NACHTRÄGLICHE VERMERKE

Die Braunschweiger Zeitung berichtet über den Auftakt des Prozesses gegen einen Strafverteidiger. Dem Fachanwalt für Strafrecht wird üble Nachrede und Beleidigung eines Polizeibeamten vorgeworfen.

Über die Wortwahl des Kollegen kann man sich streiten. Wenn man als Verteidiger aber nicht mehr Schwachstellen der polizeilichen Ermittlungen (fehlende Belehrung) herausarbeiten darf, ist das schlimm. Wenn man nachträgliche (!) Aktenvermerke der Polizisten, die möglicherweise nur eigene Fehler kaschieren und gleichzeitig die Weichen in Richtung Verurteilung stellen, nicht mehr anzweifeln darf, dann gute Nacht.

Auch für die harsche Wortwahl gibt es aber Rechtfertigungsgründe. Zunächst die anwaltliche Freiheit in Verbindung mit der Pflicht, die Interessen des Beschuldigten zu vertreten. Auf die dubiosen Ermittlungen bzw. deren lückenhafte – und damit pflichtwidrige – Dokumentation nicht hinzuweisen, wäre eine Pflichtverletzung des Anwalts gegen seinen eigenen Auftraggeber. Diese Zwickmühle kann nur dadurch gelöst werden, dass man im Zweifel von einer zulässigen Interessenvertretung ausgeht.

Außerdem gibt es da noch § 193 Strafgesetzbuch:

Tadelnde Urteile über wissenschaftliche, künstlerische oder gewerbliche Leistungen, desgleichen Äußerungen, welche zur Ausführung oder Verteidigung von Rechten oder zur Wahrnehmung berechtigter Interessen gemacht werden, sowie Vorhaltungen und Rügen der Vorgesetzten gegen ihre Untergebenen, dienstliche Anzeigen oder Urteile von seiten eines Beamten und ähnliche Fälle sind nur insofern strafbar, als das Vorhandensein einer Beleidigung aus der Form der Äußerung oder aus den Umständen, unter welchen sie geschah, hervorgeht.

Das rechtmäßige Verteidigerhandeln ist Gegenstand dutzender Urteile, und die allermeisten betonen den Vorrang der Wertungs- und Meinungsfreiheit.

Das Bundesverfassungsgericht hat außerdem 1999 entschieden, dass es nicht erschwerend darauf ankommen darf, ob die Äußerung gegen einen Berufskollegen gemacht wurde. Denn, verkürzt gesagt, bestimmte Berufsgruppen genießen keinen besonderen Ehrenschutz. Das dürfte auch für Polizeibeamte gelten.

Der Hinweis des Beamten, er habe den Beschuldigten bei seinem sprudelnden Geständnis „aus Höflichkeit“ nicht unterbrochen, klingt für mich konstruiert. Ausgerechnet dieses Verhalten ist bei Verdächtigen einer Alkoholfahrt, die es noch bis nach Hause geschafft haben, ungewöhnlich. Insoweit muss sich der Beamte auch den Vorwurf gefallen lassen, er habe die Sache (vergessene oder bewusst unterlassene Belehrung) nachträglich zurechtgebogen. Denn der Anwalt darf so lange von dem Sachverhalt überzeugt sein, den ihm sein Mandant schildert, wie nicht gegenteilige Tatsachen in ihm ernsthafte Zweifel wecken.

Ich kann nicht einmal ansatzweise erkennen, wieso der Braunschweiger Kollege seinem Mandanten nicht glauben dürfen sollte. Allein der Akteninhalt hätte bei jedem Kollegen ähnliche Zweifel aufgeworfen.

Letztlich spielt es eine Rolle, wie die Äußerungen gemacht wurden. Hier im vorgesehenen Rahmen, also in einem Schriftsatz an die Staatsanwaltschaft. Wenn man da noch nicht einmal mehr mit Nachdruck Fehler der Ermittler aufzeigen und bewerten dürfen soll, wird es wirklich eng für eine effektive Strafverteidigung.

Die einzige Alternative wäre, aus Furcht vor Verfolgung die Punkte einfach mit eigenständigen Strafanzeigen gegen die Polizeibeamten abzuhandeln. Sachverhalt schildern und um Überprüfung durch die Staatsanwaltschaft bitten. Und die Strafanzeige(n) als Anlagen beifügen.

Ob sich die Ermittlungsbehörden damit einen Gefallen tun? Jedenfalls wäre so eine Gängelei ein mutiger Schritt, damit die deutsche Strafjustiz in den Jahrbüchern der Menschenrechtsorganisationen etwas mehr Erwähnung findet.

Nachtrag: Die Vier Strafverteidiger haben PDFs der wesentlichen Unterlagen ins Netz gestellt. (Sie werden wissen, was sie tun.) Die Schilderungen des Polizeibeamten in der Strafanzeige und in der nachträglichen Stellungnahme enthalten offensichtliche Widersprüche.