Gerichtsshows: üble Nachrede für die Justiz

Was als Rechtskunde fürs Volk gedacht war, hat sich längst zur üblen Nachrede für das deutsche Rechtssystem entwickelt: Gerichtsshows demontieren das Ansehen der Justiz – meint Thomas Melzer, Sprecher des Brandenburgischen Justizministers. Er hat elf Jahre als Richter gearbeitet. Über Salesch & Co. schreibt er in der Berliner Zeitung:

Versuchter Mord mit gefährlicher Körperverletzung, dafür braucht Richterin Salesch eine Dreiviertelstunde. Im wahren Leben dauert so ein Verfahren schon mal ein Dreivierteljahr. Da gibt es auch Prozessregeln und Grundrechte, die im Sat.1-Gerichtsstudio natürlich nur langweilen würden. Hier palavert jeder mit jedem. …

Die Würde der deutschen Justiz ist ungestraft antastbar. Permanent verletzt wird sie insbesondere da, wo die Robenträger würdelos mit den übrigen Verfahrensteilnehmern umspringen. Der Staatsanwalt monologisiert mit Vorliebe seine Vorurteile. Den beruflichen Wechsel Lilli Morgensterns vom horizontalen ins Schönheitsgewerbe kommentiert er mit einer Zote: „Von einem Nagelstudio ins andere, so groß ist der Unterschied ja auch nicht.“ …

Jeder kann hier der Täter sein. Und so spritzen die Verdächtigungen vom Katheder herunter: Irgendwie wird am Richtigen schon was hängen bleiben. Trotz Freispruch für den Angeklagten am Ende – der Paradigmenwechsel ist der eigentliche Skandal dieser Sendung. Es gilt keine Unschuldsvermutung, sondern der Grundsatz „Jedem ist alles zuzutrauen“.

In einem Punkt hat Melzer allerdings nicht Recht: Manchmal, nach meinem Eindruck immer häufiger leiden echte Strafverfahren an ähnlichen Problemen wie die im Fernsehen. Ob’s am Arbeitsdruck liegt, dem allgemeinen Dienstfrust oder der immer ärmlicher werdenden Ausstattung? Die Stimmung wird jedenfalls schlechter, und das geht stets zu Lasten der Sachlichkeit.

(Link gefunden in der Handakte)