Karlsruhe sagt Ja zu staatlicher Datenhehlerei

Für einen Anfangsverdacht spielt es keine Rolle, ob sich Behörden bei der Informationsbeschaffung selbst rechtswidrig verhalten haben oder ob ihr Informant strafbar handelte. So sieht es das Bundesverfassungsgericht im Fall der vom Staat angekauften Steuer-CDs aus Liechtenstein. Die Richter wiesen eine Verfassungsbeschwerde gegen die Verwertung dieser Informationen ab.

Gegen die Beschwerdeführer wird wegen Einkommensteuerhinterziehung ermittelt. Das Amtsgericht ließ ihre Wohnungen durchsuchen. Den Anfangsverdacht stützte das Amtsgericht darauf, dass im Rahmen der Ermittlungen gegen einen Liechtensteiner Treuhänder bekannt geworden sei, dass die Beschwerdeführer Geld in Liechtenstein angelegt haben, dessen Erträge sie möglicherweise nicht versteuert haben.

Bei der Akteneinsicht stellten die Beschwerdeführer fest, dass Ausgangspunkt des Verfahrens Informationen des Bundesnachrichtendienstes waren. Um was es genau ging, wurde ihnen nicht mitgeteilt mit der Begründung, die Unterlagen lägen noch nicht einmal der Staatsanwaltschaft selbst vor.

Mit ihrer Verfassungsbeschwerde rügen die Beschwerdeführer die Verletzung ihrer Rechte auf ein faires, rechtsstaatliches Verfahren, ihres Grundrechts auf Unverletzlichkeit der Wohnung in Verbindung mit dem Rechtsstaatsprinzip und der Rechtsschutzgarantie sowie ihres verfassungsrechtlichen Anspruchs auf rechtliches Gehör.

Dem folgt das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Unzulässigkeit oder Rechtswidrigkeit einer Beweiserhebung führt nach seiner Auffassung nicht ohne weiteres zu einem Beweisverwertungsverbot. Dies gelte auch für Fälle einer fehlerhaften Durchsuchung.

Ein Beweisverwertungsverbot sei nur bei schwerwiegenden, bewussten oder willkürlichen Verfahrensverstößen, bei denen die grundrechtlichen Sicherungen planmäßig oder systematisch außer acht gelassen worden sind, geboten. Ein absolutes Beweisverwertungsverbot unmittelbar aus den Grundrechten hat das Bundesverfassungsgericht bislang nur in den Fällen anerkannt, in denen der absolute Kernbereich privater Lebensgestaltung berührt ist.

Vor diesem Hintergrund seien die angegriffenen Entscheidungen nicht zu beanstanden. Es bedürfe keiner abschließenden Entscheidung, ob und inwieweit Amtsträger bei der Beschaffung der Daten nach innerstaatlichem Recht rechtswidrig oder gar strafbar gehandelt oder gegen völkerrechtliche Übereinkommen verstoßen haben. Denn die Gerichte hätten für ihre Bewertung, ob die Daten einem für die Durchsuchung erforderlichen Anfangsverdacht nicht zugrunde gelegt werden dürfen, solche Verstöße der Beamten unterstellt, welche die Steuer-CDs angekauft haben.

Soweit die angegriffenen Entscheidungen nach Abwägung der verschiedenen Interessen zu dem Ergebnis gelangen, dass die Daten aus Liechtenstein verwendet werden dürfen, um den Anfangsverdacht für die Durchsuchung zu begründen, sei dies nachvollziehbar. Die Verwendung der Daten berühre nicht den absoluten Kernbereich privater Lebensgestaltung. Diese betreffen lediglich geschäftliche Kontakte der Beschwerdeführer mit Kreditinstituten.

Außerdem seien Beweismittel, die von Privaten erlangt wurden, selbst wenn diese sich dabei strafbar gemacht hätten, grundsätzlich verwertbar, so dass allein von dem Informanten begangene Straftaten bei der Beurteilung eines möglichen Verwertungsverbotes von vornherein nicht berücksichtigt werden müssen.

Das Gefühl des Überwachtwerdens

Die Polizei darf die Teilnehmer einer kleineren Versammlung nicht dauerhaft mit Kameras ins Visier nehmen. Dies hat das Oberverwaltungsgericht Münster entschieden.

Die Polizei hatte 40 bis 70 Teilnehmer einer Demonstration während ihres gesamten Verlaufs mit einer aufnahmebereiten Kamera beobachtet. Die Kamera übertrug Bilder in Echtzeit auf einen Monitor in einem voranfahrenden Kamerawagen. Bei einem unfriedlichen Verlauf sollten jederzeit Aufnahmen gefertigt werden können.

Wenngleich keine Bilder gespeichert worden waren, hatte bereits das Verwaltungsgericht als 1. Instanz einen Eingriff in die Grundrechte eines Versammlungsteilnehmers auf Versammlungsfreiheit und auf informationelle Selbstbestimmung angenommen. Dieser Eingriff sei auch nicht durch entsprechende Regelungen des Versammlungsgesetzes gedeckt gewesen sei.

Danach darf die Polizei Bild- und Tonaufnahmen von Teilnehmern bei öffentlichen Versammlungen nur anfertigen, wenn tatsächliche Anhaltspunkte die Annahme rechtfertigen, dass von ihnen erhebliche Gefahren für die öffentliche Sicherheit oder Ordnung ausgehen. Diese Voraussetzungen lagen nicht vor.

Nun ist auch das Oberverwaltungsgericht der Argumentation der Polizei nicht gefolgt, einer gesetzlichen Ermächtigung bedürfe eine Bildübertragung nur, wenn Aufnahmen gespeichert würden. Schon die konkrete Kameraübertragung sei geeignet gewesen, bei den Versammlungsteilnehmern das Gefühl des Überwachtwerdens mit den damit verbundenen Unsicherheiten und Einschüchterungseffekten zu erzeugen.

Aufgrund der Dauer des Einsatzes und der geringen Teilnehmerzahl sei auch ohne Speicherung eine intensive, länger andauernde und nicht nur flüchtige Beobachtung selbst einzelner Versammlungsteilnehmer auf dem Monitor möglich gewesen. Der Kameraeinsatz habe sich damit deutlich von bloßen Übersichtsaufnahmen unterschieden, die bei Großdemonstrationen zur Lenkung eines Polizeieinsatzes unter Umständen erforderlich seien. Auch die reine Beobachtung durch begleitende Beamte erzeuge nicht denselben Effekt wie Kameras, die ständig auf einen gerichtet sind.

Oberverwaltungsgericht Münster, Beschluss vom 23. November 2010, Aktenzeichen 5 A 2288/09

M+S, das Gütesiegel ohne Profil

Vielleicht noch heute, möglicherweise morgen oder übermorgen. Sie wird aber diese Woche noch kommen: die neu gefasste, ausdrückliche Winterreifenpflicht. Der Bundesrat hat einer Änderung der Straßenverkehrsordnung zugestimmt, die jetzt noch im Bundesgesetzblatt veröffentlicht werden muss. Damit ist, so der Verkehrsminister, schnell zu rechnen.

Die Neuregelung war nach einem Urteil des Oberlandesgerichts Oldenburg im Juli notwendig geworden. Das Gericht hatte Bußgelder bei falscher Bereifung für verfassungswidrig erklärt; es hielt die Regelungen für zu schwammig. Der neue Paragraf soll dagegen klarstellen, dass es mit Sommerreifen bei Glatteis, Schneeglätte, Schneematsch, Eis- oder Reifglätte nicht getan ist.

Ob der neue Paragraf den Anforderungen der Gerichte genügt, wird sich zeigen.

Ein Angriffspunkt ist bei der neuen Regelung schon offensichtlich. Aus irgendeinem Grund versteift sich der Gesetzgeber darauf, M+S-Reifen zu verlangen. Zu den M+S-Reifen sollen laut der begleitenden Stellungnahme des Bundesrates aber auch Ganzjahresreifen zählen. Seltsam, denn so weit ich weiß tragen längst nicht alle Ganzjahresreifen auch tatsächlich das M+S-Symbol.

Überhaupt: M+S soll für „Matsch und Schnee“ stehen. Was das aber von einem Reifen abverlangt, ist nirgends verbindlich geregelt. Die Stiftung Warentest hat auf dem deutschen Markt reine Sommerreifen gefunden, die aber trotzdem ein M+S-Symbol haben. Die Pneus stammen von Billigherstellern. An den Karren fahren kann diesen Produzenten niemand, eben weil es keine technischen Mindeststandards für das Symbol gibt. Es kontrolliert auch niemand, ob ein Reifen zu recht als „M+S“ gelabelt ist. Wie auch, ohne Norm.

Es wird also interessant sein zu sehen, ob man wegen eines fehlenden M+S-Symbols tatsächlich ein Bußgeld zahlen muss. Immerhin ist es bei Sommerreifen in gutem Zustand sicher möglich zu argumentieren, dass der aufgezogene Reifen auch ohne M+S-Symbol bessere Fahreigenschaften hat als einer der erwähnten M+S-Reifen, die gar keine sind. Ob man es juristisch an einem Symbol festmachen kann, das letztlich nichts aussagt, bezweifle ich.

Hinzu kommt: Die Mindestprofiltiefe soll auch bei M+S-Reifen im Winter 1,6 Millimeter betragen. Der ADAC hat schon erklärt, dass Winterreifen mindestens 4 Milllimeter Profil haben müssen, um bei Winterwetter Fahrvorteile zu bieten. Wer also mit neuen Sommerreifen erwischt wird, kann auch auf deren hervorragenden Zustand hinweisen. Ob neue Sommerreifen gegenüber einem M+S-Reifen mit dem Mindestprofil dann wirklich so viel schlechter sind, ist eine berechtigte Frage. Je nach Einstellung wird ein Richter auch die passende Antwort darauf finden.

Die Probleme sind den Verantwortlichen sogar bewusst. Der Bundesverkehrsminister hat sich deshalb auch mit dem Hinweis beeilt, jetzt werde auf europäischer Ebene schnellstmöglich an einem Qualitätsstandard für das M+S-Symbol gearbeitet. Damit wird es aber vor 2012 nichts werden.

Was nichts anderes heißt, als dass erst mal munter weiter vor Gerichten über die Winterreifenpflicht gestritten wird. Ein erneutes Fiasko für den Gesetzgeber möchte ich dabei nicht ausschließen.

Städte dürfen keine „Sozialdetektive“ einsetzen

Kommunen dürfen keine „Sozialdetektive“ einsetzen, die bei Verdacht auf Leistungsmissbrauch verdeckt ermitteln. Das Thüringer Oberverwaltungsgericht sieht in der geheimen Überwachung einen rechtswidrigen Eingriff in das Persönlichkeitsrecht der Betroffenen.

Die Stadt Eisenach zahlte für ein Kind den Kindergartenbeitrag. Das Eisenacher Sozialamt hatte den Verdacht, die Mutter des Kindes lebe mit einem Mann in einer eheähnlichen
Lebensgemeinschaft. Das Einkommen des Mannes wäre dann zu berücksichtigen gewesen. Um den möglichen Leistungsbetrug nachweisen zu können, beauftragte die Stadt einen Außendienstler mit verdeckten Ermittlungen.

Der Sozialdetektiv kontrollierte sechs Monate lang in bestimmten Abständen die Betroffenen. Er observierte die Mutter und ihren vermeintlichen Freund, um dessen Aufenthalte in der Wohnung belegen zu können. Außerdem befragte der Ermittler Nachbarn.

In erster Instanz hielt das Verwaltungsgericht Meiningen die Ermittlungen für rechtmäßig. Dem folgte das Oberverwaltungsgericht Thüringen nicht. Die Maßnahmen verletzen laut der mündlichen Urteilsbegründung das Recht auf informationelle Selbstbestimmung. Es gebe nämlich keine gesetzliche Grundlage, die derartige Methoden erlaubt. Sozialdaten dürften nur unter sehr engen Voraussetzungen ohne Mitwirkung des Betroffenen erhoben werden. Keine dieser Voraussetzungen sei erfüllt.

Thüringer Oberverwaltungsgericht, Urteil vom 25.11.2010, 3 KO 527/08

Ich nehme mir ein Recht

Als Googles Street View freigeschaltet wurde, habe ich mich spontan geärgert. Die Straße, in der ich wohne, sieht auf Street View so aus:


Größere Kartenansicht

Nur ein Haus ist vermummt. Die Golzheimer Straße 128 in Düsseldorf.

Da wohne ich.

Eine oder mehrere Parteien aus dem Haus haben also bei Street View widersprochen. Das war ihr Recht, welches ihnen Google unter erheblichem Druck zugestanden hat, obwohl es juristisch nicht notwendig war.

Ich will jetzt nicht das Pro und Contra Street View auswalzen, sondern auf einen anderen Aspekt hinweisen: den Verlust des demokratischen Prinzips in der Hausgemeinschaft. Wer auch immer für das Haus widersprochen hat, hielt es nicht für erforderlich, seine Mitbewohner zu fragen, was diese denn davon halten. Kein Tagesordnungspunkt auf der Eigentümerversammlung, kein Aushang am Schwarzen Brett im Treppenhaus, kein persönliches Wort. Irgendjemand knipst die Golzheimer Straße 128 in Düsseldorf aus dem Internet – und seine Nachbarn, obwohl hiervon nun selbst betroffen, wissen noch nicht mal warum.

Vielleicht hätte ja ein Gespräch gereicht, um die Bedenken des Bedenkenträgers zu zerstreuen. Mutmaßte er vielleicht, Street View sei so eine Art Webcam und jeder kann nun in sein Zimmer gucken, wenn er die Vorhänge aufzieht? Oder verschreckten ihn die diffusen, teilweise grotesken Ängste vor dem Datenmonster Google, die Ilse Aigner, Thilo Weichert und viele andere mehr zur besten Sendezeit im Fernsehen artikulieren durften?

Man hätte das ja mal besprechen können. So wie die Eigentümer ja auch darüber sprechen, ob das Treppenhaus saniert oder das Dach erneuert wird. Alles Aktionen der letzten Jahre. Bei denen saßen wir auch mit der Verwaltung an einem Tisch. Es gab durchaus Meinungsverschiedenheiten (und Abstimmungen). Aber nichts hat dazu geführt, dass man sich bei einer Begegnung im Treppenhaus nicht mehr grüßt…

Wie das heute so ist, kenne ich meine Nachbarn nicht näher. Jedoch würde ich von keinem annehmen, dass er so bräsig ist, vor dem Absenden des Widerspruchs nicht mal einen Gedanken daran zu verschwenden, was wohl seine Nachbarn von der Aktion halten. Statt aber kurz Bescheid zu sagen und sich vielleicht sogar einer Diskussion zu stellen, werden vollendete Tatsachen geschaffen. Aus dem Hinterhalt. Und anonym. Das ist zwar formal nicht zu beanstanden. Aber trotzdem feige.

Das verstimmt mich nicht nur diffus, sondern auch aus wirtschaftlichen Gründen. Mir gehört nicht nur eine Wohnung in dem Haus. Es ist jetzt schon absehbar, dass die Vermietungschancen durch die Verpixelung des Objekts sinken. Weil Mietinteressenten natürlich Street View nutzen, wenn sie nach Düsseldorf ziehen wollen. Aber auch weil die vermummte Fassade jedenfalls für mich als Wohnungssuchenden ein Warnsignal wäre: Vorsicht, da leben empfindliche Gestalten; Ärger programmiert?

Vor diesem Hintergrund nehme ich mir heute auch mal ein Recht. Das auf Panoramafreiheit. Ein Recht, für das in der deutschen Geschichte gekämpft wurde. Ich zeige nun also heute, einfach mal so, weil es mir Spaß macht, mein Wohnhaus in aller Öffentlichkeit:


(Golzheimer Straße 128, 40476 Düsseldorf. Foto für private und kommerzielle Nutzung frei)

Auf Panaramio habe ich das Bild auch mal hochgeladen. Falls Bedenkenträger aus dem Haus nun hierüber aus den Löchern kriechen und mit mir diskutieren möchten, sage ich schon jetzt ganz gepflegt: F… o.. .

Gericht will keinen fliegenden Gerichtsstand

Wenn es Streit um Onlineveröffentlichungen gibt, klagen Anwälte gern am Sitz ihrer Kanzlei. Noch lieber aber bei einem Gericht, das für genehme Urteile bekannt ist. Wo auch immer der Rechtsstreit landet – der Ort des Gerichts hat mit den Parteien des Rechtsstreits oft gar nichts zu tun. Insbesondere wohnen dort weder Kläger noch Beklagter. Aber da das Internet auch dort empfangbar ist, besteht halt eine Zuständigkeit.

Das ist der fliegende Gerichtsstand. Ein Segen für Medienanwälte auf der Klägerseite, ein Fluch für die restlichen Betroffenen. Die hätten es natürlich lieber, wenn das Gericht am Wohnsitz des Beklagten zuständig wäre. Das ist an sich kein überzogener Wunsch. Auch für fast alle anderen Konstellationen gilt: Der Prozess findet am Wohnsitz des Beklagten statt.

Auch Richter fühlen sich mit dem Schindluder, welchen der fliegende Gerichtsstand bei Streitigkeiten mit Internetbezug ermöglicht, nicht wohl; manchmal wagen sie Protest. Wie jetzt das Amtsgericht Berlin Charlottenburg. Es wies die Klage eines in NRW wohnenden Künstlers gegen den Provider 1 & 1 (Sitz: Montabaur) ab, weil es nur einen Bezugspunkt zu Berlin erkennen konnte: Der Klägeranwalt hat dort seine Kanzlei.

Die interessant begründete Entscheidung ist hier als PDF abrufbar und wird im 1 & 1 – Blog näher vorgestellt.

Die weitaus meisten höheren Gerichte stehen allerdings nach wie vor zum fliegenden Gerichtsstand. Es wäre deshalb eine Überraschung, wenn die Entscheidung das Berufungsverfahren überlebt.

Warum man Koffer nicht „vergessen“ sollte

Vor einigen Tagen war der Düsseldorfer Hauptbahnhof über Stunden blockiert. Grund war ein herrenloser Koffer, in dem Sicherheitskräfte einen Sprengsatz befürchteten. Ein Fehlalarm, der für den Besitzer des Koffers aber dennoch gravierende Folgen haben soll, wie die Bundespolizei verkündet:

Nun drohen dem Mann auf Grund der Zugverspätungen und dem notwendigen Polizeieinsatz zivilrechtliche Folgen. Die Kosten werden sich nach jetziger Einschätzung im fünfstelligen Bereich bewegen.

Der Vorfall zeigt, wie riskant momentan bloße Schusseligkeit im öffentlichen Raum sein kann. Wer kann schon für sich ausschließen, dass er, gestresst und das Mobiltelefon am Ohr, viellleicht tatsächlich mal ein Gepäckstück am Bahnsteig, Gate, im Zug oder Flugzeug liegen lässt?

Überdies weiß ich, dass Leute über Flashmobs nachdenken, mit denen gegen die Terrorhysterie protestiert werden soll. Ein Szenario ist, dass etliche Personen gleichzeitig Taschen und Koffer im öffentlichen Raum hinterlassen. Ich persönlich teile die Auffassung nicht, dass man bei so offensichtlichen Protestformen damit rechnen kann, die Sicherheitskräfte würden das begreifen und entsprechend unhysterisch reagieren. Ich glaube eher, mit dem Gegenteil ist zu rechnen.

Sowohl der Schussel wie du und ich als auch die Flashmob-Verfechter sollten sich aber darüber im Klaren sein, dass eine exorbitant hohe Rechnung für den Polizeieinsatz ins Haus flattern kann, die sie auch bezahlen müssen. Das ist simples Polizei- und Ordnungsrecht, wie es in jedem Bundelsand gilt. Wer als „Störer“ eine Gefahr für die öffentliche Sicherheit hervorruft, kann für die Kosten der Beseitigung zur Kasse gebeten werden. Das Vertrackte: Der „Störer“ ist nicht nur dran, wenn er vorsätzlich handelt. Es genügt auf jeden Fall auch Fahrlässigkeit.

Natürlich ist ein Gepäckstück ohne Bombe nicht gefährlich. Dem Juristen ist das aber egal, denn er kennt nicht nur die Gefahr, sondern auch die „Anscheinsgefahr“. Wenn es aussieht, als wäre die Situation gefährlich, darf die Polizei volles Programm fahren. Falls sich später rausstellt, in dem Koffer war nur Wäsche, macht das den Einsatz nicht rechtswidrig. Jedenfalls so lange nicht, wie die Lagebewertung und das Vorgehen nicht offensichtlich unvertretbar oder heillos überzogen waren. Ausgerechnet ein Verwaltungsgericht, das letztlich über die Rechnung der Polizei befinden muss, von der völligen Maßlosigkeit eines Einsatzes zu überzeugen, halte ich für ausgeschlossen.

Wer sich also nicht finanziell ruinieren will, hat derzeit guten Grund, auf sein Gepäck aufzupassen. Und, wie ich meine, auch ein bislang wenig beachtetes Argument mehr, die Finger von dieser im Netz kursierenden Flashmob-Idee zu lassen.

Erst das Pferd, dann der Mensch

Das Gesetz über die öffentliche Sicherheit und Ordnung in Mecklenburg-Vorpommern
(Sicherheits- und Ordnungsgesetz – SOG M-V) enthält eine interessante Formulierung:

Gegenüber einer Menschenmenge ist vor Anwendung unmittelbaren Zwangs möglichst so rechtzeitig zu warnen, dass sich Unbeteiligte noch entfernen können. Vor Gebrauch von Schusswaffen gegen Personen in einer Menschenmenge ist stets zu warnen; die Warnung ist vor dem Gebrauch zu wiederholen. Bei Gebrauch von technischen Sperren und Einsatz von Dienstpferden kann von der Warnung abgesehen werden.

Nachtrag und Korrektur: Bei Schusswaffengebrauch muss immer mindestens zwei Mal gewarnt werden. Der letzte Satz hat mit dem Schusswaffengebrauch gar nichts zu tun. Er regelt nur, dass die Polizei nicht warnen muss, wenn sie Sperren errichtet oder Dienstpferde einsetzt.

Trotzdem eine reichlich missverständliche Formulierung. Hoffentlich sind Einsatzleiter nicht so dumm wie ich…

(Quelle)

Loveparade: Von unbekannt zu bekannt

Zum ersten Mal nach der Loveparade-Katastrophe mit 21 Toten und mehr als 500 Verletzten vor knapp vier Monaten in Duisburg prüft die Staatsanwaltschaft einen konkreten Anfangsverdacht wegen fahrlässiger Tötung und fahrlässiger Körpverletzung „gegen bestimmte Personen“. Das berichtete gestern Justizminister Thomas Kutschaty (SPD) dem Rechtsausschuss des Landtages.

Die Staatsanwaltschaft Duisburg hat bislang 1.336 Zeugen vernommen. Darunter sind 672 Besucher, 479 Polizeibeamte und Feuerwehrleute, 146 Mitarbeiter des Sicherheitsdienstes des Veranstalters und 39 städtische Bedienstete. Bei der Staatsanwaltschaft liegen bislang 406 Strafanzeigen vor.

Konkrete Namen von Beschuldigten oder Zeugen nannte der Minister dem Rechtsausschuss aber nicht und berief sich dabei auf das staatliche Geheimhaltungsinteresse, das dem Informationsanspruch des Parlaments entgegenstehe. CDU-Rechtsexperte Peter Biesenbach vermutet hinter der Weigerung ein Interesse der Landesregierung, „Informationen unter Verschluss zu halten“.

Dem schloss sich Horst Engel von der FDP an. Die Abgeordnete Monika Düker (Grüne) hielt dagegen, das Parlament sei „keine parallele Ermittlungsbehörde“ zu Kripo und Staatsanwaltschaft. (pbd)

Kalender, Kalender, Kalender

Vorweihnachtszeit ist traditionell Verlosungszeit im law blog. Wie jedes Jahr gibt es für die Leser fünf Exemplare des druckfrischen Anwaltskalenders 2011 des Karikaturisten wulkan zu gewinnen. Der Kalender enthält 12 Juristenmotive im DIN-A-3-Format, alles in klassischem schwarz-weiß.

Wie immer machen wir es einfach. Wer einen der Juristenkalender 2011 gewinnen will, schreibt bitte bis zum 28. November 2010 einen Kommentar zu diesem Beitrag. Bitte eine gültige E-Mail-Adresse hinterlassen. Die Gewinner werden ausschließlich über diese E-Mail-Adresse kontaktiert. Die E-Mail-Adressen geben wir nicht weiter und verwenden sie auch nicht für andere Zwecke. Unter allen Teilnehmern entscheidet das Los.

Der Kalender wird noch vor Weihnachten frei Haus an die vom Gewinner gewünschte Adresse verschickt. Er eignet sich deshalb auch als Weihnachtsgeschenk. Wer sich nicht auf sein Glück verlassen will, kann natürlich auch bei wulkan einen Kalender ordern. Der Frühbestellerpreis liegt bis zum 1. Dezember bei 19,95 Euro zzgl. 5,80 Euro Versandkostenpauschale.

Bestellungen sind möglich unter wulkan@arcor.de oder telefonisch unter 0172-200 35 70.

Das übereilte Geständnis

Der Anwalt des wegen des Doppelmordes von Bodenfelde verhafteten 26-Jährigen hat der Nachrichtenagentur dpa gesagt, der Verdächtige werde die Tat wohl am Freitag gestehen – um sein Gewissen zu erleichtern. Das ist natürlich ein sehr menschliches und damit verständliches Motiv. Ich hoffe allerdings, der Verteidiger hat dem Beschuldigten trotzdem von einem schnellen Geständnis abgeraten und richtet sich jetzt nur nach dem unabänderlichen Willen seines Mandanten. Denn aus Sicht eines Beschuldigten ist ein sofortiges Geständnis nur selten sinnvoll. Dieser Fall gehört mit Sicherheit nicht dazu.

Was bringt es meinem Mandanten? Diese Frage stelle ich, wenn Polizeibeamte auf ein schnelles Geständnis drängen. Meist sorgt das für verblüffte Gesichter. „Auch noch Ansprüche stellen?“ erwiderte mal ein Kommissar. Ich sagte ihm, dass wir keine Ansprüche stellen, sondern Rechte wahrnehmen. Ein Recht ist dazu da, Vorteile zu wahren oder zu verschaffen. Die Frage nach dem Nutzen des schnellen Geständnisses ist sicher unbequem und wird mitunter sogar als anmaßend empfunden, aber sie ist aus Sicht des Beschuldigten legitim. Ein Verhör, womöglich noch verbunden mit einer Festnahme und der Aussicht auf Untersuchungshaft, ist nämlich nun wirklich eine der letzten Situationen, in denen man übertrieben selbstlos sein sollte.

Leider hält sich die Zahl der reizvollen Antworten auf die Frage sehr in Grenzen. „Arbeitsersparnis für die Polizei“, wurde mir mal gesagt. Hat mich nicht überzeugt. „Das Gericht wird das später positiv würdigen.“ Klingt schon besser, hat aber einen Haken. Die Strafmilderung, weil ein Angeklagter die Karten sofort auf den Tisch gelegt hat, fällt meist karg aus. Manchmal findet sie auch nur in Form eines Lippenbekenntnisses statt. Denn bei der Gerichtsverhandlung liegt das Geständnis meist schon lange zurück. Seine Wirkung ist verpufft, es ist nicht mehr als ein vielleicht schon angegilbtes Protokoll. Eine Verfahrenstatsache, neben so vielen anderen.

Richtig wirksam ist ein Geständnis in der Regel nur dann, wenn es auch jemand anderem nützt. Nämlich dem Gericht. Hier und nirgends anders zieht das Argument der Arbeitsersparnis. Durch ein Geständnis des Angeklagten kann das Gericht schneller urteilen, denn die Beweisaufnahme entfällt ganz oder zumindest teilweise. So eine Beweisaufnahme kann lang sein. Und quälend. Zermürbende Verfahren zu verhindern, ist ja auch der Hintergedanke des Deals, der nun sogar ins Gesetz geschrieben wurde. Die „Verständigung“ erlaubt Strafrabatte aus dem schnöden Gesichtspunkt der Prozessökonomie. Sie ist aus den Gerichtssälen nicht mehr wegzudenken und wahrscheinlich eine der Gründe, warum die Strafjustiz noch nicht vollends kollabiert ist.

Den vom Beschuldigten erstrebten Rabatt können weder die Polizei noch ein Staatsanwalt gewähren. Dazu fehlt ihnen schlicht die Kompetenz. Wenn sie in einer Vernehmung dem Beschuldigten etwas anderes erzählen und konkrete Rechtsfolgen, etwa Bewährung, verbindlich zusagen, dann sagen sie nicht die Wahrheit. Um so böser dann das Erwachen des Betroffenen, wenn das Gericht später von einem zugesagten Bonus nichts weiß, nichts wissen will und sich auch niemand daran erinnern kann, dass so was überhaupt Thema war. „Wenn es nicht im Protokoll steht, haben wir das auch nicht gesagt…“

Es gibt eigentlich nur eine Situation, die für ein schnelles Geständnis sprechen kann. Das ist drohende Untersuchungshaft. Hier reden wir dann aber schon über schwerere Delikte. Die Aussicht, erst mal in den Knast zu gehen, ist für viele Beschuldigte so erschreckend, dass sie lieber dem Haftrichter, dem sie spätestens am Tag nach ihrer Festnahme vorgeführt werden müssen, den Tatvorwurf beichten. Im Gegenzug ergeht halt kein Haftbefehl. Oder er wird zumindest außer Vollzug gesetzt, so dass der Beschuldigte wieder nach Hause kann.

Das Ganze ist also eine Art zeitlich vorgezogener Deal. Auf dem Geständnis vor dem Haftrichter hängt man später fest, deshalb muss man sich auch das gut überlegen. Vielleicht wäre die Tat ohne das Geständnis später doch nicht oder nur in milderer Gestalt zu beweisen. Das hätte vielleicht Bewährung ermöglicht – wenn da nicht die eigene Aussage wäre. So wie sie damals die schnelle Freiheit brachte, bringt sie später den knallharten Vollzug. Nicht umsonst heißt es „Untersuchungshaft schafft Rechtskraft“.

Bei der Polizei lohnt sich ein Geständnis also praktisch nie. Zumal zu diesem frühen Zeitpunkt meist keine Akteneinsicht gewährt worden ist. Weder der Beschuldigte noch der (hoffentlich vorhandene) Verteidiger wissen also, welche Beweise die Ermittler tatsächlich haben. Ich habe schon genug Akten auf den Tisch bekommen, die außer dem sofortigen Geständnis kein anderes brauchbares Beweismittel enthielten. Dem damals noch auf sich allein gestellten Mandanten wurde dagegen erzählt, die Sache sei doch klar, es gebe genug Zeugen und Spuren. Sätze wie „Leugnen ist zwecklos“, „Machen Sie es nicht schlimmer, als es ist“ und „Sie wollen uns wohl für dumm verkaufen?“ sind durchaus etwas mehr als Versatzstücke aus deutschen Fernsehkrimis.

Ist eine Einstellung des Verfahrens möglich oder möchte man vielleicht mit einem Strafbefehl die öffentliche Verhandlung vermeiden, kann später der Staatsanwalt die richtige Adresse für ein Geständnis sein. Da befindet man sich aber schon in ruhigerem Fahrwasser. Insbesondere hat der Verteidiger dann regelmäßig schon Akteneinsicht erhalten, so dass beide Seiten über die gleichen Informationen verfügen. Ab diesem Punkt kann der Beschuldigte, abgesehen vom Sonderfall der drohenden U-Haft, einen Nutzen für sich erwarten. Ebenso natürlich der Staatsanwalt. Der erspart sich durch den „kleinen Deal“ weitere Ermittlungen und das Brüten über einer Anklageschrift.

Betrachtet man das Geständnis also nicht als Bürgerpflicht gegenüber der Polizei, gibt es dafür gute und schlechte Zeitpunkte. Es ist ganz alleine Sache des Beschuldigten, für welchen Zeitpunkt er sich entscheidet.

Wenn man nun den eingangs erwähnten Doppelmord betrachtet, dürfte das publikumswirksam (wieso eigentlich?) angekündigte Geständnis dem Beschuldigten außer dem Gefühl, sich die Last von der Seele geredet zu haben, extrem wenig bringen. Dass er wegen rührender Ehrlichkeit von der Untersuchungshaft verschont wird, darf der Verdächtige angesichts des Mordvorwurfs und der ihm schon mal per polizeilicher Blitzdiagnose angedichteten Neigung zum Serienkiller ja wohl kaum erwarten.

Aber man kann aus seinem Verhalten lernen. Für den Fall, dass man selbst mal Beschuldigter ist und sich dennoch zu fragen traut: Was bringt es mir?