System „40“

Gerichtsinterne Post kommt selten an die Öffentlichkeit. Auch wenn das nachfolgende Schreiben eines Amtsgerichtspräsidenten an einen seiner Familienrichter echt aussieht, sollten wir es bis zum Beweis des Gegenteils als Satire betrachten.

Als gelungene allerdings.

Der Präsident des Amtsgerichts
13.04.2007

Herrn Richter am Amtsgericht

hier Ihre Überlastungsanzeige vom 19.03.2007

Sehr geehrter Herr …,

unbestreitbar sind Sie ebenso wie alle anderen Kolleginnen und Kollegen überlastet, legt man die Pebb§y-Zahlen zugrunde, und bedenkt man die Belastung der Familienrichterinnen und -richter unseres Gerichts durch die längere Erkrankung einer Kollegin.

Das Präsidium unseres Gerichts hat meiner Meinung nach die Familienabteilung bei der Geschäftsverteilung fair behandelt. Nach der amtlichen Statistik für 2005 – die Zahlen für das folgende Jahr sind mir noch nicht bekannt – sind in NRW pro Familienrichter 397,73 Eingänge und 410,84 Erledigungen gezählt worden, für den OLG-Bezirk … lauten die entsprechenden Zahlen 410,95 bzw. 426,37 und für das Amtsgericht … .

Sicherlich haben einige von Ihnen in der Vergangenheit zusätzlich wahrgenommene Tätigkeiten Ihre Belastung verschärft. Dazu zähle ich etwa

– die intensive zeitliche und mentale Belastung durch die Erstellung des Fachaufsatzes in einem für Sie meiner privaten Meinung nach ersichtlich fremden Fachbereich;

– die Inanspruchnahme durch den von Ihnen verlorenen Rechtsstreit gegen den Präsidenten des Oberlandesgerichts vor dem Richterdienstgericht;

– Ihre angestrengten Gedanken zu der Ausgestaltung der Betriebsäbläufe des Eil- und Bereitschaftsdienstes bei unserem Amtsgericht und der Staatsanwaltschaft …, die Sie zu mit Schmähungen gegen die Leitende Oberstaatsanwältin und mich versehenen völlig fruchtlosen Dienstaufsichtsbeschwerden veranlassten, auf die Sie die passenden Antworten erhalten haben.

Ich komme gerne meiner Fürsorgepflicht nach und rate Ihnen zuerst, eine Erholungskur zu beantragen. Vielleicht empfiehlt sich auch die Inanspruchnahme des Rats des Sozialen Ansprechpartners. Vor allem aber schlage ich Ihnen zwei gewichtige Änderungen Ihrer Arbeitsweise vor, denn ich bin der Meinung, dass sie erst einmal selbst versuchen sollten, ihre Situation durch eigene Anstrengungen zu verbessern:

1. Meines Wissens nutzen Sie den dienstlich zugeteilten PC in keiner Weise. Benutzen Sie doch einfach einmal die zahlreichen modernen, zeitsparenden und die Arbeitseledigung erleichternden technischen Hilfsmittel der Justiz. Unser Justizmmisterium hat mit viel Aufwand ein tolles technisches Unterstützungssystem für die Rechtsanwender aufgewandt, beginnend von elektronischen Rechtsprechungs- und Literatur-Datenbanken, die den Zugang zu juristischer Fachliteratur erleichtern, bis hin zu speziellen Programmen in Ihrem Fachbereich … . Auch das System JUDICA bringt dem Richter Vorteile. Dies hat alles der Steuerzahler ermöglicht in der Erwartung, dass die Rechtsanwender im Interesse einer schnellen und sachgerechten Streitentscheidung diese technischen Möglichkeiten nutzen. Sie tun dies nicht aus mir persönlich völlig unverständlichen und von mir logisch nicht nachvollziehbaren Gründen. Dann dürfen Sie sich aber nicht über Arbeitsüberlastung beschweren und um Entlastung nachsuchen, die, wie Sie in Kenntnis der finanziellen Situation unseres Landes genau wissen, nur auf Kosten der Kolleginnen und Kollegen verwirklicht werden kann.

2. Vielleicht bringt auch eine Änderung Ihres Zeitmanagements Erleichterung. Ich empfehle Ihnen insoweit die Nutzung des Systems „40″. Es ist einfach in der Anwendung, verblüffend in der Wirkung. Es besteht darin, dass man am Montag um 7.30 Uhr das Gerichtsgebäude betritt, hier acht Stunden lang arbeitet und dies an den folgenden vier Arbeitstagen wiederholt. Ohne dass ich Sie insoweit kontrolliert habe oder durch meinen Rat in das Recht der freien Wahl der Arbeitszeit der Richter eingreifen will, ist mir doch wiederholt aufgefallen, dass Sie erst in den späten Vormittagsstunden, auf dem Rücken einen klitzekleinen Rucksack tragend, unser Gericht betreten und es doch auch oft in den frühen Nachmittagsstunden verlassen. Die Freiheit der Richter von Dienststunden ist ein hohes Gut und sollte sicherlich nicht angetastet werden. Sicherlich denken und arbeiten Sie auch viel andernorts als in unserem Gericht. Dennoch sollten Sie es einmal mit meinem Vorschlag versuchen. Das Ergebnis etwa nach einem halben Jahr – da bin ich mir sicher – wird Sie überraschen.

Sollten meine Vorschläge nicht Ihre Gnade finden, so sollten Sie als letzte Konsequenz ein Ausscheiden aus dem Dienst in Erwägung ziehen. Niemand zwingt uns, Richter zu bleiben und wer in diesem Beruf dauernd unglücklich ist, sich im Gegensatz zu vielen anderen überlastet fühlt, der sollte die notwendigen Schritte einleiten, um, vor allem im Interesse seiner Gesundheit, einen anderen Beruf zu ergreifen.

Mit freundlichem Gruß