Googles Sorgen mit einem gekränkten Autor

Bastian Sicks Erfolgsstory in Sachen deutscher Sprache ist lang. Erst die Zwiebelfisch-Kolumnen, dann die „Dativ“-Bücher, schließlich sogar Deutschstunden in Hallen, die sonst nur Popstars füllen. Alles im grünen Bereich, sozusagen.

Irgendwann jedoch hat Bastian Sick seinen Namen gegoogelt. Dabei entdeckte er auf seiner virtuellen Vita bei Google einen schwarzen Fleck, der ihn zum Anwalt und später vor Gericht ziehen ließ. Der Rechtsstreit Sick gegen Google beschäftigt seit geraumer Zeit die Instanzen und könnte Google in Deutschland noch richtig Probleme machen. Es geht, mal wieder, ums Prinzip. Die Frage ist letztlich, welchen Einfluss Betroffene auf Googles Suchergebnisse nehmen können.

Rechtsstreite, bei denen es ans Eingemachte geht, sind nicht neu für Google. Erst letztes Jahr beschäftigte sich der Bundesgerichtshof mit dem Problem, ob die in der Bildersuche angezeigten Thumbnails das Urheberrecht verletzen. Die Richter entschieden letztlich zu Gunsten von Google, indem sie für eine Opt-out-Lösung votierten. Wer im Gegensatz zu fast allen Internetnutzern nicht bei Google auftauchen wolle, müsse sich halt abmelden. Das ist leicht möglich, indem man dem Google-Bot mittels einer Codezeile den Zutritt verwehrt.

Nicht wenige Juristen kritisierten das als „Lex Google“. Sie wollen damit sagen, es hätte auch gut anders enden können – mit unschönen Folgen für Googles Bildersuchservice oder zumindest dessen Verfügbarkeit in Deutschland.

Nun also ein Prozess mit ähnlicher Fernwirkung. Wenig überraschend geht es im Verfahren des Buchautors Sick gegen Google um dessen Kernkompetenz: das geschriebene Wort. Genau gesagt um ein einziges Wort – „Satire“. Dieses Wort vermisste Sick, als er seinen Namen googelte. Auf der ersten Seite der Google-Suchergebnisse zu „Bastian Sick“ tauchte folgender Treffer auf:

Showbusiness: Eklat – Bastian Sick tritt unter Buhrufen ab…

Der Link führt zu einem Artikel in der Welt vom 6. März 2008, der über einen vermeintlichen Auftritt Sicks im Rahmen seiner Happy-Aua-Tour berichtet. Dass es sich um eine Satire handelt, erkennt der aufmerksame Leser im ersten Absatz, der flüchtige Konsument im zweiten, als berichtet wird, Sick habe nicht nur den Ort seines Auftritts verwechselt, sondern auf der Bühne seinen Irrtum auch noch verteidigt. Angebliches Zitat Sick:

Das ist doch gehopfen wie gespringt.

Später ging es laut „Bericht“ bei Sicks Gastspiel um so wichtige Zuschauerfragen, warum nicht dem angeblich urdeutschen Begriff Votze nicht der Vorzug vor dem lateinischen Vagina gebührt. Für alle Leser, die bis dahin immer noch nichts gemerkt haben, hat die Welt den Artikel unter ein riesiges Banner mit der Aufschrift „Satire“ gestellt. Auch in der URL zum Artikel ist der Begriff Satire enthalten – gleich hinter dem Slash nach welt.de.

Dumm nur, dass Google in den einfachen Suchtreffern zu Bastian Sick das Satire-Banner nicht anzeigt. Auch die ziemlich lange URL ist Google-typisch so abgekürzt, dass neben anderen Zeichen ausgerechnet auch der Begriff Satire nicht erscheint.

Der von Google angerissene Text („Eigentlich hätte auch diese Show seiner Happy-Aua-Tour ein Erfolg werden müssen. Aber ein sichtlich verwirrter…“) klingt zudem nach Sicks Auffassung so, als handele es sich um die ernstgemeinte Rezension eines seiner Auftritte.

Mit eben dieser Begründung zog der Autor dann auch vor Gericht. Das Suchergebnis sei verkürzt und enthalte Auslassungen. Insbesondere der fehlende Hinweis auf den Satirecharakter führe zu einer „unwahren Tatsachenbehauptung“. Durch diese fühlt sich Sick in seiner persönlichen Ehre verletzt und verlangt Unterlassung.

Juristisch sieht es derzeit gar nicht so schlecht aus für den gekränkten Autor. Das Kammergericht Berlin (Aktenzeichen 9 W 196/09) zeigt nämlich Verständnis für die „verkürzte Inhaltswiedergabe“. Das Snippet auf der Trefferseite verkürze die Aussage auf der verlinkten Seite in ihr Gegenteil. Das Gericht:

Sie wird von einer satirischen Darstellung, die durch ihr Erscheinen in der Rubrik der Seite als solche erkennbar sein soll, zu einer eindeutig unwahren Tatsachenbehauptung.

Google sei juristisch gesehen „Störer“ – jedenfalls in diesem Fall. Immerhin stellt das Kammergericht zunächst klar, dass Google beim besten Willen nicht alle Suchergebnisse überprüfen und klären kann, ob sie den Inhalt der verlinkten Seite korrekt wiedergeben. Zitat aus dem Beschluss:

Dabei ist zu berücksichtigen, dass die … Betreiberin der weltweit größten Internetsuchmaschine ihren Nutzern aus einer gigantischen Informationsmenge in Kürze in einem automatisierten Verfahren brauchbare Informationen vermittelt. Angesichts dessen ist es einem Unternehmen … nicht möglich und zuzumuten, jedes Rechercheergebnis vor der Anzeige … zu überprüfen. Eine solche Obliegenheit würde ihr gesamtes Geschäftsmodell in Frage stellen.

Spätestens mit der Abmahnung durch Sicks Anwalt habe Google das automatische Suchergebnis aber manuell nachbessern müssen.

Bei Google selbst löst diese Ansicht Befremden und auch einige Befürchtungen aus. „Die Texte, die Google als Suchergebnisse präsentiert, werden automatisch über einen vorher festgelegten Algorithmus generiert“, sagt Firmensprecher Stefan Keuchel.“Mit dem Suchergebnis verbinden wir keinerlei inhaltliche Aussage.“

Google erhebe auch nicht den Anspruch, den Inhalt jeder indizierten Seite korrekt zusammenzufassen. Keuchel: „Die Suchergebnisse sind keine Abstracts, sondern lediglich Wegweiser, wo es im Netz Inhalte zu den betreffenden Suchanfragen gibt.“
Jedem Nutzer sei klar, dass sich hinter einem Google-Treffer nicht unbedingt genau das verbirgt, was sich der Suchende erhofft.

Eben darauf hebt das Kammergericht Berlin aber in seiner Entscheidung ab. Die Richter fordern Googles Einschreiten jedenfalls dann, sobald sich die Anzeige auf der Trefferseite nicht mehr „im Rahmen der Kernaussage der Ursprungsseite hält“.

Das Kammergericht sieht in Google also nicht nur den Mittler zu Inhalten, sondern erhöht die US-Firma zu einer Art vorgeschalteten Inhalteanbieter, von dessen Seite Besucher tatsächlich einen Eindruck über die Suchtreffer mitnehmen, die sie gelesen haben. Denn, wohlgemerkt, um jene Google-Nutzer, die auf das Snippet klicken und die Verulkung auf Welt online goutieren, geht es nicht. Denn sie erkennen nach Auffassung des Gerichts ja, dass es sich um eine Satire handelt.

Sick hat die Welt wohl abgemahnt, die Zeitung sah jedoch keinen Grund, den Artikel zu ändern. Es handele sich um eine zulässige Satire. Von gerichtlichen Schritten Sicks ist nichts bekannt. Nun könnte man sich fragen, ob es Sick wirklich um die paar Leute geht, die nur das Snippet lesen und darauf hin womöglich im Hinterkopf speichern, dass seine Happy-Aua-Tour nicht ganz komplikationslos verlief. (Wie auch immer das gehen soll, bei den doch so zahlreichen anderen, durchaus positiven Fundstellen im Suchergebnis zu Sicks Namen.)

Ein ganz klein wenig drängt sich da doch der Verdacht auf, dass die Empörung über fehlgeleitete Google-only-Leser vielleicht doch nur ein Vorwand ist, um den Verweis auf den Artikel ganz zu erden. Wodurch die eigentliche Satire bei der Welt natürlich viel eher ihren Weg in die absolute Vergessenheit finden würde. Selbst wenn Sicks Motive völlig lauter sind; ein ganz unerwünschter Nebeneffekt wäre das virtuelle Verschwinden des Welt-Artikels für ihn wohl kaum.

Genau hier fangen die Probleme an, welche für Google Folgen weit über das Sick-Snippet haben können. Die Behauptung, ein Suchergebnis treffe nicht die „Kernaussage“ der verlinkten Seite, lässt sich nämlich schnell aufstellen und hervorragend instrumentalisieren. Entweder der Link fliegt raus oder wird „inhaltlich“ den Wünschen des Anspruchsstellers angepasst. Sonst werden die Anwälte in Stellung gebracht.

Das klingt erst einmal nach viel Feind, viel Ehr für Google. Die schon angekündigte Personalaufstockung könnte jedenfalls nicht die letzte gewesen sein. Mehr als juristische Scharmützel muss Google aber womöglich fürchten, dass eine aufgezwungene Bearbeitung der Snippets von der Öffentlichkeit nicht als juristische Notwendigkeit angesehen wird, sondern als Zensur. Fast unabsehbar, was so ein Image für die Klickzahlen bedeuten könnte.

Die schon erwähnte „Lex Google“ könnte das Unternehmen allerdings vor dem Schlimmsten bewahren. Sie lässt nämlich zumindest Beschwerden von Anbietern ins Leere laufen, die ihre eigenen Seiten schlecht von Google getroffen sehen. Unzufriedene Seitenbetreiber können aber wie Bildanbieter den Google-Bot einfach aussperren. Etwas, das Bastian Sick mit dem redaktionellen Onlineangebot der Welt verwehrt ist.

Bei Google nimmt man den Rechtsstreit jedenfalls sehr ernst. Unternehmenssprecher Stefan Keuchel: „Wir werden alle Rechtsmittel ausschöpfen.“