Keine Fragen, bitte: Worum es Christina Block wirklich geht

Im Entführungsprozess gegen die Steakhaus-Erbin Christina Block und weitere Angeklagte in Hamburg entfaltet sich seit einigen Tagen ein strafprozessuales Drama, das man zum Beispiel gut im Ticker der Bild-Zeitung verfolgen kann. Christina Block hat sich entschlossen, auszusagen. Sie nahm stundenlang gegenüber dem Gericht Stellung. Allerdings möchte sie keine Fragen der Nebenklage beantworten. Sicherlich ist die Annahme berechtigt, dass ihr der Rechtsanwalt ihres früheren Ehemanns, dem die gemeinsamen Kinder entzogen worden sein sollen, besonders kräftig zusetzt. Aber führt dies dazu, dass der Nebenklageanwalt nun gar nichts fragen darf, wie es die Block-Anwälte durchsetzen möchten? So einfach ist das alles nicht…

… aber auch nicht sonderlich kompliziert. Es gilt zunächst der uneingeschränkte Grundsatz: Kein Angeklagter muss sich selbst belasten. Er kann was sagen, muss es aber nicht. Überdies ist es absolut unbestritten, dass der Angeklagte sich zu jedem Zeitpunkt auf sein Schweigerecht berufen kann, ohne dies begründen zu müssen. Redselig vor ein paar Minuten, nun eisernes Schweigen – für einen Angeklagten formal kein Problem. Dabei ist es völlig egal, ob das Gericht fragt, der Staatsanwalt, die Nebenklage oder der eigene Verteidiger. Der Angeklagte kann also jederzeit die Antwort auf Fragen verweigern. Kurz gesagt: Er muss gar nichts.

Hat der Angeklagte aber mal was zur Sache gesagt, kann ein Schweigen auf spätere Fragen für ihn trotzdem Probleme mit sich bringen. Und genau darum geht es im Hamburger Prozess. Die Verteidigung hat demgemäß nachvollziehbar versucht, die erwartbar unliebsamen Fragen der Nebenklage von vornherein zu verhindern. Denn jede Frage der Nebenklage, die unbeantwortet bleibt, kann dem Angeklagten schaden. Es gibt zwar den Grundsatz, dass aus dem Schweigen eines Angeklagten keine negativen Schlüsse gezogen werden müssen. Aber genau in dieser Konstellation gibt es – so zumindest die Gerichte – eine Einschränkung: Wenn ein Angeklagter Fragen beantwortet hat, also anfangs typischerweise die Fragen des Gerichts, muss er auch den anderen Frageberechtigten antworten. Ein selektive Schweigen kann das Gericht später als taktisches oder widersprüchliches Verhalten werten, und zwar allgemein bei der Bewertung der Glaubwürdigkeit des Angeklagten. Mit seiner Aussage macht sich der Angeklagte also selbst zum Beweismittel. Wenn er dann aber nicht mehr mitspielt, ist dieser Beweis sozusagen kompromittiert. In welchem Umfang, ist dann gerne Thema von Revisionsprozessen.

Allerdings ist die Verteidigung im Fall Block erwartbar mit dem Versuch gescheitert, die Fragen der Nebenklage insgesamt zu verhindern. Die Nebenklage hat nämlich das Recht zu fragen. Eine Frage nach der anderen. Der Angeklagte muss dann jedes Mal entscheiden, ob er antwortet. Wenn es sich um gute, also für den Angeklagten unangenehme Fragen handelt, können sich verweigerte Antworten natürlich schon gewaltig aufaddieren. Dementsprechend wird die Nebenklage also versuchen, möglichst viele Fragen zu stellen, selbst wenn die Angeklagte sich möglicherweise jeder Antwort verweigert. An Ansatzpunkten für die Nebenklage wird es nicht mangeln, denn die Verteidigungslinie der Angeklagten ist ja, sie habe so gut wie nichts gewusst. Das macht es für einen Nebenkläger leicht, mit Fragen zu Details Widersprüche offen zu legen.

Karikatur: wulkan

Ludwigshafen: In Wirklichkeit Wahlhilfe für die AfD

Für die AfD wird bei der Oberbürgermeisterwahl in Ludwigshafen im nächsten Monat voraussichtlich niemand antreten. Das Oberverwaltungsgericht Rheinland-Pfalz wies heute die Beschwerde des Kandidaten Joachim Paul endgültig ab. Dem beamteteten Lehrer und Landtagsabgeordneten hat der zuständige Wahlausschuss Verfassungsfeindlichkeit nachgesagt, auf Grundlage eines bestellten Dossiers des Verfassungsschutzes.

Auch in Nordrhein-Westfalen wurde heute ein AfD-Kandidat nicht zugelassen. Für mich besteht zwischen diesen traurigen Abgesängen auf eine faire Demokratie und den aktuellen Umfrageerfolgen der AfD ein innerer Zusammenhang. Wenn sich angebliche Demokraten so dreist ihrer Konkurrenten entledigen, geht ein ganz wichtiges Abgrenzungskriterium zu vermeintlich Autoritären verloren. Aber das scheint niemand zu merken.

Vielleicht zieht Paul ja noch vors Bundesverfassungsgericht und versucht es mit einer einstweiligen Anordnung. Die Richter hätten Gelegenheit für ein Machtwort.

Meldung

Nacktbilder „vorab per Mail“

„Vorab per Mail“ steht auf dem Schreiben mit dem sehr schön gestalteten Briefkopf einer mittelgroßen Anwaltskanzlei. Bei dem PDF handelt es sich um eine eher langatmige Abmahnung, jedoch gespickt mit sehr vielen privaten Details. Bei den Details handelt es sich allerdings nicht um Informationen über den Abgemahnten Herrn J. Sondern um Nacktbilder der eigenen Mandantin, die in der Anwaltskanzlei Hilfe gesucht hat. Das gute Dutzend Nacktfotos hat die zuständige Rechtsanwältin liebevoll in den Text eingepflegt, wohl um den geltend gemachten Unterlassungsansprüchen Nachdruck zu verleihen. Bei Nacktbildern macht „Vorab per Mail“ natürlich immer Sinn. Vor allem, wenn man sie ins geschäftliche Postfach des Empfängers pumpt…

Doch vom Anfang an. Unschwer zu erahnen, wird in dem Fall eine gescheiterte Beziehung aufgearbeitet. Herrn J. wird vorgeworfen, er habe sich nicht nur an den übersandten textilfreien Selfies erfreut. Vielmehr habe er diese nach Ende der Beziehung auf irgendwelchen Portalen veröffentlicht und über Burner-Adressen rumgeschickt. Das stört die Ex-Partnerin natürlich. Herr J. bestreitet das alles entschieden, weniger was die Freude beim Betrachten der Bilder angeht, umso mehr aber deren angebliche Verbreitung.

Aber bleiben wir beim Thema. Welchen Sinn macht es zunächst grundsätzlich für einen Anwalt, dem juristischen Gegner Nacktbilder der eigenen Mandantin zu schicken und gleichzeitig zu behaupten, dass dieser Gegner die Bilder ja ohnehin kennt? Natürlich keinen. Noch weniger Sinn macht es, die reich bebilderte Abmahnung „vorab per Mail“ ans Firmenpostfach des Abgemahnten zu schicken. Ist es schön, wenn nun auch die Sekretärin oder gar die ganze Poststelle der Firma weiß, wie die Betroffene nackt aussieht? Ich meine, wenn es neben der Abmahnung auch um eine sofortige Rufschädigung von Herrn J. ging, hätte der Brief alleine genügt. In Unternehmen können die Mitarbeiter normalerweise lesen, und schon alleine der Inhalt hätte Herrn J. zuverlässig zum Mittelpunkt jedes Teeküchentalks gemacht.

Mit der Mail ist Herr J. nicht nur vermeintlicher Täter, sondern nun auch selbst Geschädigter. Auch er hat Persönlichkeitsrechte, eine Privat- und Intimsphäre. Es wird sich von seiner Seite die Frage stellen, ob seine Ex-Partnerin überhaupt wusste, dass die Abmahnung bebildert wird. Ebenso interessant wird sein, ob die Ex-Partnerin der Übersendung der Abmahnung per Mail zugestimmt hat. Grundsätzlich dürfen Anwälte mandatsbezogene Daten nur per Mail übermitteln, wenn sie dafür eine ausdrückliche Freigabe haben. Ich gebe zu, das ist nicht sehr praxistauglich, aber viele Anwaltskammern betrachten E-Mails ohne schriftlichen Zustimmung des Mandanten als Verletzung der Schweigepflicht. Und ich rede von E-Mails ohne angehängte Nacktbilder der Mandantin. Für die Ex-Partnerin ist das insgesamt keine schöne Situation. Hat sie die Abmahnung „vorab per Mail“ ausdrücklich gebilligt, dürfte sie selbst mitverantwortlich für die Folgen sein. Hat sie es nicht, muss sie mit ihrer Anwältin wahrscheinlich ein klärendes Gespräch führen.

Fassen wir zusammen: „Einschreiben/Rückschein“ hätte dicke gereicht.

Karikatur: wulkan

Verfahren gegen den Anwalt von Christina Block

Der Anwalt der Hamburger Steakhaus-Erbin Christina Block ist juristisch unter Beschuss. Die Staatsanwaltschaft Hamburg leitete ein Ermittlungsverfahren gegen den Düsseldorfer Strafverteidiger Dr. Ingo Bott ein. Es geht um Titelmissbrauch.


Bis gestern hatte sich Bott auf seiner Homepage als Prof. Dr. Dr. Ingo Bott vorgestellt. Der Professoren- und ein Doktortitel sollen Bott aber „ehrenhalber“ (h.c.) verliehen worden sein – von peruanischen Universitäten. Nach nordrhein-westfälischem Hochschulrecht müssen Ehrentitel so mit Zusätzen gekennzeichnet sein, dass man sie als solche problemlos erkennen kann. Zum Beispiel mit dem bekannten h.c. für honoris causa. Auch der Erwerb der Titel im Ausland muss normalerweise aufgedeckt werden. Auf Botts Homepage fanden sich zwar Hinweise auf den Ursprung der Titel, aber wohl nur auf einer Unterseite. Der Juraprofessor Holm Putzke hatte öffentlich auf Botts Selbstdarstellung hingewiesen und den Verdacht auf eine Straftat geäußert. Die Staatsanwaltschaft Hamburg bejaht nun immerhin einen Anfangsverdacht.

Bott bezeichnet sich auf seiner Homepage nun nur noch als „Dr.“. Diesen einen Doktortitel hat er übrigens mit einer Dissertation zum Thema „Strafrecht in Extremlagen“ an der Universität Passau erworben. Juraprofessor Holm Putzke, der Bott anzeigte, unterrichtet ebenfalls an der Universität Passau.

Karikatur: wulkan

Wer ist der Verteidiger?

Staatsanwaltschaften wissen natürlich, wer der Anwalt des Beschuldigten ist. Aber dürfen oder gar müssen die Strafverfolger das auch Journalisten verraten, selbst wenn der betreffende Anwalt (noch) nicht zugestimmt hat? Mit genau dieser Frage hat sich jetzt der Bayerische Verwaltungsgerichtshof beschäftigt. Die Antwort ist ein klares nein.

Ein Journalist der Bild-Zeitung recherchierte wegen eines Mordfalls in München. Von der Staatsanwaltschaft wollte er wissen, wer den Verdächtigen verteidigt, erhielt aber keine Auskunft. Sein Antrag auf einstweilige Anordnung blieb erfolglos. Laut dem Münchner Gericht geht der gesetzliche Auskunftsanspruch nicht so weit wie vom Journalisten erhofft. Das Gericht verweist auf die anwaltliche Schweigepflicht. Diese verpflichte den Anwalt alles geheim zu halten, was er im konkreten Fall erfahre. Daraus wird auch das Recht des Anwalts hergeleitet, ohne eigene Zustimmung nicht kontaktiert zu werden. Das sei auch im Interesse des Mandanten. Überdies sei der presserechtliche Auskunftsanspruch auf Fakten gerichtet. Hier gehe es aber eher um die Möglichkeit des Journalisten, Kontakte zu knüpfen und darüber weitere Informationen zu erhalten.

In Hamburg wird die Sache übrigens anders gesehen. Das dortige Oberverwaltungsgericht hat die Staatsanwaltschaft zur Nennung des Anwalts verpflichtet, das Berichterstattungsinteresse der Medien gehe den Rechten des Anwalts vor. Der Bild-Reporter kann im Münchner Fall noch in der Hauptsache klagen (Aktenzeichen 7 CE 1263/25).

USA: Taxidienst soll für Axtmord haften

Ein Axtmord in Sacramento 2020 bringt den Fahrdienstvermittler und Uber-Konkurrenten Lyft vor Gericht – allerdings nicht, weil der Fahrer der Täter war, sondern ein Fahrgast. Die Familie des Opfers klagt, weil Lyft angeblich nicht genug getan hat, um den Vorfall zu verhindern.

Der Täter, ein Fahrgast, soll das Opfer brutal mit einer Axt getötet haben. Allerdings erst nach der Fahrt. Jedoch hatte der Täter schon bei der Fahrt eine große Axt bei sich. Er soll auch gefährlich ausgesehen und sich ebenso verhalten haben. Der Fahrer habe dem Mann auch einen Zwischenstopp erlaubt, bei dem sich der Täter mit Spirituosen und weiteren Utensilien für die Tat ausrüstete. Nach der Ankunft erschlug der Mann eine dreifache Mutter.

Die Angehörigen des Opfers argumentieren, Lyft habe die Tat durch bessere Sicherheitsmaßnahmen verhindern können. Ein kalifornisches Gericht sieht eine mögliche Fahrlässigkeit auf Seiten der Firma, etwa durch unterlassene Schulungen. Das Gericht folgte deswegen dem Antrag von Lyft nicht, die Klage als offensichtlich unbegründet abzuweisen. Vielmehr soll jetzt eine Beweisaufnahme folgen.

Beim Täter selbst dürfte nichts zu holen sein. Er wurde zu einer 40-jährigen Haftstrafe verurteilt.

Jetzt sind sie da, unsere neuen Frauen

„Transfrauen sind Frauen, und deswegen sehe ich da jetzt keinen weiteren Erörterungsbedarf.“ Wir erinnern uns gern an diesen Satz der früheren Familienministerin Lisa Paus, mit dem sie jede weitere Diskussion über ihr sogenanntes Selbstbestimmungsgesetz abzuwürgen versuchte. Unter Assistenz des irgendwann ins woke Lager verirrten liberalen Justizministers Marco Buschmann sollte es der große Wurf werden: die Loslösung des biologischen Geschlechts von staatlicher Kontrolle; die Möglichkeit, mittels „Sprechakt“ das eigene Geschlecht zu ändern – und das sogar jährlich. Und jetzt sind sie da, unsere neuen Frauen: Rechtlich vollwertig, mit Schnauzbart, zweifellos noch vorhandenem Gemächt und einem aktiven Strafregister, weshalb die Justiz sie pflichtschuldig zum Strafantritt ins Frauengefängnis lädt. Ja, wer hätte das ahnen können?

Natürlich jeder, der mal einen Blick in das Gesetz wirft. Und vor allem jene aus dem weiten Regenbogenland, die es so vehement gefordert haben. Witzigerweise sind das genau die Personen, die nun in von der Bild abwärts Zeter, Mordio und Rechtsmissbrauch schreien, weil nun auch die „falschen“ Männer wenigstens zeitweise Frauen sein möchten. Dabei ist das Gesetz doch exakt so formuliert worden wie gewünscht: Die Bestimmung des sozialen und rechtlichen Geschlechts liegt seit Ende letzten Jahres allein bei der betroffenen Person. Es handelt sich um einen reinen Sprechakt – eine Erklärung vor dem Standesamt reicht aus, um den Geschlechtseintrag zu ändern.

Eine medizinische oder psychologische Begutachtung ist nicht erforderlich, und eine Plausibilitätskontrolle ist ausdrücklich nicht vorgesehen. Es kommt nach dem klaren Wortlaut des Gesetzes gerade nicht darauf an, ob sich jemand tatsächlich zu einem anderen Geschlecht zählt oder ob die Änderung ernst gemeint ist. Um mögliche Diskriminierung zu verhindern, soll jeder Mensch selbst entscheiden können – und sein Äußeres darf schon mal gar keine Rolle spielen.

Besonders deutlich wird der Wille des Gesetzgebers am sogenannten Offenbarungsverbot. § 5 des Selbstbestimmungsgesetzes untersagt es audrücklich, die frühere geschlechtlichen Identität ohne Einwilligung des Betroffenen zu offenbaren. Dies unterstreicht das Grundanliegen des Gesetzes: Die selbsterklärte Änderung ist endgültig, sie darf nicht hinterfragt werden. Und wer einen per standesamtlicher Erklärung umgewandelten Mann weiter einen Mann nennt, zahlt Bußgeld. Bis zu 10.000 Euro können es sein.

Das Gesetz ist da, und es muss angewandt werden. Dass ausgerechnet nun jene, die es lautstark forderten, doch wieder nicht damit zufrieden sind und nach Korrekturen rufen, belegt die Richtigkeit der vorgebrachten Bedenken. Nun sind zwar Paus und Buschmann nicht mehr da, dafür aber der Erörterungsbedarf. Die Diskussion verspricht peinlich zu werden.

„Immun-Smoothie“ als Mogelpackung entlarvt

Der Drogeriemarkt dm verkauft einen zuckerhaltigen Obst-Quetschie als „Immun Smoothie für Kinder“. Das hat für Ärger gesorgt – und zwar zu Recht, wie das Landgericht Karlsruhe nun entschieden hat. Der Drogeriemarkt hatte seinen Smoothie mit Sprüchen wie „Dein Immunsystem freut sich“ beworben, was bei Verbrauchern unzweifelhaft den Eindruck erwecken konnte, das Getränk habe eine besondere positive Wirkung auf die Gesundheit. Die Verbraucherorganisation Foodwatch sah darin irreführende Werbung und zog vor Gericht.

Die Werbeaussagen von dm sind unzulässig, weil sie wissenschaftlich nicht haltbar sind, so das Gericht. Konkret ging es um die Vorgaben der Health-Claims-Verordnung (EG Nr. 1924/2006), die regelt, welche gesundheitsbezogenen Aussagen in der Werbung erlaubt sind. Dm hatte behauptet, der Smoothie unterstütze das Immunsystem durch Inhaltsstoffe wie Vitamin C und Zink. Aber das Gericht stellt klar: Solche Aussagen müssen durch allgemein anerkannte wissenschaftliche Erkenntnisse belegt sein – und daran mangelte es hier. Der Smoothie enthielt zwar die genannten Stoffe, aber die konkrete Wirkung bleibt unbelegt.

Außerdem bemängelt das Gericht, die Werbung erwecke den Eindruck eines Gesundheits-Boosters, was laut Gesetz ebenfalls nur mit klaren Beweisen erlaubt ist. Foodwatch feiert das Urteil als Sieg für den Verbraucherschutz (Aktenzeichen 14 O 132/23).

Kind erhält 1 Million Euro Schmerzensgeld

Das Landgericht Göttingen hat ein Rekordurteil gefällt: Eine Million Euro Schmerzensgeld für ein Mädchen, das bei seiner Geburt 2016 schwerste Gesundheitsschäden erlitten hat.

Die Arzthaftungskammer des Gerichts stellt fest, dass dem Krankenhauspersonal mehrere grobe Fehler unterliefen. Weder die Hebamme noch der Arzt leiteten einen dringend notwendigen Notkaiserschnitt ein, obwohl der schlechte Zustand des Babys hätte erkannt werden müssen. Nach der Geburt wurde das Neugeborene nicht ausreichend überwacht, bekam zu wenig Sauerstoff, und der spezialisierte Notdienst der Universitätsmedizin Göttingen wurde nicht rechtzeitig gerufen.

Die Folgen sind dramatisch: Das Mädchen leidet an schwersten körperlichen und geistigen Beeinträchtigungen, kann weder sprechen noch selbstständig essen und braucht rund um die Uhr Betreuung. Eine Besserung ist nicht in Sicht. Das Urteil ist noch nicht rechtskräftig (Aktenzeichen 12 O 85/21).

Kein Pali-Tuch in KZ-Gedenkstätte

Die Gedenkstätte Buchenwald darf Besuchern mit einer Kufiya – dem sogenannten Palästinensertuch – den Zutritt verweigern. Das hat das Thüringer Oberverwaltungsgericht entschieden.

Eine Frau wollte mit dem Tuch die Gedenkstätte besuchen, wurde aber aufgrund der Hausordnung, die politische Symbole verbietet, abgewiesen. Ihr Eilantrag scheiterte bereits in erster Instanz, nun ist die Sache endgültig vom Tisch.

Das Gericht stellt klar: Die Besucherin wollte – auch nach eigenen Angaben – mit der Kufiya eine politische Botschaft gegen die nach ihrer Ansicht verwerfliche pro-israelische Haltung der Gedenkstätte senden. Das könne das Sicherheitsgefühl jüdischer und andersdenkender Besucher beeinträchtigen – gerade in Buchenwald, wo Tausende Juden ermordet wurden.
Das Hausrecht der Stiftung und ihr Auftrag, die Erinnerung an die NS-Opfer zu wahren, wiegt laut den Richtern schwerer als die Meinungsfreiheit der Klägerin (Aktenzeichen 3 EO 362/25).

Hilfe oder Totalkontrolle – Bewährungsbeschluss am Limit

Das Urteil in einer Strafsache war fair. Ich hätte gerne sofort auf Rechtsmittel verzichtet, wäre da nicht der Bewährungsbeschluss gewesen. Meinem Mandanten gibt die Strafkammer folgende Weisung mit auf den Weg:

Der Angeklagte hat von der Kammer beauftragten Amtsträgern der Gerichts-/Bewährungshilfe und von der Polizei auf Verlangen Einblick in die von ihm genutzten Datenträger zu gewähren.

Übersetzt bedeutet das: Während der Bewährungszeit, also in den nächsten drei Jahren, können Computer, Tablets, Mobiltelefon, Tablets, Datenspeicher etc. meines Mandanten kontrolliert werden. Ohne Vorankündigung. Jederzeit. Nicht nur durch den Bewährungshelfer. Sondern auch von der Polizei. Ich habe das starke Gefühl, diese Anordnung geht zu weit. Hier einige Gründe:

Das Gericht kann die Bewährung mit sogenannten Weisungen verknüpfen. Diese sollen dem Betroffenen Hilfe geben, um keine weiteren Straftaten zu begehen. Grundsätzlich macht eine gewissen Kontrolle in dem Fall schon Sinn, das will ich gar nicht abstreiten. Es handelt sich um von meinem Mandanten eingestandene Delikte, die „übers Internet“ begangen wurden. Eine gewisse Wiederholungsgefahr kann man da schon sehen, und dieser Gefahr kann natürlich auch mit einer Weisung begegnet werden. Die Grenze bei Weisungen in Bewährungsbeschlüssen ist allerdings in § 56c StGB recht klar formuliert:

Dabei dürfen an die Lebensführung des Verurteilten keine unzumutbaren Anforderungen gestellt werden.

Für eine Unzumutbarkeit in diesem Sinn spricht schon, dass es sich um eine Art ständiger Überwachung handelt, jedenfalls aber um die Möglichkeit einer ständigen Überwachung. Dieser Kontrolldruck sitzt natürlich im Kopf des Betroffenen. Das Bundesverfassungsgericht sagt aber in mehreren Entscheidungen, dass der Druck durch Weisungen nicht die Resozialisierung gefährden darf, weil sonst die Mittel selbst den Zweck vereiteln. Das ist hier doch der Fall.

Es kommt auch hinzu, dass die Kontrollen weder nach Zeit noch nach Häufigkeit begrenzt sind. Außerdem verstehe ich auf Anhieb nicht, wieso ausgerechnet auch noch die Polizei quasi unbegrenzte Kontrollmöglichkeiten erhalten soll. Es ist doch gerade die Aufgabe der besonders geschulten Bewährungshelfer, den Betroffenen auf seinem Weg zu unterstützen. Von der Polizei vorgenommene Kontrollen wären faktisch Hausdurchsuchungen ohne Anfangsverdacht, also von der Eingriffsintensität etwas ganz anderes als ein Besuch vom Bewährungshelfer.

Insgesamt meine ich, dass das Gericht hier nicht mehr die vom Gesetz vorgesehene „Hilfe“ leistet, sondern sehr einseitig auf Kontrolle setzt und zwar mit übermäßigem Druck. Ich konnte auf die Schnelle in Urteilsdatenbanken keinen so weitgehenden Bewährungsbeschluss finden. Möglicherweise kann das Oberlandesgericht auf meine Beschwerde hin ein klein wenig Rechtsgeschichte schreiben.

Karikatur: wulkan

17 Monate Gerichtsverfahren sind (manchmal) zu lang

Schimmel, Mäuse, verdorbenes Essen: Lebensmittelkontrolleure stießen in einer hessischen Catering-Firma auf zahlreiche Missstände. Darauf dürfen die Behörden auch öffentlich hinweisen. Aber ist das auch noch 17 Monate nach der Kontrolle zulässig? So lange wartete das Amt nämlich mit der Warnung, weil die Firma gegen die Veröffentlichung klagte. Der Fall ging bis vor das Bundesverfassungsgericht.

Die Lebensmittelaufsicht hatte wegen der Klage die Veröffentlichung zurückgestellt. Allerdings sieht das Gesetz vor, dass die Warnungen „unverzüglich“ erfolgen müssen. Die Frage war nun, ob die Prozessdauer mitgerechnet wird oder nicht. Dabei geht das Verfassungsgericht natürlich davon aus, dass Gerichtsverfahren einige Zeit dauern. Aber dass bis zum Urteil in der 2. Instanz in so einer Sache, wo das Tempo sogar im Gesetz steht, 17 Monate vergehen, hält das Gericht nicht mehr für vertretbar. Das Gesetz verlange eine schnelle Veröffentlichung, damit Verbraucher aktuell informiert sind und Unternehmen motiviert werden, sich an die Regeln zu halten. Nach 17 Monaten sage so eine Warnung aber nichts mehr über den aktuellen Zustand des Betriebs. Die Meldung erscheine dann eher wie eine nachträgliche Bestrafung für die Firma, die letztlich nur das Ansehen und den Umsatz des Betriebs schädigt. Eine Rolle spielte natürlich auch, dass die betroffene Firma die Gerichtsverfahren selbst nicht verzögert hat.

Die Warnungen selbst sind bis heute nicht veröffentlicht worden. Das Bundesverfassungsgericht hatte nämlich eine einstweilige Anordnung erlassen und die Bekanntmachung untersagt, offenbar weil die Frage von grundsätzlicher Bedeutung erschien. Die Richter in Karlsruhe ließen sich dann auch selbst Zeit – ziemlich genau ein Jahr dauerte es bis zu ihrer Entscheidung. Der Prozess ist aber noch nicht nicht zu Ende. Die Sache wurde zu erneuter Entscheidung zurückverwiesen (Aktenzeichen 1 BvR 1949/24).

Lehrerin ist über 15 Jahre krank, will aber nicht zum Amtsarzt

Eine Lehrerin in Nordrhein-Westfalen hat seit 2009 keinen Klassenraum mehr von innen gesehen. Sie ist mittlerweile mehr als 15 Jahre krankgeschrieben, und die Landesverwaltung hat das anscheinend nicht sonderlich gestört. Erst im April 2025 ordnete der Dienstherr nun eine amtsärztliche Untersuchung an, um eine mögliche Rückkehr der Lehrerin in den Dienst zu prüfen. Doch die Betroffene fand das weniger gut, sie zog vor Gericht.

Nach so langer Zeit sei ihr eine Untersuchung nicht mehr zumutbar, argumentierte die Beamtin. Das Oberverwaltungsgericht Münster sieht dies jedoch anders. Unabhängig von der Frage, wieso die Frau überhaupt 15 Jahre ohne Überprüfung als dienstunfähig galt, verwirke der Dienstherr durch bloße Untätigkeit keine Rechte. Vielmehr sei es heute umso wichtiger zu prüfen, ob die Frau jemals wieder unterrichten kann. Auch die Untersuchung bei einem Psychiater hält das Gericht für zulässig. Die Beamtin habe selbst Atteste eines Zentrums für Neurologie und Psychiatrie vorgelegt. Somit sei es kein unzulässiger Eingriff in ihr Persönlichkeitsrecht, die Untersuchung auch auf psychische Fragen zu erstrecken (Aktenzeichen 6 B 724/25).

Die Demokratie lässt sich nicht retten, indem man sie abschafft

In Ludwigshafen am Rhein hat der Wahlausschuss, ein Gremium lokaler Politiker, den AfD-Landtagsabgeordneten Joachim Paul von der Kandidatur zur Oberbürgermeisterwahl ausgeschlossen. Begründung: Zweifel an seiner Verfassungstreue. Das Verwaltungsgericht Neustadt an der Weinstraße hat diese Entscheidung gestern bestätigt und Pauls Eilantrag abgelehnt. Die Frage lautet: Was ist das Demokratieprinzip noch wert, wenn Kandidaten vorher nach politischer Opportunität ausgesiebt wurden?

Zunächst einmal ist der Wahlausschuss selbst hochproblematisch. Er setzt sich ausschließlich aus Politikern zusammen – Vertretern etablierter Parteien, die direkt oder indirekt Konkurrenz zu Paul darstellen. Hier entscheidet die Konkurrenz über ihre eigene Konkurrenz, was einen eklatanten Interessenkonflikt darstellt. So argumentiert etwa der Cicero-Magazin, dass der Ausschluss Pauls eine neue Phase im „Kampf für ‚unsere Demokratie'“ markiert, in der der Verfassungsschutz instrumentalisiert wird, um politische Gegner zu diskreditieren. Interne Dokumente, aus denen Cicero zitiert, deuten sogar darauf hin, dass die amtierende Oberbürgermeisterin aktiv beim Verfassungsschutz nach belastendem Material gefragt hat. Denunziation als Teil des demokratischen Prozesses. Wem dabei nicht unwohl wird, dem ist fast nicht zu helfen.

Noch kritischer ist die Rolle des Verwaltungsgerichts. Es hat Pauls Eilantrag abgewiesen mit der Begründung, dass eine Prüfung der Verfassungstreue so kurz vor der Wahl nicht machbar sei. Das Gericht stützt sich dabei rein auf die „Bedenken“ des Wahlausschusses und des Verfassungsschutzes, ohne konkrete Beweise zu fordern oder die Vorwürfe substanziell zu überprüfen. Dabei ist die vom Verfassungsschutz gelieferte Auftragsarbeit nicht mehr als die Zusammenstellung über das, was man zu Paul im Internet finden kann. Das Papier erhebt noch nicht mal den Anspruch auf Vollständigkeit. Das Verwaltungsgericht hätte an dieser Stelle problemlos einhaken und das Spektakel mit der Klarstellung beenden können, dass allenfalls Fakten zählen, die in ihrer Gesamtschau zwingend sind.

Stattdessen erlaubt das Verwaltungsgericht die Aufhebung des Demokratieprinzips und die Einschränkung des passiven Wahlrechts auf bloße, einseitige und eingestandermaßen unvollständige Vermutungen hin. Es priorisiert administrative Hürden und „Zweifel“ zu Lasten des Wählerwillens. Man muss es leider offen sagen: Solche Entscheidungen erinnern an autoritäre Praktiken in anderen Ländern, bei denen der Staat – oder besser: seine politischen Akteure – die Opposition vorab eliminiert und sich noch nicht einmal dafür schämt. In Ludwigshafen zeigt sich, was vom Prinzip der Volkssouveränität übrig zu bleiben droht, wenn der Ausschluss unliebsamer Kandidaten Schule macht.

Wir riskieren mittlerweile sehenden Auges, dass Wahlen zu einer Farce werden, in der nur „genehme“ Kandidaten antreten dürfen. Die Wähler verdienen mehr Respekt – und eine echte Wahl. Und für alle, die mittlerweile an jeder Ecke die „Faschisten“ sehen: Die Demokratie lässt sich nicht dadurch retten, dass man sie abschafft.

Jura in Leipzig ab sofort gendergerecht

Nach jahrelanger Diskussion sind die Würfelinnen gefallen: Jurastudenten studieren künftig nicht mehr an der Ju­ris­ten­fa­kul­tät der Uni­ver­si­tät Leip­zig, so der althergebrachte Name. Der Fachbereich nennt sich künftig Ju­ris­ti­sche Fa­kul­tät.

Der Hauptgrund für die Änderung ist der Wunsch der Universitätsführung nach einer geschlechtsneutralen Formulierung. Statt „Juristen“, was wohl als das generische Maskulinum anzusehen ist, weil Frauen unstreitig an der Fakultät studieren dürfen und seit Jahren sogar die Männer überwiegen, orientiert sich der neue Name laut offizieller Mitteilung am „fachlichen Kern“: dem Recht.

Die Entpersönlichung soll also irgendwie inklusiver wirken und den aktuellen Sprachgebrauch widerspiegeln – wer auch immer den ermittelt. Dekanin Katharina Beckemper, die erste Frau an der Spitze der fast 600 Jahre alten Institution, betont, der neue Name verbinde historische Tradition mit moderner Gleichstellung. Auch die Gleichstellungsbeauftragte Carolin Heinzel sieht die Umbenennung als „überfälliges Signal“, mahnt aber, dass echte Gleichstellung mehr braucht als nur Worte.

Die Umbenennung ist übrigens demokratisch vorbildlich vorbereitet worden. So gab es 2021 eine offizielle Umfrage zur Namensänderung. Bei dieser stimmten 42 % der Fakultätsangehörigen für die Namensänderung. Eine klare Minderheit von 58 % war dagegen