in Betracht kommt.“

Insgesamt eine gute Nachricht für Betroffene, die nicht das nötige Kleingeld für einen Anwalt haben.

Nachtrag: Ein ähnlicher Fall, diesmal zu Blutproben