KLAPPE

Man muss auch mal schweigen können.

Wie heute morgen, als mein Mandant auf die ermunternde Frage der Richterin: „So jetzt erzählen sie mal, was an dem Tag gewesen ist“ stumm blieb wie ein Fisch. Natürlich hätte er viel erklären können. Wie er den Jugendlichen X an einer Bushaltestelle kennen lernte. Wie man ins Gespräch kam. Wie er das neue Handy von X bestaunte. Wie das Handy in seine Jackentasche kam. Und wieso X ein blaues Auge und eine verrenkte Schulter hatte.

Aber mein Mandant schüttelte nur den Kopf. Er machte von seinem Aussageverweigerungsrecht Gebrauch. Kein Beschuldigter muss sich zur Sache äußern. Weder bei der Polizei noch vor Gericht. Aus dem Schweigen dürfen auch keine nachteiligen Schlüsse gezogen werden.

In diesem Fall gab es gute Gründe, nichts zu sagen. Die Tat lag anderthalb Jahre zurück. (Unsere Justiz ist nicht die Schnellste.) Es war schon fast dunkel. Das Opfer geht auf die Sonderschule. Das lässt auch für Nichtmediziner Rückschlüsse auf sein Langzeitgedächtnis zu. Und die beiden hatten sich nur kennen gelernt, weil der andere meinen Mandanten fragte, ob er was zum Rauchen verkaufen kann; Marlboro waren nicht gemeint.

Das Opfer konnte zwar flüssig erzählen, wie ihm sein Handy abhanden kam. Doch auf die Frage der Richterin, ob er jemandem im Saal wieder erkennt, schüttelte er treuherzig den Kopf. „Haben sie vielleicht schon mal den Herrn hier vorne gesehen?“ Die Richterin zeigte auf den Angeklagten. Ein gefährlicher Augenblick. Doch auch diesen meisterte das Opfer mit Bravour. „Könnte schon sein, dass er es war.“ Ich erlaube mir einen Zwischenruf: „Könnte aber auch nicht sein?“ „Könnte auch nicht sein.“

Schließlich greift die Richterin zum Rettungsanker. Der Zeuge soll sagen, zu wie viel Prozent er sicher ist, dass der Angeklagte ihn beraubt hat. „15 Prozent.“

Widerwillig grummelt die Richterin einen Freispruch hin.

Man muss auch mal schweigen können.