Einen Tick zu viel getrickst

Der Anspruch auf ein faires Verfahren ist ein wesentliches Element des Rechtsstaats. Egal was dem Täter vorgeworfen wird, der Staat darf ihn nicht menschenunwürdig behandeln und ihn nicht austricksen. Nicht übermäßig austricksen, füge ich hinzu. Wo die Grenzen vermeintlich pfiffiger Ermittler überschritten sind, zeigt ein aktuelles Urteil des Bundesgerichtshofs. Leider belegt die Entscheidung auch, in welchem Umfang für manchen Strafverfolger der Zweck mittlerweile die Mittel heiligt.

Ein Mann marokkanischer Herkunft saß in Untersuchungshaft. Er wurde verdächtigt, seine Geliebte umgebracht zu haben. Da diese aber spurlos verschwunden und die Beweislage entsprechend dürftig war, kamen Polizei, Staatsanwaltschaft und Gericht auf eine besondere Idee: Entgegen allen Regeln der Untersuchungshaft sollte ausgerechnet dieser Beschuldigte sonderbehndelt werden, und zwar überraschenderweise besonders freundlich. Ihm wurde erlaubt, mit seiner Ehefrau allein und auf marokkanisch zu sprechen.

Was man dem hocherfreuten Beschuldigten nicht gesagt hat: Das Besuchszimmer, in das er sich mit seiner Frau zurückziehen durfte, war verwanzt. Die aufgenommenen Gespräche dienten im Prozess als Beweismittel gegen den Mann.

Solche Tricksereien gehen dann doch zu weit, urteilt der Bundesgerichtshof:

Die Ermittlungsbehörden haben sich aber in einer Situation, in der dem Angeklagten ein Ausweichen auf ein von ihm selbst gewählten Gesprächsort nicht möglich war, nicht darauf beschränkt, die Gespräche des Angeklagten zu seiner Ehefrau akustisch zu überwachen. Sie haben vielmehr bewusst eine von den üblichen Abläufen in der Untersuchungshaft derart abweichende Besuchssituation geschaffen, dass nicht lediglich ein Irrtum des Angeklagten ausgenutzt wurde.

Vielmehr wurde, anders kann man das Vorgehen nicht verstehen, die Situation – gezielt – zur Erlangung einer gerichtsverwertbaren Selbstbelastung des Angeklagten herbeigeführt. Im Rahmen ihres Vorgehens haben die Ermittlungsbehörden mit mehreren aufeinander abgestimmten Maßnahmen dem Angeklagten den Eindruck vermittelt, er erhalte nun eine Sonderbehandlung und dürfe sich völlig ungestört und ohne jegliche Überwachung mit seiner Ehefrau – noch dazu in marokkanischer Sprache – unterhalten. …

Angesichts dieser Einwirkung auf das Vorstellungsbild des Angeklagten, die ihn zu der Fehlvorstellung gelangen ließ, die Besuche würden nicht überwacht, ist das Vorgehen der Ermittlungsbehörden unter gezielter Ausnutzung der besonderen Situation des Untersuchungshaftvollzuges zur Erlangung einer prozessverwertbaren Selbstbelastung des Angeklagten schon vor dem Hintergrund des verfassungsrechtlich verankerten Verbots eines Zwangs zur Selbstbelastung („nemo tenetur se ipsum accusare“) bedenklich.

Die Tonbänder dürfen nun nicht verwertet werden. Dennoch, ein Schaden für den Rechtsstaat bleibt. Man muss sich nur vergegenwärtigen, diese Aktion hat nicht etwa ein übereifriger Polizist allein durchgezogen. Vielmehr wurde sie über die gesamte befasste Justizkette – vom Polizeipräsidium, über die Staatsanwaltschaft, den Ermittlungsrichter bis zu den Verantwortlichen der Justizvollzugsanstalt – ausgetüftelt, abgesegnet und tatkräftig umgesetzt. Niemand hatte offenbar Zweifel an dem, was er tut. Oder, vielleicht noch schlimmer, nicht den Mut nein zu sagen.

(Urteil vom 29. April 2009, 1 StR 701/08)