Wirtschaftliche Vorabexekution

Herr S. schloss Ende vorletzter Woche seine kleine Pizzeria auf, als ihm Mitarbeiter des Zolls ein Schreiben im gelben Umschlag überbrachten. Inhalt war ein Gerichtsbeschluss. Man könnte auch von einem wirtschaftlichen Todesurteil sprechen. Ab sofort war das gesamte Vermögen des Herrn S. beschlagnahmt, alle seine Konten gepfändet. Das Wechselgeld aus der Kasse nahmen die Beamten gleich mit.

„Dinglicher Arrest“ nennt sich das, erlassen vom Amtsgericht. Damit sollen Ansprüche des „Justizfiskus“ gesichert werden. Herr S. kann erst wieder Überweisungen machen, seine Miete, die Stadtwerke oder seine Lieferanten bezahlen, wenn er 53.000 Euro bei der Gerichtskasse hinterlegt. Die er nicht hat.

Herr S. erfuhr erst nach Einfrieren seiner Konten, was ihm überhaupt zur Last gelegt wird. Er soll Sozialabgaben nicht entrichtet zu haben. Der Zoll kann zwar nicht belegen, dass Herr S. Mitarbeiter schwarz beschäftigt hat. Frühere Prüfungen, unter anderem eine Betriebsprüfung auch für Lohnsteuer durch das Finanzamt Ende 2008 blieben ohne nennenswerte Beanstandungen.

Aber es geht eben auch anders – durch Spekulation.

Das sieht dann so aus, dass ein Zollbeamter entscheidet, wie viel Personal für so eine kleine Pizzeria erforderlich ist. Herr S. hat aber nur etwa die Hälfte dieses angeblich erforderlichen Personals auf der Payroll. Die messerscharfe Schlussfolgerung: 50 % des angeblichen Personals arbeitet schwarz. Praktischerweise werden dann auch noch stattliche fiktive Gehälter für dieses fiktive Personal angesetzt. So kommt man zu nicht gezahlten Sozialabgaben in erheblicher Höhe – und die Folgen hieraus sind ganz und gar nicht fiktiv.

Der Steuerberater von Herrn S. war fassungslos, als er sah, wie Beamte den Personalbedarf einer kleinen Pizzeria berechnen. Auch ich kann nur feststellen: Auf so krude Zahlen zu einem „Mindestpersonal“ kann man nur kommen, wenn man die Personaldecken in wasserköpfigen Behörden und das dortige Arbeitstempo auf den Rest der Welt projiziert.

Abgesehen davon hat man im Eifer auch vergessen (und insbesondere nicht erfragt), dass Herr S. Familienangehörige einsetzt. Das nennt sich Familienhilfe und ist nicht zu beanstanden. Selbst wenn man zum Beispiel die Ehefrau und die erwachsene Tochter, die fleißig helfen, nur als einen Arbeitnehmer ansetzt, sieht die offizielle Rechnung schon ganz anders aus.

Nun ist es nicht so, dass Herr S. schon zu irgendwas verurteilt wäre. Das Verfahren hat, wie gesagt, erst begonnen. Aber erst mal werden seine Konten eingefroren – dann schaut man man mal, was sich nach zwei-, vielleicht dreijährigem Prozess so ergibt. Dass Herr S. bis dahin seinen Laden nicht mehr hat, pleite ist und ohnehin nichts mehr zahlen könnte – was soll`s? Falls sich die Vorwürfe nur teilweise oder vielleicht gar nicht belegen lassen sollten, aber, ach was, daran wollen wir doch heute gar nicht denken…

Herr S. hat übrigens noch mal Glück im Unglück. Am Landgericht, das über die Beschwerde für den Arrest zuständig ist, gibt man noch etwas auf den Grundsatz der Verhältnismäßigkeit. Wie es aussieht, wird der Arrest nun auf 10.000 Euro reduziert. Das ist ein Betrag, den ich nach Rücksprache mit meinem Mandanten selbst vorgeschlagen hatte. Vor allem, um kein Alles-oder-nichts-Spiel mit ungewissem Ausgang spielen zu müssen.

Die nun in Rede stehende Summe kann Herr S. stemmen. Sobald die Sicherheit hinterlegt ist, können wir das Verfahren ganz normal durchziehen. Am Ende wird sich zeigen, ob und was an Herrn S. hängen bleibt. Ich tippe mal, er kriegt noch gut was von seinen 10.000 Euro wieder.