PRESUMED INNOCENT

Tempomessung durch Nachfahren. Immer eine heikle Angelegenheit. Eine Mandantin hatte auf der A 3 die Herren in Zivil hinter sich. Die Polizisten stellten auf einer längeren Strecke 2 Geschwindigkeitsverstöße fest: 150 km/h bei Tempo 100 und 120 km/h in einer Baustelle mit 80.

Das Protokoll liest sich überzeugend. Insbesondere haben die Beamten 15 % Toleranz abgezogen, wie sich das gehört. Weil mir sonst nichts einfiel, kritisierte ich in meiner Verteidigungsschrift auf gut Glück die Ableswerte. Oder ist es nicht seltsam, dass meine Mandantin so runde Geschwindigkeiten gefahren sein soll?

Der „Messtruppführer“ schreibt in seiner Stellungnahme:

„Die Ablesewerte werden der Einfachheit halber grundsätzlich auf- oder abgerundet.“

Gegen eine Abrundung hätte keiner was einzuwenden. Doch eine Aufrundung verstößt gegen den ehernen Grundsatz presumed innocent = in dubio pro reo = im Zweifel für den Angeklagten.

Wahrscheinlich geht der Polizist – wie lange eigentlich schon ? – davon aus, dass er mit der ohnehin abzuziehenden Toleranz die Aufrundung zu Lasten der Betroffenen auffangen kann. Irrtum: Die Toleranz soll die technische Ungenauigkeit nicht geeichter Tachos (Stichwort: abgenutztes Reifenprofil) unschädlich machen. Und natürlich die unvermeidlichen Ablesefehler bei analogen Anzeigen mildern. Sie legitimiert aber keine bewusste Falschablesung.

Ich schätze mal, jetzt ist eine Einstellung des Bußgeldverfahrens drin. Zumindest werden sich die Beamten das Fahrverbot abschminken können, das sie meiner Mandantin noch auf der Autobahn in Aussicht gestellt haben.