Sitzblockaden müssen keine Nötigung sein

Karlsruhe stärkt Demonstranten: In einem heute bekanntgegebenen Beschluss stemmt sich das Bundesverfassungsgericht gegen die mittlerweile durchgehende Linie der Strafgerichte, Sitzblockierer wegen Nötigung zu verurteilen.

Nach Auffassung der Verfassungsrichter sind politisch motivierte, friedliche Sitzblockaden vom Recht auf Versammlungsfreiheit geschützt. Dies kann dazu führen, dass solche Proteste nicht als “verwerflich” anzusehen sind. Mit der Folge, dass der Nötigungsparagraf nicht eingreift.

Geklagt hatte ein Mann, der im Jahr 2004 gemeinsam mit 40 anderen Demonstranten die Zufahrt zu einer US-Basis in Hessen blockiert hatte. Die Teilnehmer wandten sich gegen eine sich abzeichnende militärische Intervention der US-Streitkräfte im Irak. Etliche Militärfahrzeuge konnten nicht weiter fahren.

Das Amts- und Landgericht Frankfurt verurteilten den Mann wegen Nötigung zu einer Geldstrafe. Der Demonstrant habe strafbare Gewalt angewandt. Er könne sich auch nicht auf das Grundrecht der Versammlungsfreiheit berufen. Zwangseinwirkungen, die allein darauf abzielten, durch gewaltsamen Eingriff in Rechte Dritter gesteigertes Aufsehen in der Öffentlichkeit zu erregen, seien durch das Grundrecht der
Versammlungsfreiheit nicht gedeckt. Zudem sei die Beeinträchtigung fremder Freiheit ein völlig ungeeignetes Mittel zur Erreichung des angestrebten Zweckes gewesen. Auch gesellschaftspolitische Motive änderten nichts daran, dass die Demonstranten rechtswidrig handelten.

Dem folgt das Bundesverfassungsgericht nicht. Nur unfriedliche Versammlungen genießen nach dem Beschluss keinen Grundrechtsschutz. Eine politisch motivierte Sitzblockade betrachten die Verfassungsrichter noch als friedliche Versammlung. Demgemäß dürfe nicht gesagt werden, dass die Versammlungsfreiheit nicht gilt.

Das Bundesverfassungsgericht attestiert den Gerichten überdies ein komplett falsches Verständnis von der Versammlungsfreiheit:

Die Ausführungen des Landgerichts unterliegen bereits im Ausgangspunkt verfassungsrechtlichen Bedenken. Das Landgericht hat bei der Abwägung den Zweck der Sitzblockade, Aufmerksamkeit zu erregen und so einen Beitrag zur öffentlichen Meinungsbildung zu leisten, als einen für die Verwerflichkeit der Tat sprechenden Gesichtspunkt zulasten des Beschwerdeführers gewertet, obwohl dieses sogar den sachlichen Schutzbereich des Art. 8 Abs. 1 GG eröffnet und damit eine Abwägung zwischen der Versammlungsfreiheit und den hierdurch betroffenen Rechtsgütern Dritter überhaupt erst erforderlich macht.

Konkret müsse bei jeder Sitzblockade zu Gunsten der Demonstranten geprüft werden, ob ein “Sachbezug” vorliege. Dieser Sachbezug sei bei einer Blockade von Fahrzeugen des US-Militärs mehr als gegeben gewesen. Quasi vorsorglich weisen die Verfassungsrichter darauf hin, an eine straflose Sitzblockade dürften keine zu hohen Anforderungen gestellt werden. Ein hinreichender Sachbezug sei jedenfalls nicht nur dann anzunehmen, wenn die Blockade “verantwortliche Entscheidungsträger und Repräsentanten für die den Protest auslösenden Zustände” aufhält.

Die Strafgerichte müssen jetzt sorgfältig abwägen, ob die Blockade tatsächlich verwerflich war. Voraussetzung hierfür, so das Verfassungsgericht, seien nachvollziehbare Tatsachenfeststellungen. Die in den früheren Urteilen verwendeten Sprechblasen á la „nicht unerhebliche Wartezeit“ und „möglicherweise über einen nur kurzen Zeitraum“ genügen den Karlsruher Richtern jedenfalls nicht.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 7. März 2011, Aktenzeichen 1 BvR 388/05