Verzögerung ist relativ

In einer Hauptverhandlung vor dem Amtsgericht habe ich heute Verfahrensverzögerung geltend gemacht. Und zwar als Strafmilderungsgrund. Obwohl die Taten schon fast drei Jahre zurückliegen, auch gleich aufgedeckt wurden und die Polizei ihre Ermittlungen in knapp 14 Tagen abgeschlossen hatte, lag die Akte die restliche Zeit bei der Justiz auf Halde. Erst bei der Staatsanwaltschaft, dann beim Gericht.

Der Richter fand zu meiner Rüge in der Urteilsbegründung folgende Worte:

Zur langen Verfahrensdauer. Da gibt es Fälle in meinem Dezernat, die wesentlich länger liegen. Es handelt sich also höchstens um ein mittellanges Verfahren.

Verzögerung liegt also nicht vor, weil andere Verfahren noch länger verzögert sind.

Nun ja, das passt eher wenig zur Rechtsprechung, die zum Thema mittlerweile eindeutig ist. In Kurzform: Die Europäische Menschenrechtskonvention gibt dem Beschuldigten einen Anspruch auf ein ein zügiges Verfahren. Drei Jahre Wartezeit sind jedenfalls dann nicht mehr zügig, wenn es keine wichtigen Gründe für die Verzögerung gibt. Die Überlastung der Justiz, ob nun tatsächlich gegeben oder nur so empfunden, ist kein wichtiger Grund.

Allerdings muss ich zur Ehrenrettung des Richters sagen, dass er die Verhandlung fair geführt hat. Außerdem sprach er ein mildes Urteil. Womöglich hat er die Verfahrensverzögerung also doch stillschweigend in Rechnung gestellt und bügelte das Thema nur so brüsk ab, weil er die Verfahrensdauer sowieso „von Amts wegen“ berücksichtigt hätte und meine Anmerkung deshalb absolut überflüssig war.

Nur das kann ich ja leider nicht ahnen.