Streit um Anwaltshonorare nähert sich dem Ende

Mit dem neuen § 15a des Rechtsanwaltsvergütungsgesetzes ist eine für Rechtsanwälte und Gerichte bedeutsame Änderung des anwaltlichen Vergütungsrechts in Kraft getreten.

Der Gesetzgeber beseitigt Probleme, die in der Praxis aufgrund von Entscheidungen des Bundesgerichtshofs zur Anrechnung der anwaltlichen Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr aufgetreten sind. Zur Erläuterung: Die Geschäftsgebühr entsteht für die außergerichtliche Vertretung des Mandanten, die Verfahrensgebühr für die Vertretung des Mandanten im Prozess.

Hat der Rechtsanwalt den Mandanten in einem Streitfall bereits außergerichtlich vertreten, muss er sich einen Teil der Geschäftsgebühr auf die Verfahrensgebühr anrechnen lassen. Der Grund: Er hat sich durch die vorgerichtliche Tätigkeit bereits in den Fall eingearbeitet.

Gewinnt der Mandant den Prozess, kann er von seinem Gegner stets volle Erstattung der Prozesskosten, aber nur unter besonderen Voraussetzungen Erstattung der außergerichtlichen Kosten verlangen. In mehreren Entscheidungen hat der Bundesgerichtshof die Auffassung vertreten, dass die Verfahrensgebühr nur zu den Prozesskosten zählt, soweit sie nicht durch die Anrechnung einer vorgerichtlichen Geschäftsgebühr getilgt worden ist.

Damit steht der Mandant schlechter, wenn er vorgerichtlich einen Rechtsanwalt eingeschaltet hat, als wenn er ihn sogleich mit der Prozessvertretung beauftragt hätte. Das Vergütungsrecht behindert daher die vorgerichtliche Streiterledigung durch Rechtsanwälte.

Durch das neue Gesetz wird die Wirkung der Anrechnung sowohl im Innenverhältnis zwischen Anwalt und Mandant als auch gegenüber Dritten, also insbesondere im gerichtlichen Kostenfestsetzungsverfahren, ausdrücklich geregelt. Insbesondere ist klargestellt, dass sich die Anrechnung im Verhältnis zu Dritten grundsätzlich nicht auswirkt.

In der Kostenfestsetzung muss also etwa eine Verfahrensgebühr auch dann in voller Höhe festgesetzt werden, wenn eine Geschäftsgebühr entstanden ist, die auf sie angerechnet wird. Sichergestellt wird jedoch, dass ein Dritter nicht über den Betrag hinaus auf Ersatz oder Erstattung in Anspruch genommen werden kann, den der Rechtsanwalt von seinem Mandanten verlangen kann.

Lufthansa gewinnt gegen Kunden 2.0

Die Lufthansa darf ihre Kunden weiter zwingen, Flüge insgesamt anzutreten und keine Teilstrecken auszulassen. Der Bundesverband der Verbraucherzentralen scheiterte vor dem Oberlandesgericht Köln damit, der Lufthansa die Verwendung entsprechender Klauseln zu verbieten.

Somit bleibt das „Cross-Ticketing“ weiter unzulässig. Hierbei kauft der Kunde mehrere Tickets, tritt aber nur jeweils den Hin- oder Rückflug an. Durch Umgehung der Mindestaufenthaltsfristen konnte so richtig Geld gespart werden. Beispielsweise wurden statt eines Normalfluges zwei günstige „Return-Tickets“ gekauft, wobei der Flugkunde von vornherein plante, von dem einen Flug nur den Hinflug und von dem anderen nur den Rückflug in Anspruch zu nehmen.

Unterbinden kann die Lufthansa auch das „Cross Border Selling“. Hier bucht der Kunde beispielsweise einen Flug von Kairo nach Sao Paulo via Frankfurt a. M. Eigentlich will er aber ab Frankfurt fliegen. Das kann sich lohnen, weil etwa das Ticket ab Kairo trotz der längeren Strecke deutlich billiger verkauft wird als der Flug ab Frankfurt.

Diese Praxis wollte die Lufthansa durch Ticketverfall unterbinden, so dass die einzelnen Coupons für Teilflüge ihre Gültigkeit verlieren, wenn sie nicht komplett in der gebuchten Reihenfolge angetreten werden. Der Bundesverband Verbraucherzentralen sah in den entsprechenden Klauseln eine unangemessene Benachteiligung. Die Fluggesellschaft argumentierte demgegenüber, die Klauseln seien zur Stützung ihres Tarifsystems notwendig, damit dieses von den Kunden nicht unterlaufen werde.

Anders als die Vorinstanz hält der 6. Zivilsenat des Oberlandesgerichts Köln es nicht für eine unangemessene Benachteiligung der Flugkunden, wenn diese daran gehindert werden, nur Teile einer gebuchten Flugreise in Anspruch zu nehmen. Die Lufthansa biete Flugreisen zu Preisen an, deren Höhe sich nicht allein an der Länge der Flugstrecke, sondern auch an anderen Kriterien, wie dem Datum der Reise und den Marktverhältnissen am Abflugort orientiere.

Das Tarifsystem biete findigen Fluggästen indes Möglichkeiten, es mit Cross Ticketing oder Cross Border Selling zu umgehen und die Fluggesellschaft so „auszutricksen“. Die Gesellschaft offeriere ihre Flüge zu einem bestimmten von ihr festgelegten Preis. Sie bringe damit zum Ausdruck, zu welchen Konditionen sie bereit ist, den Fluggast an dem von diesem bestimmten Tag in der von ihm gewählten Klasse an den ausgesuchten Zielflughafen zu befördern, und mache deutlich, dass sie nicht willens ist, den Fluggast zu günstigeren Konditionen, also insbesondere zu einem niedrigeren Flugpreis, auf der gleichen Strecke reisen zu lassen.

Daher stelle es eine berechtigte Wahrnehmung ihrer Interessen dar, wenn die Gesellschaft versuche, das Unterlaufen ihrer Tarifstruktur zu verhindern. Der Kunde, der von Anfang an das Ticket nur teilweise nutzen wolle, verdiene auch keinen Schutz.

Das Oberlandesgericht Köln hat die Revision zugelassen. Sofern die Verbraucherzentralen es wollen, wird also der Bundesgerichtshof das letzte Wort haben.

Aktenzeichen Az. 6 U 224/08

Tücke des Sozialrechts

Das Arbeitslosengeld berechnet sich nach dem beitragspflichtigen Arbeitsentgelt. Beitragspflichtiges Arbeitsentgelt ist alles, worauf Sozialabgaben fällig werden.

Jeder Arbeitnehmer kann einen Teil seines Einkommens per Gehaltsumwandlung in eine Direktversicherung einzahlen. Das hat den Vorteil, dass auf den eingezahlten Betrag keine Sozialabgaben fällig werden.

Keine Sozialabgaben für die Gehaltsumwandlung bedeutet aber, das umgewandelte Gehalt ist kein beitragspflichtiges Entgelt. Der Betrag wird somit bei der Berechnung der Höhe des Arbeitslosengeldes nicht berücksichtigt. Das Arbeitslosengeld fällt also entsprechend niedriger aus.

Zum Beispiel bei einem Mandanten von mir, der jeden Monat 200,00 Euro in eine Direktversicherung eingezahlt hat. Geld, das ihm als Neukunden der Agentur für Arbeit nun schmerzlich fehlt.

Werbeanrufe: Unterdrückte Rufnummer ab morgen verboten

Ab morgen gilt ein verbesserter Schutz gegen unerwünschte Werbeanrufe. Diese sind an sich verboten, doch setzen sich unseriöse (und auch seriöse) Firmen immer wieder darüber hinweg.

Nach dem neuen Recht

– können Verstöße gegen das be­steh­en­de Ve­rbot der une­r­la­ub­ten Te­lefo­nwerbung gegenüber Ve­r­b­rauche­rn künftig mit einer Ge­ldbuße bis zu 50.​000 Euro ge­ahn­det werden. Außerdem wird im Ge­setz klarge­ste­llt, dass ein Werbe­an­ruf nur zulässig ist, wenn der Ang­eruf­e­ne vorher ausdrücklich erklärt hat, Werbe­an­rufe er­h­alt­en zu wo­llen;

– dürfen An­ruf­er bei Werbe­an­ruf­en ihre Ruf­n­u­mm­er künftig nicht mehr un­te­r­drücken, um ihre Id­en­tität zu ver­schleiern. Bei Verstößen gegen das Ve­rbot droht eine Ge­ld­st­ra­fe bis zu 10.​000 Euro;

– be­ko­mmen Ve­r­b­raucher mehr Möglichkeit­en, Verträge zu widerrufen, die sie am Te­lefon abg­e­sch­los­sen haben. Verträge über die Lie­fe­rung von Zei­t­un­gen, Zei­t­sch­r­i­ften und Illu­strierten sowie über Wett- und Lotte­rie-​Dienstleistungen können künftig wide­rr­uf­en we­r­d­en so wie es heute schon bei allen an­de­ren Verträgen möglich ist, die Ve­r­b­raucher am Te­lefon abg­e­sch­los­sen haben;

– können sich Ve­r­b­raucher durch eine Ne­uge­st­alt­ung der Widerrufsrechte künftig ohne Ang­abe von Gründen re­ge­lmäßig in­ne­r­h­alb von einem Monat von allen anderen te­lefo­nisch abg­e­sch­los­se­nen Verträgen lösen.

Info-Broschüre der Bundesregierung

Linktausch – Risiken und Nebenwirkungen

Von Markus Stenzel

Fast jeder Webmaster kennt sie: E-Mails, mit denen völlig Unbekannte um Verlinkung ihrer Webseiten bitten. Mit dem Hinweis auf besseres Ranking bei Google & Co. und semantisch zwischen Betteln und Fordern angesiedelt, landen diese Bittsteller zumindest bei mir regelmäßig in Ablage P.

Den Vogel schießt zur Zeit jedoch die Firma Ticketpoint Reisebüro GmbH ab. Im Massenversand werden hier unaufgefordert E-Mails mit Aufforderungen zur Verlinkung an völlig themenfremde Seiten versendet:

Wie Ihnen sicherlich bekannt ist, bewertet z.B. Google eingehende Links für die Positionierung in den Suchmaschinen entsprechend, so dass ein Linktausch für beide Seiten von Vorteil wäre. Wir bieten Ihnen einen Link Ihrer Wahl von einer unserer Webseiten an, bei gleichzeitiger Verlinkung unserer Seite.

Wer hätte nicht gerne einen besseren Google PageRank? Je höher der PageRank, desto eher taucht schließlich die eigene Webseite auf der ersten Seite der führenden Suchmaschine auf. Aber vielleicht schaut man zuvor lieber einmal auf die Regeln beziehungsweise auf das Verfahren, durch das der PageRank berechnet wird.

Zu den Aufgaben einer Suchmaschine zählt nicht nur die Ausgabe aller zu einem Suchbegriff passenden Seiten, sie führen auch Bewertungen durch und sortieren Seiten nach Relevanz. Die Überlegung ist einfach: Wird eine Seite von vielen anderen, ebenfalls guten Seiten verlinkt, dann ist ihr Inhalt hochwertiger, als die Inhalte von weniger verlinkten Seiten.

Dazu wird jeder Internetseite ein geringer Grundwert zuerkannt. Verlinkt nun Seite A auf eine andere Seite B, überträgt A ihren Punktewert auf diese Seite B. B ist somit “informativer” als Seite A: Der PageRank steigt mit wachsender Verlinkung.

Toll, dann verlinke ich Seite B also 50 mal und pushe sie damit auf Platz 1 der Bestenliste?

So einfach lassen sich Suchmaschinen nicht reinlegen. Sie teilen nämlich den Punktewert der Seite durch die Anzahl der externen Links. Hat eine Seite also einen Wert von 5 „Punkten” und 5 ausgehende Links, werden jeder der verlinkten Seiten lediglich 1 Punkt zuerkannt. Hat diese Seite 20 Links, erhält jede verlinkte Seite lediglich ein Zwanzigstel der 5 Punkte, also 0.25 Punkte.

Webmaster können dieser Bewertung übrigens entgegenwirken, indem sie einem Link das Attribut REL=”nofollow” hinzufügen. Suchmaschinen werden diesen Link dann nicht in ihren Algorithmus einbeziehen.

Das Massenmailing der Firma Ticketpoint Reisebüro GmbH zieht im Internet bereits weitere Kreise. Schließlich sind die Webmaster selber vernetzt. Berichte auf BLOGtotal, Y!gg und selbst im Forum des Antispam e.V. lassen vermuten, dass in der Tat große Mengen an Blogbetreibern angeschrieben wurden. In mehreren Fällen wurden die E-Mails an nicht existente Adressen versendet und wurden nur über einen “Catch-All” aufgefangen.

Es liegt nahe, dass Webverzeichnisse und Suchmaschinen durch Robots nach Domainnamen abgegrast werden. Wenn aber nun die Ticketpoint Reisebüro GmbH jeden der Seitenbetreiber zurücklinkt – und die Menge der Links unbegrenzt ist – bleibt für den einzelnen Blogbetreiber kaum etwas des ticketpoint.de-PageRank übrig, denn der Punktewert der Webseiten wird ja auf eine große Menge an Webseiten verteilt.

Eine weitere Folge resultiert aus der Verlinkung völlig themenfremder Webseiten: der Index der Suchmaschinen wird “verwässert”, indem eine Beziehung zwischen völlig unterschiedlichen Themen hergestellt wird, die durch die komplizierten Algorithmen der Suchmaschinenbetreiber ausgefiltert werden müssen.

Auch ist ein Nutzen für die Besucher nicht gegeben: Besuche ich eine Seite zum Thema Recht, erwarte ich eher keinen Link zum Thema “Flug Flüge Billigflüge”. So etwas nennt sich Werbung, ist entsprechend zu kennzeichnen und kostet fast immer Geld.

Was die Firma Ticketpoint Reisebüro GmbH tut, ist keinesfalls illegal. Die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Google untersagen lediglich den Kauf eines Links in sogenannten Linkfarmen. Ticketpoint weiß dies:

Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass wir keinerlei Interesse an käuflichen Links haben, sondern ausschließlich an einem langfristigen Linktausch interessiert sind.

Betrachtet man sich allerdings die Webseite ticketpoint.de mit dem schönen Titel “Flug Flüge Billigflug Billigflüge buchen”, insbesondere den Menüpunkt “Disclaimer” einmal genauer, stößt man auf folgenden Textbaustein:

Der Nutzung von im Rahmen der Impressumspflicht veröffentlichten Kontaktdaten durch Dritte zur Übersendung von nicht ausdrücklich angeforderter Werbung und Informationsmaterialien wird hiermit ausdrücklich widersprochen. Die Betreiber der Seiten behalten sich ausdrücklich rechtliche Schritte im Falle der unverlangten Zusendung von Werbeinformationen, etwa durch Spam-Mails, vor.

Ein Schelm, wer Böses dabei denkt – die dürfen uns also zuspammen, uns wird aber gleich mit dem Rechtsanwalt gedroht? Bin ich der Einzige, der hier an das schöne Wort “Unterlassungserklärung” denkt?

Noch ein prominenter Beteiligter gibt sich auf Ticketpoint.de ein Stelldichein: Die Ticketpoint Reisebüro GmbH ist “Offizieller Partner” des Bundes Deutscher Kriminalbeamter (BDK). Das ist an dem großen, roten Logo an prominenter Stelle unschwer zu erkennen. Die Mitglieder des BDK erhalten bei Buchung auf Ticketpoint.de Rabatte auf ihre Flüge .

Auf Anfrage bestätigte uns ein Mitarbeiter des BDK, die Ticketpoint Reisebüro GmbH sei ein “Offizieller Partner”. Einen Zusammenhang zwischen sinnfreiem Linktausch und unerwünschten Spam-E-Mails konnte er allerdings nicht nachvollziehen. Da das Logo des BDK nicht auf den Seiten zu finden sei, die das Verhalten von Ticketpoint.de diskutieren, sieht der BDK hier auch keinen Handlungsbedarf. Dass sich Ticketpoint mit diesem Partner einen seriösen Anstrich gibt, dürfte jedenfalls kein unerwünschter Effekt sein.

Was tun?

Von einer Teilnahme an dubiosen, wenn auch legalen Linkprogrammen ist abzuraten. Die Suchmaschinen betreiben einen riesigen Aufwand, ihren Index sauber zu halten. Die genauen Algorithmen sind Geschäftsgeheimnis, und so mag es nicht verwundern, dass der eine oder andere Seitenbetreiber durch allzu aggressive “Optimierung” der eigenen Webseite den Unwillen des Algorithmus erregte und prompt für unbestimmte Zeit auf den PageRank 0 verbannt wurde.

Der einzige sichere, allerdings auch dornenreiche Weg zur Verbesserung des eigenen Suchmaschinen-Rankings führt über relevante, interessante und vor allem regelmäßig eingestellt Inhalte.

Die Meinungsfreiheit als Sondermüll

Vor einiger Zeit schrieb Bundesfamilienministerin von der Leyen an Spreeblick, andere Websperren als die kinderpornografischer Angebote seien derzeit nicht geplant. Spreeblick kommentierte das mit einem einzigen Wort:

Derzeit.

Wie zutreffend diese Einschätzung war, zeigte sich schon kurz nach Verabschiedung des Zugangserschwerungsgesetzes. Hinterbänkler forderten reflexartig und ohne jede Schamfrist, auch andere Seiten, zum Beispiel solche mit politischer Propaganda, zu sperren. Auch das Stichwort Urheberrecht fiel. Doch es gab die stille Hoffnung, dass es zumindest den Verantwortlichen klar sein würde, wie sehr sie schon mit der bloßen Einführung einer Zensurinfrastruktur das Grundgesetz und das darauf basierende Empfinden vieler Menschen strapazieren. Und zwar gerade jener, die auf dem Boden des Grundgesetzes stehen.

Doch offensichtlich setzt sich in Politikerkreisen die Auffassung durch, dass der stimmberechtigte Deutsche in der Masse nicht viel von seinem Grundgesetz hält. Und dass eine deutlich größere Gruppe als der Stammtisch es gut finden wird, wenn der Staat den Robocop im Internet gibt, dort mit eisernem Besen säubert – und die Meinungsfreiheit als Sondermüll entsorgt.

Denn nun spricht auch die, zumindest nach außen, treibende Kraft hinter den Internetsperren Klartext. Dem Hamburger Abendblatt stand Familienministerin Ursula von der Leyen Rede und Antwort:

abendblatt.de: Sie argumentieren, Grundregeln unserer Gesellschaft müssten online wie offline gelten. Warum sperren Sie dann nicht auch Internetseiten, die Nazipropaganda verbreiten oder Gewalt gegen Frauen verherrlichen?

Von der Leyen: Mir geht es jetzt um den Kampf gegen die ungehinderte Verbreitung von Bildern vergewaltigter Kinder. Der Straftatbestand Kinderpornografie ist klar abgrenzbar. Doch wir werden weiter Diskussionen führen, wie wir Meinungsfreiheit, Demokratie und Menschenwürde im Internet im richtigen Maß erhalten. Sonst droht das großartige Internet ein rechtsfreier Chaosraum zu werden, in dem man hemmungslos mobben, beleidigen und betrügen kann. Wo die Würde eines anderen verletzt wird, endet die eigene Freiheit. Welche Schritte für den Schutz dieser Grenzen notwendig sind, ist Teil einer unverzichtbaren Debatte, um die die Gesellschaft nicht herumkommt.

Mobben, beleidigen, betrügen. All das kann man im Internet tun. Genau so, wie man es im wirklichen Leben tun kann, zum Beispiel Angesicht zu Angesicht, per Brief, Fax oder Telefon. Aber egal, wie man es macht – es ist strafbar und wird verfolgt. Auch im Internet.

Ich erlebe es als Strafverteidiger Tag für Tag, wie die Polizei akribisch jeder Anzeige wegen Verletzung der persönlichen Ehre nachgeht. Neulich hatte ich den Fall, in dem jemand das Nacktfoto einer Frau im Gästebuch deren ehemaliger Schule gepostet hat. Die Polizei ermittelte aufwendig und überführte einen Ex-Freund als Täter. Das Internet als rechtsfreier Raum? Vielleicht hat der Täter dies zunächst so gesehen wie Frau von der Leyen – nach der Hausdurchsuchung dürfte sich sein Bild gewandelt haben.

Ein anderer, nicht ausgedachter Fall: Der geschmähte Liebhaber malt mit einer Schablone eine obszönen Text auf die Straße, die am Arbeitsplatz der Verehrten vorüber führt. Die Polizei ermittelt, durchsucht, findet unter anderem nicht nur die passende Farbe, sondern auch die Schablone. Der Täter wird verurteilt.

Noch heute, Monate später, ist der derbe Spruch übrigens auf der Straße zu lesen. Ist die Fahrbahn jetzt auch ein rechtsfreier Raum? Hätte sie gesperrt werden müssen, damit der unbescholtene Bürger und die Betroffene an diesem schrecklichen Anblick keinen seelischen Schaden nehmen?

An den Beispielen sieht man, wie unredlich von der Leyens Stammtischargumente sind. Sie nennt kriminelles Handeln, welches bereits heute unter Strafe steht und verfolgt wird. Dann bringt sie die Menschenwürde ins Spiel und postuliert einen Handlungsauftrag des Staates, der weit über die Verhütung und Verfolgung von Straftaten hinausgeht. Eine zugkräftige, gleichwohl aber billige Argumentation, und zwar in mehrfacher Hinsicht:

Die Menschwürde zählt, vereinfacht gesagt, zu den Grundrechten. Sie ist ein Abwehrrecht gegen Eingriffe des Staates. Niemand darf von staatlichen Organen zu einem bloßen Objekt staatlichen Handelns gemacht und seines Selbst beraubt werden; sein Leben ist nicht gegen das Leben anderer abwägbar (ausführliche Beschreibung: Wikipedia).

Frau von der Leyen münzt das Abwehrrecht gegen den Staat in einen Handlungsauftrag des Staates um. Plötzlich ist die Menschenwürde ein Grund für staatliches Eingreifen – der Staat schützt die Menschenwürde seiner Bürger, indem er Dritten den Mund zuhält oder durch Stoppschilder dafür sorgt, dass sie im Internet nicht mehr gelesen, gesehen und gehört werden können.

Das entfernt sich weit vom eigentlichen Sinn und Zweck des Grundrechts auf Menschenwürde. Wie absurd das Ganze ist, zeigt sich an von der Leyens Aussage, die Bewahrung der Menschenwürde begrenze Demokratie und Meinungsfreiheit auf das „richtige Maß“. So werden aus rechtsstaatlichen Grundelementen, die sich bedingen und ergänzen, Gegensätze.

Die böse Absicht darf mittlerweile unterstellt werden.

Die Familienministerin interpretiert also die Menschenwürde um. Von einer Pflicht, welche die äußersten Grenzen staatlichen Handelns umreißt, zum „großen Reinigungsauftrag“ an den Staat. Das mag fürsorglich gemeint sein. Zu viel staatliche Fürsorge in Form der Beschneidung von Grundrechten hat jedoch bisher weder die Demokratie noch die Freiheit gefördert.

Man muss ja nicht die Weimarer Republik bemühen. Das sicherlich ehrlich gemeinte Bonmot des Protagonisten eines vom Selbstverständnis her ebenso fürsorglichen Staates genügt ebenso. Was hatte der Betreffende noch gleich gesagt? „Ich liebe euch doch alle.“

Abgesehen vom offenkundig verfehlten Anwendungsgebiet ist die Menschenwürde kein Allzweckmittel wie ein Schweizer Taschenmesser. Sie zeigt, wie dargelegt, die äußersten Grenzen staatlichen Handelns auf. Die Menschenwürde taugt aber nicht als Regulativ der Freiheit.

Ich fahre jemanden auf der Straße an und verletze ihn schwer. Das Opfer wird sein Leben behindert sein, also grausame Folgen erleiden. Ich habe dann zwar eine fahrlässige Körperverletzung begangen (und werde dafür bestraft), aber ich habe die Menschenwürde des Unfallopfers nicht angegriffen.

Eine Beleidigung ist auch nur ein Angriff auf die persönliche Ehre, aber kein Angriff auf die Menschenwürde. Selbst extreme politische Propaganda, so sehr sie auch schmerzen und empören mag, ist in den allermeisten Fällen eben nur politische Propaganda. Und falls nicht, haben wir dafür taugliche (Sonder-)Gesetze. Sie finden sich im Strafgesetzbuch, nicht im Grundgesetz; Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung sind dort seit jeher unter Strafe gestellt.

Vorhin habe ich beschrieben, wie eifrig und akkurat unsere Polizei jede begründete Strafanzeige ausermittelt, sei es nun ein Gartenzaundelikt oder ein ebay-Betrug mit einem Schaden von 21,50 Euro. Deshalb will ich erwähnen, dass gerade bei Gewaltverherrlichung und Volksverhetzung nach meiner Erfahrung ebenfalls kein rechtsfreier Raum existiert.

Neulich musste ich einem Blogger helfen, weil er auf seiner Seite einen Ausschnitt aus einem Splatterfilm gepostet hat. Weder Polizei noch Staatsanwaltschaft wollten zur Kenntnis nehmen, dass es sich hier nicht um reine Gewaltverherrlichung im Sinne des Gesetzes handelte, sondern um die Abschlussarbeit eines kanadischen Filmstudenten. Dessen Streifen konnte man – nach dreimaligem Würgen – durchaus künstlerische Aspekte und insbesondere eine gesellschaftspolitische Aussage abgewinnen. Das Verfahren endete glimpflich, aber der anfänglich arglose Mandant fragt sich noch heute, in was für eine erkenntnisresistente Maschinierie er da hineingeraten ist. Und was passiert wäre, wenn nicht zumindest die Richterin Augenmaß bewiesen hätte.

So entschieden und rustikal, die Hausdurchsuchung war natürlich inbegriffen, im beschriebenen Fall vorgegangen wurde, so wird auch wegen Volksverhetzung im Internet ermittelt. Strafanzeige genügt, und die Maschinerie rollt.

Allerdings kommt es dann halt auch vor, dass eben nicht alles, was ein (zufälliger) Leser und ein Polizeibeamter für Volksverhetzung oder verbotene Propaganda jedweder Couleur halten, auch solche ist. Mit der Folge, dass sich geschmacklose, unbequeme und für einzelne sicher auch schmerzhafte Inhalte nicht bestrafen und abschalten lassen.

Ich habe das Gefühl, von der Leyens Wunsch nach Sauberkeit zielt auf diese Inhalte. Was mit dem Strafgesetzbuch nicht greifbar ist, aber trotzdem das Volksempfinden, repräsentiert durch Polizeikommissar Hinz und Staatsanwalt Kunz, stört, soll raus aus dem Internet. Oder jedenfalls nicht mehr sichtbar sein.

Wenn man aber nur noch eine Meinungsfreiheit zulassen will, die geschmacklose, unbequeme und für einzelne schmerzhafte Inhalte nicht umfasst, sollte man fairerweise nicht mehr von Meinungsfreiheit sprechen. Von Demokratie vielleicht auch nicht mehr.

Frau von der Leyen mag uns alle lieben. Dieses Gefühl beruht aber langsam nicht mehr auf Gegenseitigkeit.

Dateientausch im Gesetzesverfahren

Auch in Berlin hat man offensichtlich mittlerweile bemerkt, dass auch nationale Gesetze mitunter erst bei der EU ein „Notifizierungsverfahren“ durchlaufen müssen. Das Gesetz zur Einführung von Internetsperren gehört dazu.

Das nun doch noch angestoßene Verfahren hat zunächst zur Folge, dass das Gesetz nicht so schnell in Kraft treten kann wie geplant. Eigentlich sollte es mit den Stoppschildern am 1. August 2009 losgehen.

Anscheinend ist man weiter auf verantwortlicher Seite bemüht, keinen denkbaren Fehler auszulassen. Wie jetzt bei der Notifizierung getrickst wird, lässt sich in den Kommentaren eines Eintrags im beck-blog nachvollziehen.