Warnung und Denkzettel

Der Blechschaden war nicht der Rede wert. Dumm nur, dass mein Mandant, ein Gelegenheitskiffer, THC im Blut hatte und einiges dafür sprach, dass der Unfall ohne den Einfluss von Cannabis nicht passiert wäre.

Gut aber, dass die Polizei die Akte erst ans Ordnungsamt geschickt hat. Dort lag sie einige Zeit. Schließlich merkte der Sachbearbeiter, dass eine Straftat in Betracht kam. Also Abgabe an die Staatsanwaltschaft. Dort schlummerte die Akte wieder. Schließlich war dann doch eine Anklage fertig, und die Sache ging ans Amtsgericht.

Am Amtsgericht lag die Akte wieder. Vermutlich unten in einem ganz großen Stapel, den der Richter abarbeiten mussste. Nach sieben Monaten dann die Hauptverhandlung.

Normalerweise hätte eine Entziehung der Fahrerlaubnis im Raum gestanden. Allerdings war mein Mandant jetzt schon weitere sieben Monate unfallfrei gefahren und auch sonst nicht aufgefallen. Damit war quasi belegt, dass er eben nicht ungeeignet zum Führen von Kraftfahrzeugen ist.

Schön, wenn Richter das auch so sehen. In meinem Fall bliebt es also erst mal bei einem Fahrverbot von drei Monaten. Und auch das kriegen wir womöglich noch weg. Sofern das Landgericht es nicht zu eilig mit der Berufung hat. Dann sind wieder etliche Monate ins Land gegangen, so dass die Rechtfertigung des Fahrverbotes entfallen sein dürfte. Das Fahrverbot soll Warnung und Denkzettel zugleich sein. Je weiter die Tat zurückliegt, umso weniger entfaltet es diese Wirkung.

Vorfahrt für Menschenrechte

Unter dem Titel „Wenn Menschenrechte nicht gefallen“ habe ich vor drei Wochen einen Beschluss des Oberlandesgerichts Koblenz kritisiert. Das Gericht lehnt mit fadenscheinigen Gründen die Entlassung eines Mannes ab, der seit mehr als zehn Jahren in Sicherungsverwahrung sitzt. Die Koblenzer Justiz stellt sich damit gegen eine Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte. Der EGMR hatte die nachträgliche Verlängerung der Sicherungsverwahrung über zehn Jahre hinaus für unzulässig erklärt, weil sie eine nachträglich eingeführte Strafe ist. Damit müssten alle Verurteilten entlassen werden, deren Sicherungsverwahrung vor Aufhebung der Höchstgrenze von zehn Jahren angeordnet wurde.

Dass es auch anders und, wie ich meine, rechtsstaatlicher geht, zeigt nun eine Entscheidung des Oberlandesgerichts Frankfurt. Die Richter ordneten heute die sofortige Freilassung eines Betroffenen an. Entgegen ihren Koblenzer Kollegen veranstalten die Frankfurter Juristen keinen Eiertanz um die Frage, ob die Europäische Menschenrechtskonvention in Deutschland nicht mehr gilt als jede einfache andere Rechtsnorm, zum Beispiel das Gesetz über den Verkehr mit Milch, Milcherzeugnissen und Fetten (MilchFettG).

Das Oberlandesgericht Frankfurt leitet nämlich aus der Zusage in Artikel 1 der Europäischen Menschenrechtskonvention, wonach allen Bürgern die darin niedergelegten Rechte garantiert werden, jedenfalls einen Anspruch auf jederzeitige und sofortige Umsetzung dieser Zusage ab:

Die Vertragsstaaten der MRK haben sich verpflichtet, in allen Rechtssachen, in denen sie Partei sind, das endgültige Urteil des Gerichtshofs zu befolgen. Diese Pflicht gilt unmittelbar für alle staatlichen Organe, auch die Gerichte. Diese müssen im Rahmen ihrer Zuständigkeit und ihrer Bindung an Gesetz und Recht zunächst in der entschiedenen Sache dem Urteil des EGMR Rechnung tragen, also die festgestellte Konventionsverletzung beenden.

Auch wenn die Entscheidung des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte nur direkt im Ausgangsfall wirke, sei doch aus der Menschenrechtskonvention die unbedingte Verpflichtung des verurteilten Mitgliedstaats abzuleiten, festgestellte Konventionsverletzungen auch in Parallelfällen zu beenden.

Das Koblenzer Oberlandesgericht hatte dagegen spitzfindig argumentiert, der Wortlaut des Verlängerungsgesetzes für die Sicherungsverwahrung, welches formal auf der gleichen Stufe wie die Menschenrechtskonvetion stehe, lasse nun mal keinen Spielraum zu. Deshalb müsse erst das Gesetz geändert werden, dann könne man die Vorgaben des Gerichtshofs umsetzen. Mit anderen Worten: Menschenrechte dürfen erst mal weiter verletzt werden, bis das Gesetz, welches formal die Verletzung dieser Rechte legitimiert, formal außer Kraft gesetzt worden ist. Wenn das nicht mal eine Steilvorlage für andere Fälle ist, in denen es angezeigt erscheint, elementare Rechte „vorübergehend“ nicht zu gewähren.

Mir ist die Frankfurter Entscheidung wesentlich sympathischer. Weil sie klipp und klar sagt, dass Menschenrechte Vorrang und Vorfahrt haben – auch wenn das Ergebnis vielleicht nicht unbedingt gefällt.

Pressemitteilung des Oberlandesgerichts Frankfurt

Wie man sich selbst überlastet

Die Justiz klagt gerne, sie sei überlastet. Aber kaum einer scheint sich Gedanken zu machen, welcher Anteil der Überlastung selbst produziert ist. Zum Beispiel durch von vornherein unsinnige Ermittlungsverfahren, die dann auch noch in achtlos hingeschlurte Anklagen münden. Mit denen sich dann auch noch die Gerichte herumschlagen dürfen.

So eine Anklageschrift habe ich gerade auf dem Tisch. Um die Absurdität zu verstehen, muss ich erst mal die Vorgeschichte erzählen. Aber selbst die ist schon ein Paradebeispiel dafür, wie sich die Justiz selbst blockiert.

Mein Mandant, der auf eine lange Drogenkarriere zurückblickt, wurde am Hauptbahnhof vom Städtischen Ordnungsdienst kontrolliert. Bei seiner Leibesvisitation durch die Mitarbeiter der Stadt fand sich ein Plastikfläschchen mit einigen Tropfen Methadon. Dieses Methadon hatte mein Mandant aus der Praxis des Arztes, der ihn im Methadonprogramm betreute, von seiner Tagesdosis abgezweigt und rausgeschmuggelt. Er wollte damit dem nächtlichen Turkey bekämpfen. Eigentlich muss das Methadon in der Praxis eingenommen werden.

Zunächst mal wurde mein Mandant nach allen Regeln der Kunst angeklagt. Die paar Tropfen Methadon reichten dem emsigen Staatsanwalt zu einem handfesten Verstoß gegen das Betäubungsmittelgesetz. Natürlich hätte es sich bei etwas Empathie angeboten, die Sache wegen Geringfügigkeit einzustellen – und zwar sofort, nachdem die Akte angelegt worden ist.

Die Hauptverhandlung uferte regelrecht aus. Für mich als Verteidiger lag nun mal die Frage nahe, ob und unter welchen Voraussetzungen das Ordnungsamt überhaupt Personen durchsuchen darf und ob hier alles mit rechten Dingen zugegangen ist. Eigentlich geht die Durchsuchung nur, wenn sich eine Person nicht ausweisen kann oder dies verweigert. Dummerweise für die Behörde hatte mein Mandant seinen Personalausweis dabei und zeigte ihn auch vor.

Insgesamt zwei Hauptverhandlungstage wurden die problematischen Rechtsfragen durchgekaut. Bevor es dann zur Vernehmung desjenigen Mitarbeiters kam, der die Durchsuchung angeordnet hatte, zog die Staatsanwaltschaft die Notbremse. Man war nun doch einverstanden, das Verfahren wegen Geringfügigkeit einzustellen. Ich vermute auf Bitten der Stadt, denn die wollte bestimmt kein Präzedenzurteil zu der Frage, ob ihre Ordnungskräfte dürfen, was sie gerne tun.

Letztlich eine teure Einsicht. Das Gericht und ein Staatsanwalt waren über Stunden in Anspruch genommen. Auf dem Flur hockten die Mitarbeiter des Ordnungsamtes, die auf ihre Zeugenaussagen warteten. Im Gerichtssaal saßen ihre Vorgesetzten und, so glaube ich mich zu erinnern, sogar eine markante Nase aus dem Rechtsamt der Stadt.

Wegen der schwierigen Sach- und Rechtslage war ich als Pflichtverteidiger beigeordnet worden. Der Richter ordnete später sogar an, dass die Staatskasse meine vollen Anwaltsgebühren und nicht nur das Pflichtverteidigerhonorar erstatten muss. Das kostete den Steuerzahler knappe tausend Euro.

Damit hätte jetzt Ruhe sein können. Und auch sollen. Aber so mancher Staatsanwalt verschafft sich die Arbeit halt gleich selbst. Mein Mandant hatte in dem soeben geschilderten Prozess erklärt, woher er das Methadon hat. Er sagte damals nur, dass es in der Praxis halt Mittel und Wege gibt, mal den einen oder anderen Tropfen der Tagesdosis ohne Wissen des Personals mit raus zu nehmen. Ich war dabei und weiß, dass er definitiv nicht mehr zu dem Vorgang gesagt hat.

Die anwesende Staatsanwältin hat in der Verhandlung entweder nicht hingehört. Oder ihr fehlt die Fähigkeit (womöglich auch der Wille), das gesprochene Wort unverfälscht aufs Papier zu bringen. Nach ihrem Vermerk soll mein Mandant nämlich erklärt haben, der Methadonarzt habe ihm einen kleinen Teil der täglichen Ration für die spätere Einnahme mitgegeben.

Dieser Vermerk führte zu einem Ermittlungsverfahren gegen den Arzt. Zur großen Überraschung der Staatsanwaltschaft stritt der Arzt ab, meinem Mandanten oder anderen Patienten Methadon mitzugeben. Da es keinerlei Belege außer der falsch wiedergegebenen Äußerung meines Mandanten gab, wurde das Verfahren gegen den Arzt mangels Tatverdachts eingestellt.

Damit hätte jetzt aber wirklich Ruhe sein können. Aber nachdem bereits so viele Steuergelder versenkt worden sind, kommt es auf ein weiteres Ermittlungsverfahren nicht an. Dieses richtet sich zur Abwechslung wieder gegen meinen Mandanten. Praktischerweise hat man wohl gleich darauf verzichtet, meinen Mandanten zum Tatvorwurf anzuhören. Vielmehr wurde, da hat man ja jetzt Übung drin, sogleich eine Anklage erhoben.

Wegen falscher Verdächtigung!

Das Ganze wäre nur halb so traurig, würde sich die Anklage nicht auf eine Äußerung meines Mandanten gründen, die er gar nicht gemacht hat. Ob man vom Arzt persönlich (!) Methadon „mitgegeben“ bekommt oder ob es Mittel und Wege gibt, etwas aus der Praxis mit nach draußen zu nehmen, sind ja wohl zwei paar Schuhe.

Hinzu kommt, dass nicht jede falsche Verdächtigung strafbar ist. Der Täter muss den falschen Verdacht vielmehr in der Absicht äußern, dass gegen den Betreffenden ein Verfahren eingeleitet wird.

Nun lag zum damaligen Zeitpunkt meinem Mandanten nichts ferner, als seinen langjährigen Methadonarzt zum Beschuldigten zu machen. Dagegen spricht ja schon, dass mein Mandant bei seiner Verhandlung noch bei dem Arzt in Behandlung war. Er hatte auch gar nichts gegen ihn. (Immerhin hat er heute eine Erklärung dafür, wieso ihn der Arzt von einem Tag auf den anderen rausgeschmissen hat.)

Es ging meinem Mandanten lediglich darum zu erklären, dass er das Methadon nicht gesondert erworben hat, sondern dass diese Menge an sich zu der Dosis gehört, die er sowieso täglich „offiziell“ schlucken darf. Ein kleiner Unterschied, der aber bei der Schuldfrage viel ausmachen kann.

Abgesehen vom schlichtweg falschen Zitat bleibt also die große Frage nach der Anschwärzungs-Absicht, welche das Gesetz eben nun mal verlangt. Überdies können wir auch gern darüber diskutieren, wieso durch die bloße Einstellung des Verfahrens gegen den Arzt nun automatisch feststehen muss, dass mein Mandant gelogen hat.

Wir werden diese Fragen in Ruhe beantworten, gern auch in ausufernden Hauptverhandlungen. Das Gericht wird mich nämlich wieder als Pflichtverteidiger beiordnen, der von der Allgemeinheit bezahlt wird. Sobald der Beiordnungsbeschluss vorliegt, schreibe ich diesen Beitrag geringfügig um und reiche ihn als Verteidigungsschrift ein.

Was am Ende rauskommt, ist ohnehin jetzt schon einfach zu erraten. Mich plagt nur der Gedanke, wie die findigen Staatsanwälte aus dem Komplex einen weiteren Fall herausschlagen könnten.

Oder umgekehrt?

Polizeiärzte verwenden natürlich Formulare. Bei Blutproben und der begleitenden Untersuchung gibt es das Formular „Ärztlicher Bericht“. Ein ausgefülltes Formular durfte ich gerade lesen, als ich eine Hauptverhandlung vorbereitete. Ein Ausschnitt:

Was will uns der Doktor sagen? Äußerer Einfluss von Alkohol leicht bemerkbar? Und dementsprechend von Drogen nicht? Oder umgekehrt?

Auf solche Feinheiten kommt es durchaus an. Fahren unter Marihuana-Einfluss ist zum Beispiel womöglich nur eine Ordnungswidrigkeit, wenn der Fahrer keine Ausfallerscheinungen hat.

Insgesamt wäre das Ratespiel natürlich noch viel interessanter, wenn auch Medikamente im Spiel gewesen wären.

Flattr – der erste Monat

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Der erste vollständige Monat brachte nun 247,68 €. Danke an alle, die uns geflattert haben.

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Haaransatz und Kinn

Lutz B., Vorsitzender Richter am Oberlandesgerichts in Düsseldorf, bislang noch als eigennütziger Temposünder verdächtigt, ist nun doch einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht Düsseldorf und damit einer Verurteilung entgangen.

Der 62-Jährige hatte sich, wie berichtet, mit einem spektakulären Urteil ins Gespräch gebracht, das wie zugeschnitten auf seinen eigenen Fall passte: B. hatte einem Autofahrer einen rechtskräftigen Freispruch mit der Begründung attestiert, das Überwachungssystem sei nicht vom Gesetz gedeckt gewesen.

B. selbst war zuvor, so zumindest der anfängliche Vorwurf, in Düsseldorf mit 36 km/h zuviel am Steuer seines Wagens in eine ähnliche Kontrolle getappt. Doch beim zuständigen Amtsrichter und einem Gutachter der Düsseldorfer Gerichtsmdedizin gab es Zweifel an der Täterschaft. Ein Navigationsgerät im Fahrzeug hat ein klares Beweisfoto verhindert – zu sehen sind nur Haaransatz und Kinn.

Der zuständige Amtsrichter hat deshalb, mit Zustimmung der Staatsanwaltschaft, das Verfahren sang- und klanglos beendet. Auf Kosten der Staatskasse. Seine Anwaltskosten muss Lutz B. allerdings selbst tragen.

Eine Konsequenz bleibt. B. darf am Oberlandesgericht nicht mehr quasi in eigener Sache entscheiden. Die Zuständigkeit für Ordnungswidrigkeiten – die Rechtsprechung also auch für Geschwindigkeitsüberschreitungen – ist ihm entzogen worden. (pbd)