Völlig überraschend und total ungerecht

Wiedersehen macht Freude. Das gilt auch für den Strafverteidiger. Allerdings darf er sich das gegenüber der Kundschaft nicht so anmerken lassen. Denn die Mandanten sind ja meistens nicht so glücklich über neuen Ärger, der sie schon wieder zum Anwalt führt.

Echtes Potenzial in dieser Richtung hat die Beziehung zu einem Mandanten, der sich gern mal am Steuer eines Autos von der Polizei anhalten lässt. Das wäre an sich kein Problem, sofern er einen gültigen Führerschein vorweisen könnte. Die Fahrerlaubnis gab es aber nur mal zu besseren Zeiten, und so komme ich dann ins Spiel.

Wir sind jetzt aktuell bei Verstoß Nummer vier in knapp drei Jahren. Natürlich haben sich die Strafen bei jeder Verurteilung erhöht. Allerdings moderat, wie ich finde. Es gab 15, 30, 60 und jetzt aktuell eine Geldstrafe von 90 Tagessätzen. Dass die Strafen derzeit noch sozialverträglich sind, liegt natürlich auch daran, dass der Mandant dem jeweiligen Richter immer eine plausible Geschichte berichten kann, warum er an diesem Tag extrem ausnahmsweise Auto fahren bzw. die Welt retten musste. Wo er doch sonst immer nur brav Straßenbahn fährt.

Es wäre aus Sicht des Mandanten natürlich gut, wenn wir in dieser Frequenz voran schreiten könnten. Da wäre geldstrafemäßig erst mal noch einige Luft nach oben; die Höchstzahl der Tagessätze beträgt 360. Allerdings ist es keineswegs ausgemacht, dass der Mandant nicht doch mal einen böse gelaunten Strafrichter gerät, der sich auch durch einen unermüdlichen Verteidiger nicht aufheitern lässt. Ein Richter, welcher auf der Eskalationsleiter dann womöglich einige Stufen auslässt.

Ich sage dem Mandanten jedes Mal, dass er nicht auf so viel Glück spekulieren sollte, wie es ein Mandant von mir in den Neunzigern hatte. Mit dem war ich 27 Mal wegen Fahrens ohne Fahrerlaubnis vor Gericht. Beim 28. Mal gab’s dann völlig überraschend und total ungerecht erstmals keine Bewährung mehr. Aber das waren, was die Grundbissigkeit der Justiz angeht, auch noch ganz andere Zeiten. Das sage ich dem jetzigen Mandanten immer gerne dazu, wenn er sich die Geschichte mal wieder erzählen lässt.

Ich will mir ja keine Schönfärberei vorwerfen lassen, schon gar nicht von einem echten Stammkunden.