MAHNENDES MURMELN

Von Eberhard Ph. Liliensiek (pbd)

Die Justiz in Düsseldorf ist gebeutelt: Der Amtsrichter Heinrich L. (60) hat an die 500 Verfahren in die Verjährung treiben lassen. Gegen ihn ermittelt wegen Verdachts der Rechtsbeugung die Staatsanwaltschaft. Deren Kapazität ist aber auch fast erschöpft – dort stehen drei Schreibtische schlichtweg leer.

Jetzt wurde bekannt: Brigitte N., Vorsitzende Richterin am Landgericht, lieferte wegen „Überlastung“ in wenigstens 14 Fällen absolute Revisionsgründe – in Justizkreisen eine Todsünde. Die wiederum das Oberlandesgericht (OLG) in einem aktuellen Urteil festhält. Danach hat die 61-jährige Richterin vom Sommer 2004 bis vor zwei Monaten 14 Urteile viel zu spät schriftlich formuliert und damit grob und beharrlich gegen ihre Pflichten gehandelt.

Alle Beteiligten wussten davon, erst kürzlich wurde gehandelt.

Die ersten Fälle fielen vor eineinhalb Jahren beim OLG auf. Dort wunderte sich wohl der 1. Strafsenat über die überzogenen 5-Wochen-Fristen, die von der Strafprozessordnung vorgeschrieben sind und ansonsten pingelig eingehalten werden. Denn wenn Urteile in dieser Zeit nicht schriftlich vorliegen, bekommen sie keine Rechtskraft, sie werden automatisch (mit der Revision) angreifbar.

Die Akten gingen jeweils über die Generalstaatsanwaltschaft an der Sternwartstraße zurück zum Landgericht in die Mühlenstraße. In beiden Behörden aber funktionierte das Alarmsystem noch nicht. Und auch Richterin Brigitte N. rührte sich nicht – sie hätte eine „Überlastung“ dem Landgerichtspräsidenten anzeigen können und müssen.

Die Fälle nahmen stark zu. Auch in der Staatsanwaltschaft schwoll das mahnende Murmeln an. Ein auslösender Weckruf war ein Freispruch, dessen Begründung Brigitte N. wieder einmal (im Juli vorigen Jahres) verspätet zu den Akten gereicht hatte. Die Staatsanwaltschaft ging stracks in die Revision – und hatte damit beim OLG den gewünschten Erfolg: „Das Urteil kann keinen Bestand haben, weil der absolute Revisionsgrund vorliegt“.

Und der 1. Strafsenat hielt auch Ende Januar rigoros fest, dass die Arbeitsüberlastung eines Richters im Allgemeinen eine Fristüberschreitung nicht rechtfertigt. Wörtlich: „Dies gilt erst recht, wenn die Überlastung sich über einen längeren Zeitraum erstreckt“. Von einem „Einzelfall“ also könne keine Rede sein.

Fast zeitgleich dann meldete sich Richterin Brigitte N. krank. Sie hinterließ in der von ihr geleiteten 22. Kleinen Strafkammer 220 Verfahren, die vom Präsidium des Landgerichts verteilt wurden: Zehn andere Vorsitzende Richter müssen seitdem die Verhandlungen der 22.Kammer zusätzlich leiten. Sechs andere Richter winkten schon im Vorfeld ab. Sie seien „ausreichend ausgelastet“.

Für einmal mehr zusätzliche Arbeit hat auch ihre Kollegin Brigitte N. gesorgt. Die von ihr verursachten 14 Revisionsfälle wurden alle an das Landgericht zurückverwiesen – und müssen dort neu verhandelt werden. Gegen Brigitte N. wird inzwischen disziplinarisch ermittelt. „Dazu darf ich nichts sagen“, sagt Behördensprecher Ulrich Thole. Es gehe schließlich um eine „Personalsache“.

Unterdessen wurde bekannt, dass ein Amtsrichter die Konsequenzen aus den Aktenbergen um sich herum gezogen hat. Er legte eine „Überlastungsanzeige“ vor. Aus Sorge, von ihm bearbeite Knöllchen-Verfahren könnten verjähren – im Herbst.