Man könnte mit Würde abtreten. Man kann es aber auch so machen wie die gescheiterte Kandidatin für das Bundesverfassungsgericht Frauke Brosius-Gersdorf mit ihrer heutigen Erklärung. 418 Worte und acht Bulletpoints lang erklärt sie uns, wie ungerecht die Welt ist. Man kann fast froh sein, dass ihre Berater sie nicht zu einem TikTok-Video gedrängt haben, es wäre mit Sicherheit was für die Meme-Hitparade geworden. Aber auch mit ihrem Text belegt die Potsdamer Professorin sehr schön, dass es gute Gründe für ihre Ablehnung gibt. Man darf sehr froh sein, dass die CDU/CSU-Fraktion im Bundestag stark geblieben ist.
Wie schon der Auftritt bei Markus Lanz offenbaren auch die vorläufig letzten Worte der Kandidatin, wie Brosius-Gersdorf das höchste Richteramt der Republik betrachtet: als Karriereoption im öffentlichen Dienst, die frau sich keinesfalls entgehen lassen darf. Ihr Motto lautet: ich, ich, ich. Über dieser Perspektive sind der Kandidatin zwangsläufig zwei Dinge aus dem Blick geraten, sofern sie ihr jemals in den Sinn gekommen sind. Erstens: Schon der leiseste Anschein der Gier nach dieser herausgehobenen Richterstelle ist würdelos und disqualifiziert für das Amt. Zweitens: Es gibt noch ein paar Dutzend, wenn nicht hunderte qualifizierte Juristen in diesem Land, die den Ansprüchen der scharlachroten Richterrobe gerecht werden und überdies konsensfähig wären – fachlich wie menschlich. Jeder weniger egozentrierte Kandidat hätte sich genau mit dem Hinweis auf diese Optionen frühzeitig und mit Anstand selbst aus dem Rennen genommen und sich aufrichtig dafür bedankt, dass man überhaupt an ihn gedacht hat.
Aber nicht so Frauke Brosius-Gersdorf. Sie wirft in ihrer heutigen Erklärung der CDU/CSU im Bundestag vor, diese habe sich „von Kampagnen treiben“ lassen. Geht es noch anmaßender gegenüber der stimmenstärksten Partei im Land? Frau Brosius-Gersdorf: ja. Sie attestiert den Christemokraten ernsthaft, diese hätten sich sogar der „unsachlichen und diffamierenden“ Kampagne gebeugt. Das ist an Herablassung kaum zu überbieten. Ebenso der durchaus oberlehrerhafte Hinweis, die fachliche Kompetenz als zentrales Entscheidungskriterium dürfe nicht von öffentlichen Diskussionen über vermeintliche politische Richtungen oder angebliche persönliche Eigenschaften überlagert werden. Anscheinend hat Frau Brosius-Gersdorf nun abschließend festgelegt, was die Kriterien für die Besetzung einer Richterstelle am Bundesverfassungsgericht sind. Dass ausgerechnet die Stellenbewerberin die Spielregeln für das Auswahlverfahren definieren möchte, ist schon bemerkenswert. Die Abgeordneten entscheiden noch immer frei und nach ihrem Gewissen. Dass dem einen oder anderen Frauke Brosius-Gersdorf vielleicht auch fachlich nicht ganz top notch erschienen sein könnte, kommt der Juristin gar nicht in den Sinn. So sieht Selbstbewusstsein aus.
Weiter rechtfertigt Brosius-Gersdorf nochmals ihre Position zur Menschenwürde. Zentraler Satz: „Der CDU/CSU-Fraktion ist es dagegen nicht gelungen, sich mit meinen Themen und Thesen inhaltlich auseinanderzusetzen.“ Die werten Kritiker sind also alle desinteressiert. Das ist noch die freundlichste Auslegung dieser Worte. Man kann Frauke Brosius-Gersdorf aber auch so verstehen: Alle doof außer Mutti. So was ist nicht nur frech und anmaßend, sondern ein echter Affront gegenüber jedem einzelnen Mitglied des Deutschen Bundestages.
Auch sonst präsentiert sich Brosius-Gersdorf als quasi unfehlbar und im Besitz der Wahrheit. So knöpft sie sich vermeintliche Journalistentrottel in den „Qualitätsmedien“ vor, die sie einfach nicht verstanden haben. Aber nicht nur das, die kritische Analyse ihrer Positionen nennt sie „Desinformation und Diffamierung“. Sie spricht von ehrabschneidendem Journalismus und Kampagnen (alles noch in den „Qualitätsmedien“). Der gescheiterten Kandidatin ist offensichtlich bis heute nicht klar geworden: Jeder, also auch die Medien und sogar Nichtjuristen, dürfen ihre Aussagen zur Kenntnis nehmen und sich darüber ein Urteil bilden. Ja, so einfach ist es.
Aber kein Anwurf ist schwer genug, um ihn noch zu toppen. In den sozialen Medien hätten sich, so Brosius-Gersdorf, organisierte und zum Teil KI-generierte Desinformations- und Diffamierungskampagnen Bahn gebrochen, vor denen dann sogar die Abgeordneten eingeknickt seien. Noch ein Zuschlag an Hybris gefällig? Brosius-Gersdorf stilisiert ihren Fall sogar zur Grundsatzfrage für die „Erhaltung der Demokratie“.
Eine Nummer bescheidener wäre wesentlich bekömmlichere gewesen. Aber vielleicht klappt es damit ja im nächsten Kapitel der Saga, voraussichtliches Thema sind die Plagiatsvorwürfe.