RICHTER KEIN KINDERSCHÄNDER

In München ist ein Richter freigesprochen worden, der einen 13-jährigen Jungen sexuell missbraucht hat, berichtet Spiegel online. Offensichtlich konnte das Gericht sich nicht davon überzeugen, dass sich der Vorsatz des Verdächtigen auch auf das Alter des Kindes erstreckte. Der Junge soll wesentlich älter ausgesehen haben und dem Richter freiwillig in die Toilette eines Spaßbades gefolgt sein.

Vom Grundsatz her ist die Prüfung der Vorsatzfrage sehr wichtig und richtig. Hierzu der Strafrechtskommentar Schönke/Schröder (§ 176 Randnummer 10):

Erforderlich ist die Kenntnis vom Alter des Kindes (vgl. Bay MDR 63, 333); auch insoweit ist bedingter Vorsatz ausreichend (vgl. RG HRR 40 Nr. 1327). Strafbar ist, wem das Alter unbekannt, aber auch gleichgültig war (vgl. RG 75 128); Voraussetzung ist jedoch, daß der Täter die Möglichkeit, das Kind sei unter 14 Jahre alt, nicht ausschließt (vgl. auch Laufhütte LK 14 unter Hinweis auf BGH 4 StR 375/80 v. 21. 8. 80). Er muß deshalb an diese Möglichkeit gedacht haben; hat er sich über das Alter des Kindes überhaupt keine Gedanken gemacht, so liegt auch kein bedingter Vorsatz vor (BGH NJW 53, 152, Gössel I 312, Tröndle/Fischer 12). Glaubt der Täter irrtümlich, das Kind sei noch nicht 14 Jahre alt, so liegt ein nach Abs. 4 strafbarer Versuch vor.

In der Praxis kann man wahrlich nicht behaupten, dass sich Gerichte gerade dieser Vorsatzfrage immer so sorgfältig annehmen, wie dies offensichtlich im Fall des angeklagten Kollegen geschehen ist. Das Urteil wird nach seiner Veröffentlichung mit Sicherheit Pflichtlektüre für Strafverteidiger.

Auf den im Bericht erwähnten Umstand, dass der Junge schon sexuelle Erfahrungen hatte, kommt es beim Vorwurf des Kindesmissbrauchs (unter 14 Jahre) nicht an. Dennoch hat diese Feststellung eine weitere Bedeutung. In Frage kam namlich auch noch sexueller Missbrauch von Jugendlichen:

§ 182 StGB Sexueller Missbrauch von Jugendlichen

(2) Eine Person über einundzwanzig Jahre, die eine Person unter sechzehn Jahren dadurch missbraucht, daß sie
1. sexuelle Handlungen an ihr vornimmt oder an sich von ihr vornehmen läßt oder
2. diese dazu bestimmt, sexuelle Handlungen an einem Dritten vorzunehmen oder von einem Dritten an sich vornehmen zu lassen,
und dabei die fehlende Fähigkeit des Opfers zur sexuellen Selbstbestimmung ausnutzt, wird mit Freiheitsstrafe bis zu drei Jahren oder mit Geldstrafe bestraft.

Wie man sieht, hätte sich der Richter also (nur) dann des Missbrauchs von Jugendlichen strafbar gemacht, wenn dem Jungen die Freiheit zur sexuellen Selbstbestimmung fehlte. Allerdings wäre es aber sehr verkürzt zu sagen, dass alle 14- bis 16-jährigen, die schon sexuelle Erfahrungen haben, bereits sexuell selbstbestimmt wären.

Mich interessiert, ob das Gericht über die Fähigkeit des Jungen zur sexuellen Selbstbestimmung einen Gutachter befragt hat. Ich habe jedenfalls noch keinen Fall von § 182 StGB verhandelt, in dem kein Gutachten über diese extrem schwierige Frage eingeholt worden wäre.

(Danke an Hartmut Nissen für den Link)

Weitere Berichte:
Express
der Standard
Kölnische Rundschau

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