Verfahren ohne Boden

Das Landgericht Kleve hat ein schönes Setting. Die Reise dahin machte ich auch mit größten Hoffnungen. Es schien nämlich möglich, um eine Verhandlung in der Sache herzumzukommen und den Prozess wegen eines Verfahrensmangels platzen zu lassen.

Die Anklage datierte aus dem Jahr 2004. Um die Zeit, so lässt sich aus den heutigen Unterlagen rekonstruieren, ging die Ermittlungsakte ans Sozialamt Düsseldorf. Dort hat sie jemand verbummelt. Die Akte wurde dann über die folgenden Jahre wieder einigermaßen rekonstruiert, das Verfahren nahm seinen eher schleppenden Gang.

Ich stieg erst in der Berufung ein. Bei den Unterlagen, die ich einsehen konnte, war kein Eröffnungsbeschluss. Bei näherem Hingucken war es sogar möglich, dass das Verfahren nie wirksam eröffnet wurde. In einem Hauptverhandlungsprotokoll fand sich nur ein Textbaustein, wonach festgestellt wurde, dass das Verfahren eröffnet wurde. Aber weder Datum noch Seite waren ausgefüllt. Verdächtig.

Außerdem entdeckte ich den Vermerk eines Amtsrichters, er beraume jetzt mal einen Termin an, wobei er davon ausgehe, das Verfahren sei schon 2004 eröffnet worden. Er hat also auch keinen Eröffnungsbeschluss in der Akte gefunden; sonst machte der Vermerk ja wenig Sinn.

Warum der Aufwand? Ohne Eröffnungsbeschluss hätte das Amtsgericht in erster Instanz ohne Boden verhandelt. Dieser Beschluss ist die Grundlage für die gesamte weitere Verhandlung. Aus Verteidigersicht besonders schön: Der Beschluss kann in der zweiten Instanz nicht nachgeholt werden. Es besteht vielmehr ein Verfahrenshindernis. Die Sache muss eingestellt werden.

Guter Dinge bat ich also zu Anfang der Verhandlung darum festzustellen, dass das Verfahren ordnungsgemäß eröffnet ist. In der Gerichtsakte fand sich, wie zu erwarten, kein Beschluss. Aber dafür in der Handakte der Staatsanwaltschaft, die ich natürlich nicht einsehen kann.

Allerdings hatte die Staatsanwältin keinen Originalbeschluss. Sondern nur eine beglaubigte Ausfertigung, die ihr das Gericht zugesandt hatte. Man hätte jetzt fragen können, ob die Abschrift das Original ersetzen kann. Ich habe das dann aber nicht mehr getan. Denn es war klar, dass „Haarspalterei“ die bis dahin sachliche Atmosphäre hätte verderben können. Eine Einstellung wegen geringer Schuld auf Kosten der Staatskasse wäre in weite Ferne gerückt.

Zu der Einstellung kam es dann auch. Vielleicht hat das doch nicht ganz alltägliche Vorgeplänkel in allen Beteiligten den Wunsch gefördert, die Sache endlich abzuschließen.