Kein Urteil, keine Ladung

Gerade dachte ich kurz, ich bin im falschen Film. Da ruft mich die Mitarbeiterin einer Gerichts-Geschäftsstelle an und fragt ganz erstaunt: „Sind Sie für Herrn L. denn noch tätig?“ Anlass war meine Nachfrage, wann denn mal mit der Berufungshauptverhandlung zu rechnen ist. Haftsachen müssen beschleunigt behandelt werden.

Ich wusste zwar, dass Herr L. mit dem Ergebnis der 1. Instanz nicht zufrieden war. Da lag es nahe, dass er auf den Gedanken kommt, es mit einem anderen (Wahl-)Verteidiger zu probieren. „Ich muss bislang für Herrn L. tätig sein“, antwortete ich der Gerichtsangestellten. „Ich bin als Pflichtverteidiger beigeordnet.“

Wie sich herausstellte, fand bereits letzte Woche die Berufungsverhandlung statt. In Anwesenheit eines anderen Anwalts. Ich bin, obwohl Pflichtverteidiger, nicht zum Termin geladen worden. Das wäre nicht nötig gewesen, wenn mich das Gericht von meiner Aufgabe als Pflichtverteidiger „entpflichtet“ hätte. Aber auch das ist nicht geschehen.

In der Tat herrscht seit der Hauptverhandlung das große Schweigen. Die Gerichte haben es bislang noch nicht mal geschafft, mir das Urteil der 1. Instanz zuzustellen. Wobei ich unterstelle, dass es zumindest schon geschrieben ist.

Man könnte jetzt natürlich Optimist sein und hoffen, dass eine derartige, sorry, Scheißegal-Haltung bei den Beteiligten im Gericht zumindest nicht auf die juristische Arbeit durchschlägt.

Zwingend ist das aber nicht.