Lotto-Kläger: “Wir haben Testkäufer geschickt”

Haben Hartz-IV-Empfänger Lottoverbot? Die Frage wird seit gestern abend heftig diskutiert, nachdem eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Köln bekannt wurde. Zu den Hintergründen habe ich mit Rechtsanwalt Andreas Okonek aus der Bonner Kanzlei Redeker gesprochen. Er vertritt die Klägerin, den Sportwettenanbieter Tipico mit Sitz in Malta. Hier das Interview:

Dürfen Hartz-IV-Empfänger jetzt wirklich nicht mehr Lotto spielen?

Wir haben unseren Verbotsantrag so gestellt, dass damit in erster Linie “Glücksspiele durch Sportwetten” für bestimmte Personen untersagt werden sollen. Zu diesem Kreis gehören Minderjährige und Überschuldete. Aber auch Menschen mit so niedrigem Einkommen, dass sie durch Glücksspiel überfordert werden. Diese Personengruppe umfasst auch Hartz-IV-Empfänger.

Also geht es derzeit “nur” um Sportwetten und Lotto ist außen vor?

Das kann man nicht so einfach sagen. Der Gerichtsbeschluss bezieht sich zunächst nur auf Glücksspiel durch Sportwetten. Allerdings kennt man im Wettbewerbsrecht den “kerngleichen Verstoß”. Ein gerichtliches Verbot kann demnach auch Geschäftspraktiken umfassen, bei denen die rechtlichen Rahmenbedingungen gleich sind. Bei Lotto reden wir zwar über Unterschiede in den Nuancen, aber dennoch sind die Sachverhalte mit den Sportwetten vergleichbar. Wir werden in Ruhe prüfen, ob und wie wir mögliche Verstöße auch beim Lotto verfolgen.

Wie ist es eigentlich zu dem Antrag gekommen?

Glücksspiel ist in Deutschland fest in staatlicher Hand. Das europäische Recht billigt so ein Monopol aber nur dann, wenn es zum Schutz der Bevölkerung nötig ist. Die staatlichen Glücksspielanbieter rechtfertigen ihre Sonderstellung mit den Gefahren der Spielsucht. Leider halten sie sich dann aber nicht an die selbst gewählten Maßstäbe.

Sie meinen also, Ihr Gegner Westlotto tut nicht genug für den Spielerschutz?

Das ist keine Meinung, sondern Fakt. Wir haben etliche Testkäufer in Lottoannahmestellen geschickt und den Ablauf protokolliert. Die Ergebnisse waren ernüchternd. In 40 % der Fälle wurden Minderjährigen Sportwetten verkauft. Überschuldete oder Hartz-IV-Empfänger konnten alle ihren Spielschein abgeben.

Schulden oder Hartz IV sieht man aber auch niemandem an?

Die Testkäufer haben sich vor dem Verkaufspersonal laut unterhalten. Etwa so:

“Wieso tippst du schon wieder für 50 Euro? Du hast doch Schulden bis über beide Ohren!” “Ach lass mal, etwas Spaß muss sein.” Oder: “Du kannst doch hier kein Glücksspiel machen, wenn du schon mit dem Geld vom Amt nicht klarkommst?” “Aber das ist doch der einzige Weg, wie ich von Hartz IV runterkommen kann.”

Die Verkäufer haben meist gelacht und noch viel Glück gewünscht. Die Sportwette abgelehnt hat keiner.

Aber warum sollte der Verkäufer das auch tun?

Weil das geltende Recht es so verlangt! Nach den Vorschriften muss der Glücksspielanbieter nicht nur Minderjährige, sondern auch finanziell schwache Personen vor einer Überforderung schützen. Diese Regeln haben wir uns nicht ausgedacht, sondern die Politik.

Wie konnten Sie das Gericht davon überzeugen, dass Hartz-IV-Empfänger sich nicht ab und zu doch mal einen Spielschein leisten dürfen?

Wir haben uns an der jüngsten Debatte um Hartz IV orientiert. Es wurde ja ausführlich diskutiert, ob in der Grundsicherung auch ein Betrag für Glücksspiel enthalten sein soll. Am Ende wurde das abgelehnt. Ausgaben für Glücksspiel sind also nicht vorgesehen und damit logischerweise eine finanzielle Überforderung.

Hartz-IV-Empfänger fühlen sich nun diskriminiert. Ist da nicht eine Entschuldigung angebracht?

Es geht meiner Mandantin nicht darum, ganze Gruppen der Bevölkerung zu stigmatisieren. Nicht die privaten Glücksspielanbieter haben sich die extrem strengen Vorschriften ausgedacht, sondern die deutschen Politiker in dem Bestreben, das Glücksspiel weiter rein staatlich zu betreiben. Wenn etwas diskriminierend wirkt, dann höchstens die momentan gültigen Vorschriften.

Diese Vorschriften werden aber nicht umgesetzt, wenn man Ihren Tests vertrauen darf.

Das ist doch genau der Punkt. Die Politik verhindert privaten Wettbewerb durch strengste Schutzvorschriften, aber die eigenen Monopolbetriebe halten sich dann nur mangelhaft daran. Man kann es privaten Glücksspielanbietern, die rigoros vom Markt gedrängt werden, wohl kaum verübeln, dass sie die Verantwortlichen beim Wort nehmen.

Man kann nicht Wasser predigen, aber gleichzeitig Wein trinken. Das gilt für jeden, sogar für den Staat.