Gericht darf Rockern Zivil verordnen

Gerichte dürfen anordnen, dass Prozessbesucher nicht als Mitglieder von Rockergruppen erkennbar sind. Konkret bedeutet dies, dass die Zuschauer im Gerichtsgebäude ihre „Kutte“ nicht tragen dürfen. So sieht es zumindest das Oberverwaltungsgerichts Berlin-Brandenburg, das mit einem aktuellen Beschluss einem Hells-Angels-Mitglied Zivilkleidung verordnet.

Das Hells-Angels-Mitglied wollte einen am Landgericht Potsdam laufenden Prozess gegen Mitglieder seines Clubs besuchen, durfte aber im Gerichtsgebäude seine Kutte nicht tragen. Auch auf sein Angebot, das Kleidungsstück auszuziehen und es über den Arm zu legen, ging die Potsdamer Justiz nicht ein.

Zu Recht, meint das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg:

Dass ein demonstratives Auftreten von Mitgliedern der Hells Angels grundsätzlich geeignet sein kann, dritte Personen zu beunruhigen, ist eine plausible Befürchtung und rechtfertigt im Hinblick auf die konkreten Umstände des vorliegenden Verfahrens präventive Maßnahmen. Der Antragsgegner hat zutreffend darauf hingewiesen, dass es zu seinen Aufgaben als Gerichtspräsident gehört, auf dem Gelände des Justizzentrums für eine angstfreie Atmosphäre zu sorgen, damit Zeugen unbelastet ihren staatsbürgerlichen Pflichten nachkommen können und das Vertrauen der Öffentlichkeit in die Leistungsfähigkeit der Justiz nicht erschüttert wird. Angesichts des hohen Wertes des zu schützenden Gutes – die ordnungsgemäße Durchführung eines Strafverfahrens und die Sicherung des Justizbetriebs – dürfen die Anforderungen an die Einschätzung einer (konkreten) Gefahr nicht überspannt werden.

Die Beschwerde des Rockers blieb damit erfolglos.

Lehrerin hält Schüler für Terroristen

„Werte und Normen“ sollte eine Oberstufenlehrerin ihren Schülern vermitteln. Das dürfte ihr gründlich misslungen sein: Sie zeigte anonym einen türkischstämmigen Schüler bei der Polizei an, Mitglied einer islamistisch-terroristischen Vereinigung zu sein. Der Staatsschutz ermittelte pflichtergeben, wenn auch vergebens. Der Schüler hat mittlerweile das Handtuch geworfen.

Ausgangspunkt der Anzeige war nach einem Bericht der HAZ ein Aufsatz des Schülers zu einem theologischen Thema. Seine eher unverfänglichen, jedenfalls sachlichen Ausführungen zum „Weltethos“ von Hans Küng nahm die Lehrerin zum Anlass, den jungen Mann anonym bei der Polizei anzuschwärzen. Der Staatsschutz soll das Schreiben zum Anlass genommen haben, den Schüler längere Zeit zu durchleuchten.

Die Schulleitung immerhin verurteilt das Verhalten der Lehrerin, die sich bis heute nicht entschuldigt haben soll. Während sie noch weiter unterrichtet, ist der Schüler abgegangen und möchte jetzt das Fachabitur auf anderem Weg machen.

Der Fall wird den niedersächsischen Landtag beschäftigten. Die GRÜNEN haben eine Anfrage eingereicht.

Akademiker-Bonus

Der Richter hatte die Akte sorgfältig gelesen. Er wusste, dass meine Mandantin mal in Import/Export gemacht hat, bevor sie im Einzelhandel Fuß zu fassen versuchte. Dieser neue Erwerb führte sie nun auf die Anklagebank.

Einige unzufriedene Kunden fühlten sich „betrogen“. Ich war von vornherein der Meinung, es handele sich eher um zivilrechtliche Probleme. Ob ein, zugegeben teures, Kleidungsstück nun der Bestellung entspricht oder Mängel aufweist, wird ja üblicherweise nach den Vorschriften des Bürgerlichen Gesetzbuchs geklärt. Und nicht über eine Anklage der Staatsanwaltschaft.

Der zuständige Richter schien das ansatzweise auch so zu sehen. Wichtiger war aber, dass er meine Mandantin schon nach Aktenlage offenkundig ins Herz geschlossen hatte. Die junge Dame besitzt nämlich nicht nur Abitur, sondern hat auch ein Hochschulstudium abgeschlossen. Sogar als Lehrerin hat sie einige Zeit gearbeitet.

Mehrfach kam von der Richterbank die Frage, wieso die Angeklagte denn nicht lieber im akademischen Bereich arbeite. „Sie machen hier doch einen hervorragenden Eindruck, so was haben sie doch gar nicht nötig.“ Das wollten wir natürlich nicht dementieren. Glücklicherweise konnte sich auch der Staatsanwalt der positiven Grundstimmung nicht entziehen.

So kam es zu einer Einstellung des Verfahrens wegen geringer Schuld. Das war dann schon ein stattlicher Erfolg. Immerhin hatte vorher der Strafrichter die Sache an das übergeordnete Schöffengericht abgegeben, weil er von einer „erheblichen Straferwartung“ ausging. Womit nichts anderes als eine deutliche Gefängnisstrafe gemeint ist.

Meine Mandantin seufzte nach der Verhandlung, schon wegen des offensichtlichen Akademiker-Bonus vor Gericht habe sich das Studium gelohnt. Dem würde ich nicht widersprechen. Allerdings gibt es auch keine Garantie, dass es beim nächsten Mal wieder in gleichem Maße klappt.

Die Wahrheit als Anlage

In einem Prozess geht es darum, ob eine Glücksspielfirma Callcenter betrieben und somit selbst Kunden telefonisch übers Ohr gehauen hat. Der Anwalt des Unternehmens bestreitet dies vehement und will den Beklagten, einen ehemaligen Mitarbeiter, deshalb zur Unterlassung dieser Behauptung verurteilen lassen. Angeblich sind immer nur „externe Callcenter“ eingesetzt worden, mit dem Telefonverkauf habe die Firma selbst rein gar nichts zu tun gehabt.

Dummerweise legt der Anwaltskollege seinem letzten Schriftsatz auch eine interne E-Mail der Glücksspielfirma an ihn bei. Verfasser ist der Geschäftsführer. Diese Mail beginnt mit den Worten:

Der Herr K. hat für uns als Callagent gearbeitet. Seine Aufgaben als Callagent waren unsere Interessenten anzurufen und als Kunden zu gewinnen.

Die Wahrheit mundgerecht in der Anlage. Hat man auch nicht jeden Tag.

Bunte Fingernägel sind erlaubt, ein BH aber Pflicht

Weiblichen Angestellten darf es nicht verboten werden, ihre Fingernägel mehrfarbig zu lackieren. Und männlichen Mitarbeitern darf nicht auferlegt werden, ihre Haare nur mit natürlich wirkenden Farben zu färben. Das hat das Landesarbeitsgericht Köln entschieden.

Die Richter mussten sich mit der Gesamtbetriebsvereinbarung eines Unternehmens auseinandersetzen, das im Auftrag der Bundespolizei auf Flughäfen Passagiere kontrolliert.

Andere umstrittene Teile der Regelung über das Erscheinungsbild der Mitarbeiter hielt das
Gericht dagegen für wirksam. Dies gilt etwa für die Anweisung, Fingernägel „in maximaler Länge von 0,5 cm über der Fingerkuppe zu tragen“. Hierdurch würden Verletzungsgefahren gemildert, so dass die Vorschrift nicht zu beanstanden sei.

Auch Regeln über das Tragen von Unterwäsche billigte das Gericht. So zum Beispiel folgende Klauseln:

„Das Tragen von BHs, Bustiers, bzw. eines Unterhemdes ist vorgeschrieben.“

„Diese Unterwäsche ist in weiß oder in Hautfarbe ohne Muster/Beschriftungen/
Embleme, etc. zu tragen bzw. anders farbige Unterwäsche darf in keiner Form
durchscheinen.“

„Feinstrumpfhosen sowie Socken dürfen keinerlei Muster, Nähte oder Lauf-
maschen aufweisen.“

Ebenso billigte das Gericht folgende Anweisungen für männliche Mitarbeiter:

„Grundsätzlich sind Haare immer sauber, niemals ungewaschen oder fettig
wirkend zu tragen.“

„Eine gründliche Komplettgesichtsrasur bei Dienstantritt ist Voraussetzung;
alternativ ist ein gepflegter Bart gestattet.“

Zu diesen Vorschriften meint das Gericht, sie dienten insgesamt einem ordentlichen Erscheinungsbild und griffen deshalb nicht übermäßig in das Persönlichkeitsrecht der Arbeitnehmer ein.

Landesarbeitsgericht Köln, Beschluss vom 18.08.2010 – 3 TaBV 15/10

Nach TA Lärm ist die Nacht um 6 Uhr vorbei

Morgendliches zweiminütiges Glockenläuten (Betläuten) ist zulässig. Das hat das Verwaltungsgericht Stuttgart entschieden. Eine evangelische Kirche darf somit weiter die Anwohner quälen.

Der Kläger wohnt etwa hundert Meter von der Kirche entfernt. Er hatte geltend gemacht, das frühmorgendliche Geläut verletzte seine grundrechtlich geschützte negative Bekenntnisfreiheit. Der Staat sei verpflichtet, Störungen der Religionsausübung durch Dritte zu verhindern. Von der beklagten Kirchengemeinde werde er zu einer systematischen stetigen Kenntnisnahme eines akustischen religiösen Zeichens gezwungen. Infolge der Beschallung durch die Kirchenglocken sinke der Immobilienwert seines Grundstücks. Außerdem störe der Lärm der Glocken die Schlafqualität. Das Glockengeläut um 6.00 Uhr morgens sei auch nicht sozial adäquat. 61 Prozent der Westdeutschen legten keinen Wert auf Kirchenglockenschall.

Dieser Argumentation folgten die Richter nicht.

Der vom Kläger geltend gemachten negativen Bekenntnisfreiheit stehe das gleichermaßen geschützte Grundrecht der ungestörten Religionsausübung der Kirchengemeinde entgegen.

In einer Gesellschaft, die unterschiedlichen Glaubensüberzeugungen Raum gebe, habe der Einzelne kein Recht darauf, von fremden Glaubensbekundungen, kultischen Handlungen und religiösen Symbolen verschont zu bleiben. Im Übrigen sei wohl auch die Verkündigung der muslimischen Botschaft durch den Muezzin-Ruf vom Minarett nicht anders als kirchliches Glockengeläut zu beurteilen. Dementsprechend könne die negative Bekenntnisfreiheit Einzelner dem Ruf des Muezzin nicht entgegengehalten werden.

Dem Kläger stehe der von ihm geltend gemachte Unterlassungsanspruch auch nicht nach dem Bundesimmissionsschutzgesetz zu. Liturgisches Glockengeläut sei wegen des verfassungsrechtlich garantierten Selbstbestimmungsrechts der Kirchen und des Schutzes der freien Religionsausübung privilegiert. In der Regel stelle das morgendliche Gebetsläuten eine zumutbare, sozialadäquate und allgemein akzeptierte Äußerung kirchlichen Lebens dar, die – wenn sie sich nach Zeit, Dauer und Intensität im Rahmen des Herkömmlichen halte – auch in einer säkularisierten Gesellschaft bei Würdigung der widerstreitenden Interessen hinzunehmen sei.

Dies sei vorliegend der Fall. Das morgendliche Gebetsläuten finde nicht vor Tagesanbruch statt. Die Zeit der Nachtruhe gelte, auch nach der TA Lärm, um 6 Uhr regelmäßig als beendet. Auch die Dauer des Geläuts von zwei Minuten sei nicht zu beanstanden. Schließlich seien keine Anhaltspunkte dafür vorhanden, dass die Stärke des Geläuts über das Übliche hinausgehe.

Das Verwaltungsgericht Stuttgart hat die Berufung zugelassen.

Urteil vom 13. Dezember 2010, Aktenzeichen 11 K 1705/10

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„Napster haben die Musikindustriellen weiland zur Strecke gebracht, aber Filesharing ging danach erst richtig los. Im Falle Wikileaks wird es nicht anders sein.“

Wer peinliche Bilder auf Facebook hochlädt, wird nicht gerade viel Energie in Verfallsmechanismen investieren

„Ist eine solche Sperrinfrastruktur erst einmal erstellt, lässt sie sich ad hoc zur Blockade aller unerwünschten Inhalte benutzen“

Hannoveraner klagt gegen Überwachungskameras

Postbank soll einschlägigem Betrüger eine Agentur gegeben haben

Dienstwagen muss bei längerer Krankheit zurückgegeben werden

„Beim deutschen Fernsehen gibt es einen extrem kleinen Adress-Zettelkasten“

Bitte schriftlich

Nur um nicht von einem Rechtsmittel der Staatsanwaltschaft überrumpelt zu werden, hatte ich Berufung gegen das Urteil einer Strafrichterin eingelegt. In dem Schreiben wies ich gleich darauf hin, man möge mich doch benachrichtigen, ob die Staatsanwaltschaft ebenfalls Berufung eingelegt hat. Jeder Richter weiß dann, der Verteidiger nimmt die Berufung zurück, falls von der anderen Seite nichts kommt.

In diesem Fall rief die Richterin auch durch und wir verblieben so, dass sie meine – durch die Blume ja ohnehin schon in Aussicht gestellte – Berufungsrücknahme kurzerhand in der Akte vermerkt. Aber leider haben wir die Rechnung ohne die Staatsanwaltschaft gemacht. Diese besteht jetzt darauf, dass ich die Berufung schriftlich zurücknehme. Sonst müsse die Akte ans Landgericht geschickt und die Berufung verhandelt werden.

Natürlich ist das zu 110 % korrekt. Ich verüble es dem Staatsanwalt noch nicht mal, dass er sich so pingelig gibt. Wahrscheinlich ist er einfach schon mal von einem Anwalt, der nicht zu seinem Wort steht, aufs Kreuz gelegt worden.

Bloße Vermutungen

Vor einiger Zeit hatte ich am Beispiel dieser Beschwerde gezeigt, wie Ermittlungsrichter ins Blaue hinein und über das Ziel hinaus schießen. Die betreffende Richterin hatte die Durchsuchung der gesamten Geschäftsräume meiner Mandantin angeordnet. Und das nur, weil meine Mandantin einen neuen Mitarbeiter eingestellt hatte, der von seinem früheren Arbeitgeber verdächtigt wurde, Firmenunterlagen mit nach Hause genommen zu haben.

Die Durchsuchungsansordnung hätte im schlimmsten Fall dazu geführt, dass die Polizei die ganzen Rechner meiner Mandantin einpackt, auswertet – und das Ergebnis dann in die Ermittlungsakte kommt. Am besten noch mit allen Geschäftsgeheimnissen meiner Mandantin – sicherlich sehr zur Freude der Konkurrenzfirma, welche die Strafanzeige gegen ihren früheren Mitarbeiter erstattet hat.

Der gesamte Sachverhalt beruhte auf bloßer Spekulation. Vor allem jener Teil, wonach der neue Angestellte die möglicherweise entwendeten Daten in seine neue Firma mitgebracht habe und sie – über seinen Arbeitsplatz hinaus – verwende.

Im Gegensatz zur Richterin, die an ihrem Beschluss festhielt, hat das Landgericht die Problematik erkannt. Die Strafkammer erklärte die Durchsuchung für rechtswidrig, soweit sie über den Arbeitsplatz des neuen Mitarbeiters hinausging.

Aus den Gründen:

Auf die Beschwerde … wird festgestellt, dass der Beschluss insoweit rechtswidrig war, als er die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin auch über den Arbeitsplatz des Beschuldigten hinaus anordnete.

Die Kosten des Beschwerdeverfahrens und die insoweit entstandenen notwendigen Auslagen der Beschwerdeführerin werden der Staatskasse auferlegt.

Mit dem angefochtenen Beschluss hat das Amtsgericht unter anderem die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin angeordnet. Dies hat das Gericht damit begründet, dass zu vermuten sei, dass die Durchsuchung zur Auffindung von Beweismitteln gegen den Beschuldigten, namentlich von weitergeleiteten Dateien beziehungsweise Ausdrucken von Dateien führen werde, die als Beweismittel für das Verfahren von Bedeutung seien und der Beschlagnahme unterlägen.

Die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin ist am 27. September 2010 durchgeführt worden. Am 29. September 2010 hat sie Beschwerde eingelegt, soweit der Beschluss des Amtsgerichts die Durchsuchung ihrer Geschäftsräume auch über den Arbeitsplatz des Beschuldigten hinaus anordnete.

Die Beschwerde ist zulässig und begründet. …

Soweit das Amtsgericht in dem angefochtenen Beschluss vom 2. August 2010 die Durchsuchung der Geschäftsräume der Beschwerdeführerin über den Arbeitsplatz des Beschuldigten hinaus angeordnet hat, fehlte es hierfür an dem Vorliegen der tatbestandlichen Voraussetzungen des maßgeblichen § 103 StPO.

Die tatbestandlichen Voraussetzungen des § 103 StPO waren nach Aktenlage nicht erfüllt, denn es lagen zwar auf kriminalistischer Erfahrung basierende Vermutungen, aber keine Tatsachen (vgl. Meyer-Goßner, StPO, § 103 Rn 6 m.w.N.) vor, aus denen zu schließen war, dass sich – über den Arbeitsplatz des Beschuldigten hinaus – die gesuchte Spur in den zu durchsuchenden Räumen befand.

Soweit in dem angefochtenen Beschluss angeführt wird, dass der Beschuldigte nach dem gegenwärtigen Ermittlungsstand Geschäftsgeheimnisse, insbesondere Auftragsbestätigungen, an seine private Email-Adresse versandt habe, so stellt dies keine Tatsache dar, aus der sich darauf schließen ließ, diese Daten befänden sich – über den Arbeitsplatz des Beschuldigten hinaus – nunmehr in den Räumlichkeiten der Beschwerdeführerin. Dies ließ sich lediglich vermuten.

Auch der Umstand, dass der Beschuldigte entgegen seinen früheren Angaben gegenüber seinem früheren Arbeitgeber zu einem direkten Konkurrenten seines früheren Arbeitgebers gewechselt war, stellte keine Tatsache dar, aus der zu schließen war, dass sich die gesuchten Daten in den Geschäftsräumen der Beschwerdeführerin befanden. Vielmehr begründeten diese Erwägungen – dies ergibt sich auch aus den Ausführungen des Amtsgerichts – lediglich eine Vermutung, die jedoch für die Bejahung der Voraussetzungen des § 103 StPO (objektivierbare Tatsachen) nicht ausreichte.

Landgericht Düsseldorf 020 Qs – 120 Js 1048/10-90/10

Stapelweise Gerichtsbeschlüsse

Die Aufregung ist groß, verständlicherweise. Twitter soll an die US-Regierung sämtliche Nutzerdaten über WikiLeaks-Aktivisten und WikiLeaks-Sympathisanten herausgeben. Grundlage ist der Beschluss eines US-Bundesgerichts. Dieser Beschluss ist überhaupt erst bekanntgeworden, nachdem sich Twitter erfolgreich gegen eine Geheimhaltungsauflage gewehrt hat. WikiLeaks selbst twittert heute morgen sogar, alle 637.000 Follower des WikiLeaks-Accounts müssten damit rechnen, dass Ihre Kontaktinformationen und Verbindungsdaten an die US-Behörden geliefert werden.

Übertragen auf Deutschland ist so ein Gerichtsbeschluss juristisch kein großes Ding – von der politischen Dimension und der Zahl möglicher Betroffener mal abgesehen. Auch bei uns werden tagtäglich stapelweise Gerichtsbeschlüsse erlassen und vollstreckt. Darin werden Provider und soziale Netzwerke zur Herausgabe aller Daten des Nutzers verpflichtet, die sich auf den Servern befinden. Hierzu gehören dann auch nicht nur die sogenannten Bestandsdaten (Benutzerkonto, Logindaten), sondern auch alle Inhalte, die sich in den Mailboxen und auf Profilseiten befinden.

Praktisch alle großen Anbieter arbeiten mit den deutschen Behörden zusammen, auch wenn sie (offiziell) gar keinen Sitz in Deutschland oder der EU haben. Wer also denkt, seine Daten bei Google, Facebook oder Twitter seien schon irgendwie vor dem Zugriff deutscher Behörden geschützt, irrt. Ich habe noch nie erlebt, dass einer der Global Player im Web 2.0 einen deutschen Gerichtsbeschluss ignoriert oder sich ihm widersetzt hat. Wie auch – den Verantwortlichen des Anbieters drohen Ordnungsgelder und Zwangshaft.

Wohlgemerkt, wir reden über richterlich angeordnete Maßnahmen. Unter diesem Level gibt es aber noch die einfachen Anfragen der Polizei, welche Person hinter einem Account steht. Diese Anfragen sind zahlenmäßig viel häufiger. Denn die Polizei fragt mittlerweile schon fast routinemäßig und inflationär Bestandsdaten ab, wenn sie eine Anzeige mit Internetbezug auf den Tisch bekommt.

Die meisten Internetanbieter haben für die Polizei sogar eigene Faxanschlüsse geschaltet. Um die Auskunft zu erhalten, genügt dann ein einfaches Musterschreiben des Polizeibeamten. Die Begründung tendiert regelmäßig gegen Null („Ermittlungsverfahren wegen Warenbetrug“, „üble Nachrede/Beleidigung“). Aber die Auskunft wird, so jedenfalls meine Erfahrung, anstandslos erteilt.

Wenn man die Provider kritisieren möchte, dann an diesem Punkt. Zwar stellt sich die Polizei regelmäßig auf den Standpunkt, sie dürfe Bestandsdaten abfragen. Damit hat sie natürlich recht. Fragen darf jeder. Allerdings muss der Provider, der die Rolle eines Zeugen einnimmt, nicht antworten.

Wie jeder andere Zeuge kann er von seinem Recht Gebrauch machen, nicht mit der Polizei zu sprechen. Dann müsste zumindest der Staatsanwalt persönlich die Daten anfordern, was zumindest eine gewisse Kontrolle mit sich bringt.

Ich habe in letzter Zeit Provider unterstützt, die einfach nicht mehr bereit waren, schwammige Anfragen der Polizei zu beantworten. Das ging teilweise so weit, dass ohne jede nachvollziehbare Begründung die Nutzerdaten von 350 Kunden gleichzeitig eingeholt werden sollten. Wenn man die Polizei abblockt und zumindest auf eine Anordnung durch den Staatsanwalt besteht, kam es in etwa der Hälfte der Fälle zu einem erstaunlichen Effekt. Es herrschte Schweigen im Walde. So wichtig können die Informationen also nicht gewesen sein…

Im Fall WikiLeaks könnte man also auf Twitter schimpfen, wenn das Unternehmen eine einfache Anfrage der Behörden beantwortet hätte. Aber sich einem Gerichtsbeschluss zu widersetzen, das erscheint mir doch etwas viel verlangt.

Internet-Law zum gleichen Thema

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Richter und Staatsanwälte gegen Vorratsdatenspeicherung

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Prominenter Insolvenzverwalter geht selbst pleite

Bei der Tätigkeit eines Tätowierers handelt es sich um eine künstlerische Leistung. Daher liegt auch keine Verpflichtung vor, im Schaufenster einen Preisaushang anzubringen

Mitarbeiter der Kreiswehrersatzämter drehen Däumchen

Uni will Praktikum bei der NPD nicht anerkennen

Flattr: Jetzt auch Einzelspenden möglich

Keine Impressumspflicht für Baustellenseite

Das altbekannte Baustellenschild auf einer Internetseite sollte einem Unternehmer zum Verhängnis werden. Ein Mitbewerber verlangte von ihm 651,80 € Abmahnkosten. Der Konkurrent hatte gerügt, dass auf der ansonsten nicht genutzten Seite kein Impressum vorhanden war.

Das Landgericht Düsseldorf konnte allerdings keinen Verstoß gegen die Impressumspflicht erkennen. Völlig zu Recht weist das Gericht darauf hin, dass nur „geschäftsmäßig“ betriebene Seiten ein Impressum haben müssen. Eine geschäftsmäßige Betätigung liege aber bei einer „Vorschalt- bzw. Wartungsseite“ nicht vor:

Die unter der Internetadresse zu diesem Zeitpunkt abrufbare Vorschalt- bzw. Wartungsseite enthielt als einzigen Hinweis auf Dienste der Beklagten, dass diese sich mit »alle[m] für die Marke« befasst; im übrigen wurde der Besucher auf einen späteren Besuch verwiesen. Damit hatte der Internetauftritt zu diesem Zeitpunkt nicht den Zweck der Verfolgung wirtschaftlicher Interessen, denn die Beklagte hat keine konkreten Leistungen beworben, auch die Angabe »alles für die Marke« stellt sich dem Besucher als bloßer Slogan dar, vermittelt ihm aber keine Informationen zu ihrem tatsächlichen Tätigkeitsfeld.

Fazit: Es gibt keine Impressumspflicht für Baustellenseiten.

Link zum Urteil

Von heute auf morgen

Schreiben eines Kleinunternehmers an seinen Angestellten, der schon zwei Jahre bei ihm arbeitet:

Ratingen, 30. Dezember 2010. Hiermit kündige ich Sie fristgerecht aus betriebsbedingten Gründen zum 31. Dezember 2010.

Nun ja, ich gehe davon aus, er hat sich schlicht mit dem Datum vertan, zu dem das Arbeitsverhältnis enden soll. Deshalb versuche ich es erst mal mit einer Mail – und einem dezenten Hinweis auf die gesetzlichen Kündigungsfristen.

Ablaufdatum für Musik und Filme

Viele Abgemahnte wundern sich, woher die Musik- und Filmindustrie eigentlich ihren Namen und ihre Adresse hat. Die Lösung findet sich in einem Gerichtsbeschluss, welcher der Abmahnung meistens beigefügt ist. In diesem Beschluss hat das für den Provider des Abgemahnten zuständige Landgericht angeordnet, dass der Provider dem Rechteinhaber sagen muss, welchem seiner Kunden die festgestellte IP-Adresse zugeordnet war.

Diese Auskunft durchbricht faktisch das Telekommunikationsgeheimnis. Deswegen hat der Gesetzgeber gewisse Hürden aufgestellt. Herausgegeben werden dürfen nur Daten von Kunden, die in „gewerblichem Ausmaß“ Urheberrechte verletzt haben. Das bedeutet aber nach Auffassung der Gerichte nicht, dass der Filesharer selbst finanzielle Vorteile gehabt haben muss. Vielmehr reicht es für sie, wenn dem Rechteinhaber ein wirtschaftlicher Schaden entsteht.

Aber wann ist das der Fall? Das Oberlandesgericht Köln, zuständig für den größten Provider Telekom, hat seine Maßstäbe jetzt in einem aktuellen Beschluss noch einmal zusammengefasst.

Bei kommerzieller Musik bejahen die Richter ein gewerbliches Ausmaß regelmäßig in den ersten sechs Monaten nach Veröffentlichung. Das ist die „Abverkaufsphase“, in der die meisten Umsätze erzielt werden.

Sind diese sechs Monate vorüber, fordert das Oberlandesgericht Köln „besondere Umstände“, um eine Urheberrechtsverletzung noch als „gewerblich“ gelten zu lassen. Das kann der Fall sein, wenn ein Album noch in den „Top 50“ vertreten ist oder eine Singleauskopplung sich in den Charts hält.

Für Hörbücher und andere „nicht aktualitätsbezogene“ Werke legt sich das Gericht zeitlich nicht fest. Diese könnten sich durchaus auch länger als sechs Monate in der Abverkaufsphase befinden, je nach Verkaufserfolg und Umfang des Titels.

Bei Filmen wenden die Richter am Oberlandesgericht Köln ebenfalls die Sechsmonatsfrist an. Diese beginnt aber nicht schon mit dem Kinostart, sondern erst mit der DVD-Veröffentlichung.

Bei älteren Werken müssen die Rechteinhaber den Gerichten also genau darlegen, wieso die Urheberrechtsverletzung noch ein gewerbliches Ausmaß erreichen soll. Dies alles geschieht aber, bevor der Filesharer überhaupt angeschrieben wird. Bewilligt ein Gericht fälschlich die Herausgabe seines Namens und seiner Adresse, kann er selbst sich dagegen nicht mehr wehren. Er hat kein Rechtsmittel. Die Preisgabe der persönlichen Daten lässt sich also nicht rückgängig machen.

Trotzdem bleibt es natürlich ein gutes Argument gegen die Abmahnung selbst, dass die Urheberrechtsverletzung wegen des Alters der abgemahnten Titel jedenfalls kein gewerbliches Ausmaß hatte. Es lohnt sich also immer, das juristische Verfallsdatum der fraglichen Werke zu prüfen.

OLG Köln, Beschluss vom 27.12.2010 – 6 W 155/10