Kölsche Nummernsuche

Ich möchte gar nicht wissen, wie viel Zeit ich in den Warteschleifen von Justizbehörden vertrödele. Das liegt daran, dass die Telefonzentralen meist hoffnungslos überlastet sind. Und zwar nicht wegen der unglaublichen Zahl von Anrufern, sondern weil viel zu wenige Mitarbeiter für die Telefonzentrale zur Verfügung stehen.

Man muss nur, wie ich das schon mal tue, höflich nachfragen, woran es denn liegt, dass Anrufer erst nach endlosem Klingeln durchkommen. Oder gar erst beim x-ten Versuch. Die meisten Damen (Telefonisten sind selten) sind ganz froh, das mal erklären zu können. Eine typische Aussage: “Wir sitzen hier zu zweit für ein Amtsgericht, ein Landgericht und eine Staatsanwaltschaft.”

Bei solchen Zuständen ist es schön, wenn Justizbehörden wenigstens die Telefonnummern ihrer Geschäftsstellen online stellen. Das Verzeichnis der Düsseldorfer Staatsanwaltschaft, deren Zentrale schon Jahre hoffnungslos überfordert ist, und einige andere habe ich auf dem Desktop meines Computers abgespeichert. Um die richtige Rufnummer zu finden, muss man für Düsseldorf zwar etwas Zahlenbingo spielen. Aber immer noch besser als endlose Minuten Warteschleife.

Auch die Staatsanwaltschaft Köln hat ihr Telefonverzeichnis online. Und was für eines! Ich war heute jedenfalls baff, als ich mich anhand des Aktenzeichens zur richtigen Abteilung für allgemeine Strafsachen hangelte – und dann gleich online den Nachnamen meines Mandanten las. Neben vielen anderen Namen übrigens.

“Cookies” – das blitzte als Idee auf. Habe ich mich da irgendwie registriert, und die Staatsanwaltschaft Köln bietet eine personalisierte Startseite? Sozusagen das Amazon unter den Justizbehörden? Aber wie soll das gehen, bei einem stinknormalen PDF…

Die Erklärung ist viel simpler. Verfahren werden bei der Staatsanwaltschaft Köln (auch) nach dem Alphabet aufgeteilt. Und zur Abgrenzung der Buchstaben hat man anscheinend der Einfachheit halber die Nachnamen der Beschuldigten genommen, deren Akte bei Erstellung des Verzeichnisses gerade auf dem passenden Häufchen oben oder unten lag.

Die Nachnamen der “Glücklichen” stehen jetzt also online. Jeder, der einen Blick ins Telefonverzeichnis der Staatsanwaltschaft Köln wirft, wird quasi nebenher darüber informiert, dass gegen die Betreffenden Ermittlungsverfahren laufen oder zumindest liefen. Halb so schlimm, könnte man meinen. Es gibt doch viel zu viele Meier, Müller und Schulze, um da auf eine konkrete Person schließen zu können.

Nun ja, Allerweltsnamen kommen in der umfangreichen Liste jedoch so gut wie gar nicht vor. Dafür etliche, von denen selbst das Kölner Telefonbuch keine mehrfachen Einträge zeigt. Ich habe eine kleine Stichprobe gemacht. Überdies findet sich auch eine beachtliche Zahl an Namen, die selbst in einer Millionenstadt nur einmal vorkommen dürften.

Schauen Sie doch auch mal rein, vielleicht erfahren Sie Interessantes über Nachbarn, Kollegen oder Freunde.

Stundenlang einsperren geht nur mit gutem Grund

Auf so manchen Polizeirevieren wird man die Organisationsabläufe künftig deutlich straffen müssen – sofern die dort tätigen Beamten das Bundesverfassungsgericht ernst nehmen. Aus Karlsruhe kommt nämlich eine deutliche Ansage zu Festnahmen, die schon von vornherein nur vorübergehend angelegt sind. Im nun entschiedenen Fall waren Grundstücksbesetzer, die sich ausweisen konnten und eigentlich nur fotografiert werden sollten, mehr als fünf bzw. acht Stunden eingesperrt worden. So etwas hält das Bundesverfassungsgericht für unverhältnismäßig und somit rechtswidrig.

Die vorherigen Instanzen hatten das Wegschließen der Beschwerdeführer noch gebilligt. Immerhin seien rund 100 Grundstücksbesetzer festgenommen worden. Die Dauer der erkennungsdienstlichen Behandlung sei der Vielzahl der Betroffenen geschuldet.

Dem folgt das Bundesverfassungsgericht nicht. Die Richter stören sich bereits daran, dass die Maßnahme der Polizei offiziell (auch) unter “Identitätsfeststellung” lief. Die Identitätsfeststellung sei aber bereits abgeschlossen gewesen, als die Betroffenen ihre Ausweise zeigten. Das Verfassungsgericht:

Die Beschwerdeführer hatten sich vor Ort mit Ausweispapieren ausgewiesen. Anhaltspunkte dafür, dass die Ausweise gefälscht waren oder die Personen nicht mit dem Ausweisinhaber übereinstimmten, sind nicht ersichtlich. Daher ist – insbesondere im Hinblick auf das verfassungsrechtlich fundierte Regel-Ausnahme-Verhältnis zwischen bloßer Identitätsfeststellung und weiterem Festhalten – davon auszugehen, dass es den Polizeibeamten möglich war, die Identität vor Ort hinreichend sicher festzustellen. Ein Festhalten aus reinen Praktikabilitätserwägungen vermag die Erforderlichkeit der Maßnahme nicht zu begründen.

Eine eindeutige Notwendigkeit, die Betroffenen zu fotografieren, sieht das Verfassungsgericht nicht. Selbst wenn man aber unterstelle, dass Porträts für das weitere Verfahren erforderlich waren, “weil ansonsten die Erinnerung der einzelnen Polizisten als Zeugen vor Gericht aufgrund der Vielzahl an Personen ohne weitere Fotos nicht hinreichend gewährleistet gewesen wäre”, habe die Festhaltezeit von etlichen Stunden jedes zulässige Maß überschritten. Aus der Entscheidung:

Zwar kann die Masse der zu bearbeitenden Fälle eine organisatorisch nicht vermeidbare und mäßige Wartezeit sowie ein Verbringen an andere Polizeidienststellen zur Durchführung erkennungsdienstlicher Maßnahmen jedenfalls bei hinreichend gewichtigen Straftaten rechtfertigen. Hier sind die Beschwerdeführer jedoch erst nach mehreren Stunden im Polizeipräsidium lediglich insoweit erkennungsdienstlich erfasst worden, dass von ihnen wenige einfache Fotoaufnahmen angefertigt wurden. Im Rahmen der Verhältnismäßigkeitserwägungen hätte es daher zur Annahme der Erforderlichkeit der mehrstündigen Ingewahrsamnahme einer genaueren Auseinandersetzung mit anderen weniger einschneidenden, aber gleich erfolgversprechenden Maßnahmen bedurft, wie etwa der Fertigung entsprechender Aufnahmen vor Ort, als die Personen einzeln zur Identitätsfeststellung herausgeführt wurden.

Entgegen der Auffassung der Polizei handele es sich im Ergebnis sehr wohl um eine Freiheitsentziehung. In diesem Fall hätte sich die Polizeibehörde aber darüber im Klaren sein müssen, dass sie gegebenenfalls einen richterlichen Beschluss benötigen.

Die Sache wurde nun an die Ausgangsgerichte zurückverwiesen. Sie müssen nach den Vorgaben des Verfassungsgerichts neu entscheiden.

Pressemeldung des Bundesverfassungsgerichts mit Links zu den Beschlüssen

Regierung will keine Netzsperren mehr

Es gibt auch erfreuliche Nachrichten aus Berlin: Es wird in Deutschland keine Internetsperren geben. Die Koalition hat sich heute darauf geeinigt, das derzeit ausgesetzte Zugangserschwerungsgesetz zu ändern. Künftig sollen kinderpornografische Inhalte nur gelöscht, aber nicht mit Stoppschildern versehen werden.

Hauptverfechterin der Internetsperren war die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen. Sie verdiente sich damit den Spitznamen “Zensursula”. Kritiker der Internetsperren hatten im wesentlichen argumentiert, dass Internetsperren kinderpornografische Inhalte nicht entfernen und somit nur “kosmetisch” wirken. Zudem seien die Sperren extrem leicht zu umgehen. Internetnutzer, die tatsächlich nach Kinderpornografie suchen, würden somit in keiner Form abgeschreckt.

Gleichwohl befürchteten Netzsperrengegner den Aufbau einer Zensur-Infrastruktur. Wenn heute Kinderpornografie gesperrt werde, könne das – ohne nennenswerten Rechtsschutz für Betroffene – auf beliebige andere Inhalte ausgedehnt werden. Die Musik- und Filmindustrie zeigte sich beispielsweise stets angetan von Sperrlisten und Stoppschildern. Dieser Wechsel auf die Zukunft dürfte nun nicht einlösbar sein.

Das Bundeskriminalamt muss mit der Absage an die Netzsperren eine Niederlage hinnehmen. Behördenchef Jörg Ziercke hat lange vehement behauptet, das Löschen im Einzelfall funktioniere nicht. Jedoch stellte sich durch Tests von Sperrlistengegnern heraus, dass sogar private Beschwerden bei Providern höchst erfolgreich sind, und zwar sowohl im In- und Ausland.

Als die Frage gestellt wurde, warum die deutsche Polizei weniger kann als Verbände, verbesserte sich auch die Erfolgsquote des BKA drastisch. "Nach aktuellen Zahlen des Bundeskriminalamtes sind nach zwei Wochen 93 Prozent der kinderpornografischen Inhalte gelöscht, nach vier Wochen sind es sogar 99 Prozent", erklärte dazu heute Bundesjustizministerin Sabine Leutheusser-Schnarrenberger.

Die heutige Entscheidung ist ein Sieg der Vernunft und ein Verdienst derjenigen, die beharrlich ihre guten Argumente gegen die Stereotypen der Befürworter gesetzt haben. Viele der Gegenstimmen kamen aus dem Netz. Sie waren sicher auch ursächlich dafür, dass die etablierten Medien das Thema spät aufgriffen, zum Glück aber nicht zu spät.

Die nächste Frage wird sein, ob Netzsperren womöglich noch über den Umweg Europa drohen. Es gibt ja auch noch aktuelle Planungen für eine EU-Richtlinie (“Zensilia”).

Häkchen für Häkchen

Für eine Spedition haben wir ziemlich hohe Außenstände eingeklagt. Der Auftraggeber hörte letztes Jahr einfach auf, Rechnungen zu bezahlen. Die Forderungen selbst sind gut dokumentiert. Die Aufträge liegen schriftlich vor. Alle  Empfänger, die unsere Mandantin beliefert hat, haben den Erhalt der Ware abgezeichnet. 

Nun liegt die Sache geraume Zeit beim Gericht. Bis heute hat sich die Gegenseite nicht geäußert. Auch vor der Klage hat sie nichts gerügt. Als Anwalt macht man sich da natürlich Gedanken, was jetzt wohl für Einwände kommen können.

Immerhin kriegten wir heute mal etwas von der Gegenseite zu hören. In der Form eines Briefes, den sie direkt an unsere Mandantin geschrieben hat. Die Firma bittet “zum Zwecke der Prüfung unseres Jahresabschlusses” dem Wirtschaftsprüfer zu bestätigen, wie viel Geld unsere Mandantin zu kriegen hat.

Beigefügt war praktischerweise eine Liste mit allen Rechnungen unserer Mandantin, dem Fälligkeitszeitpunkt, den mittlerweile aufgelaufenen Verzugstagen und, was ich besonders schön finde, einem Häkchen hinter dem jeweiligen Rechnungsbetrag. Natürlich wird man ausgiebig darüber streiten können, was so ein Häkchen aussagen soll. Wie auch immer das Ergebnis lautet, jedenfalls macht man normalerweise keine Häkchen hinter Forderungen, die man für ungerechtfertigt hält.

Der Gegenanwalt muss sich jetzt allemal noch einen Tick mehr ins Zeug legen, wenn er dem Gericht eine plausible Geschichte erzählen will. Ich hoffe aber mittlerweile, dass es auf ein Versäumnisurteil hinausläuft. 

Fall abgeschlossen

Besser mal jemand fragen, der sich damit auskennt. Eine Regel, die durchaus auch für Polizeibeamte gelten kann.

Sicherlich ist es ein großer und erwähnenswerter Erfolg, wenn die Polizei in Kelsterbach der Jugendkriminalität Einhalt gebietet. Und zwei sechs- und achtjährigen Schülerinnen das Geständnis entlockt, mit Steinen und Stöcken auf drei Motorhauben “gemalt” zu haben. Hervorragend auch der Fahndungsansatz, in der “nahegelegenen Schule” zu forschen, um die Übeltäterinnen zu ermitteln.

Weniger nachvollziehbar ist allerdings, dass die Polizei in ihrer Pressemitteilung die Mädchen für “verantwortlich” erklärt. Gut, das mag vielleicht nicht juristisch gemeint sein. Gepflegte Unkenntnis im Zivilrecht beweist die Polizei allerdings mit der gönnerhaften Bemerkung, die sie ans Ende ihrer Erfolgsmeldung setzt:

Für die Polizei sind die Fälle damit abgeschlossen, auf die Eltern der Mädchen kommt eine Schadensersatzforderung in Höhe von rund 800 Euro zu.

Forderungen erheben ist nicht verboten. Aber tatsächlich ist es sehr unwahrscheinlich, dass die Eltern was bezahlen müssen. Die Töchter selbst sind noch zu jung, um direkt für den Schaden herangezogen werden zu können. Erst ab dem siebten Lebensjahr kommt eine Schadensersatzpflicht überhaupt in Betracht. Bei dem älteren Mädchen kommt es darauf an, ob sie schon die erforderliche Einsichtsfähigkeit hat. Bei Achtjährigen ist das normalerweise nicht der Fall.

Was die Eltern selbst angeht, hat die Polizei vielleicht den Satz vor Augen gehabt, ohne den kein Baustellenschild auskommt: “Eltern haften für ihre Kinder.” Aber das tun sie gerade nicht. Eltern können für Delikte des Nachwuchses nur herangezogen werden, wenn sie ihre eigene Aufsichtspflicht verletzt haben.

Sollten die Kinder noch Unterricht gehabt haben oder auf dem Nachhauseweg gewesen sein (ohne im letzteren Fall schon vorher Autos zerkratzt zu haben), wäre schon Schluss mit einer Verantwortung der Eltern. Denn die Aufsichtspflicht liegt dann bei der Schule oder besteht nicht.

Ansonsten kommt es darauf an, ob die Eltern in der konkreten Situation verpflichtet waren, ihre Kinder ständig im Auge zu behalten. Gerichte halten das bei Sechs- bis Achtjährigen jedenfalls nicht für durchgehend erforderlich. Wäre ja auch traurig, wenn Kinder in diesem Alter nicht mal draußen spielen dürften.

Zum Zwecke

Das Landgericht hat einen Zeugen geladen. Es geht um einen Totschlag in einer Familie mit Migrationshintergrund. In dem Schreiben findet sich, wie auch sonst bei Zeugenladungen dieser Strafkammer, ein besonderer Hinweis. Dieser lautet:

Zum Zwecke der Mitteilung kurzfristiger Terminverschiebungen wird gebeten, Ihre telefonische Erreichbarkeit schriftlich oder per e-mail zu o.g. Aktenzeichen mitzuteilen.

Freundlich gemeint und ein keineswegs selbstverständliches Angebot, aber die Ausdrucksweise dürfte die Erfolgsquote nicht gerade steigern.  

Wie einen Worte ins Gefängnis bringen

Ermittlungen wegen Besitz oder Verbreitung von Kinderpornografie kommen schnell in Gang. Es reicht, wenn eine IP-Adresse beim Zugriff auf eine “verdächtige” Datei auftaucht. Meist geschieht das in Tauschbörsen. Dem Anschlussinhaber, dem die IP-Adresse zugeordnet ist, droht dann unweigerlich eine Hausdurchsuchung. Ob auch andere Nutzer – Familienangehörige, Besucher, Freunde, Arbeitnehmer – in Frage kommen, wird vorher nicht geprüft. Es trifft zunächst immer denjenigen, auf den der Anschluss angemeldet ist.

Früher kam es durchaus mal vor, dass das fragliche Bild oder Video sich tatsächlich auf der Festplatte des Betroffenen fand. Aber auch da war es schon häufiger so, dass von der überprüften Datei gar keine Spuren zu finden waren. Es kam in diesen Fällen halt darauf an, ob die beschlagnahmten Datenträger sonstige Kinderpornografie enthielten. War das der Fall, spielte der Auslöser der Ermittlungen gar keine Rolle mehr. 

Die Zeiten haben sich geändert. Ich muss nun schon sehr lange zurückdenken, um auf einen Fall zu kommen, bei dem bei meinem Mandanten oder meiner Mandantin (= Anschlussinhaberin) die verdachtsbegründende Datei gefunden werden konnte. Oder zumindest Spuren vom betreffenden Downloadvorgang im Filesharingclient, so denn überhaupt einer installiert war.

Das lässt mehrere Schlussfolgerungen zu.

Womöglich wird mittlerweile auch mal Fünfe gerade sein gelassen bei der Frage, ob sich hinter einem Angebot, dessen Zugriffe geloggt werden, tatsächlich strafbare Kinderpornografie verbirgt. Oder ob der Internetnutzer wenigstens irgendwelche Indizien dafür haben konnte, dass er nun wirklich den legalen Bereich verlässt. Wir haben ja mittlerweile eine erhöhte Zahl von “Internetstreifen”, und zwar auf Landes- sowie Bundesebene. Ob da ein gewisser Erfolgsdruck entsteht, der sich in der Zahl veranlasster Durchsuchungen entlädt, wäre zu hinterfragen.

Überdies hat sich natürlich auch längst herumgesprochen, dass Tauschbörsen intensiv überwacht werden. Und nicht nur das, es gibt auch von den Behörden reichlich gekaperte oder selbst ins Netz gestellte einschlägige Angebote, die dann als “Honeypots” laufen.

Der offenkundige Ermittlungsdruck dürfte also zu erhöhter Wachsamkeit bei denen führen, die kein Interesse an Kinderpornografie haben, aber sich halt sonstige Pornografie aus Tauschbörsen holen.

Jene, die wirklich systematisch nach strafbarem Material suchen, werden aufgrund der offenkundigen Überwachung ohnehin auf andere Quellen ausweichen. Die harten User, das behaupte ich mal, verirren sich höchstens noch volltrunken oder sonstwie zugedröhnt in eine Tauschbörse.

Kombiniert man all dies, steigt die Wahrscheinlichkeit, dass die wegen eines einzigen Internetzugriffs angeordnete Durchsuchung Unschuldige trifft. Wie ich oben schon erwähnte, ist es in den Fällen, die auf meinem Schreibtisch landen, ganz normal, dass auf den vorgefundenen Rechnern das Material eben nicht vorhanden ist, welches die Durchsuchung ausgelöst hat.

Aber damit nicht genug. Bei mir steigt auch die Zahl der Fälle sprunghaft an, bei denen schlicht und einfach keinerlei Kinderpornografie gefunden wird. Natürlich kann und sollte man nicht alle diese Fälle mit Irrtümern der Ermittler erklären.

Das liegt zum einen daran, dass nicht mehr nur Geeks ihre Daten verschlüsseln. Verschlüsselung ist ein solides und auch vom Bundesverfassungsgericht abgesegnetes Recht, für das man sich nicht entschuldigen muss. (Ebenso für die Weigerung, Passworte herauszugeben.) Sind verschlüsselte Daten vorhanden, die nicht geknackt werden können, bleibt natürlich immer die theoretische Möglichkeit, dass der Beschuldigte zu Recht in Verdacht geraten ist, dieser Verdacht sich aber wegen der Verschlüsselung in Verbindung mit der Unschuldsvermutung nicht erhärten lässt.

Ich selbst frage Passwörter natürlich auch nicht ab. Außerdem kann ich niemandem hinter die Stirn gucken. Trotzdem bleibt mein Eindruck, dass sich die gestiegene Zahl schlicht ergebnisloser Durchsuchungen nicht allein mit TrueCrypt erklären lässt. Immerhin gibt es, wie ich meine, immer mehr Fälle, in denen nichts verschlüsselt wurde, aber trotzdem kein strafbares Material aufgefunden wird. Das macht den Anfangsverdacht natürlich höchst fragwürdig.

Es wird nach meiner Einschätzung also zu häufig auf vager Grundlage durchsucht. Wobei ich diesen Eindruck auch mit einem anderen Fakt erhärte: Ermittler sind immer weniger bereit, den Fehlschlag einzuräumen. Stattdessen wird nach Strohhalmen gesucht, aus denen sich doch noch ein Tatvorwurf konstruieren lässt.

So werden Datenträger mittlerweile längst nicht mehr nur nach tatsächlich vorhandenen Bild- und Videodateien gescannt. Ist die Standardsuche mit dem System “Perkeo”, in dem so gut wie die gesamte bekannte Kinderpornografie registriert ist, erfolglos (und das Verfahren damit einstellungsreif), werfen findige Polizisten und Sachverständige nun die Phrasensuchmaschinen an.

Alle Systembereiche werden dann nach einschlägigen Schlüsselworten gescannt, die (auch) zur Beschreibung kinderpornografischer Dateien verwendet werden. Taucht dann in einem längst toten Dateipfad so ein Begriff auf, gilt dies manchen Staatsanwälten schon als Beleg dafür, dass eine kinderpornografische Datei auf dem Rechner war.

So wurde kürzlich ein Mandant wegen des Besitzes von Kinderpornografie angeklagt, obwohl für die hier fraglichen Zeiträume kein einziges strafbares Bild oder Video auf seinem Rechner war. (Legale Pornografie fand sich allerdings reichlich.) Jedoch galt er schon deshalb als hinreichend verdächtig, weil sich in den Tiefen des Betriebssystems einige Schlüsselbegriffe auslesen ließen, die gemeinhin (auch) mit Kinderpornografie in Verbindung gebracht werden. So wird das dann beschrieben:

Der Verzeichnispfad der angegebenen Datei verweist auf ein Verzeichnis, welches auf dem sichergestellten Laptop nicht mehr existent ist. Jedoch findet sich beim Öffnen mit einem Texteditor eine Auflistung, deren Dateinamen eindeutig auf kinderpornografische Inhalte schließen lassen. 

Für eine Anklage bedarf es also nicht mehr tatsächlich vorhandener Kinderpornografie. Es reichen schon schlichte Worte. Vielleicht wäre dieses Vorgehen im Ansatz nachzuvollziehen, wenn sich aus dem Fundort der Dateinamensfragmente auf eine eindeutige Quelle im Netz schließen ließe. Außerdem auf die exakte Zeit des Downloads. Wenn dann noch nachgewiesen werden könnte, dass die damals zu erreichende Datei tatsächlich kinderpornografisch war, ja, dann hätte man sozusagen ein gewisses Indiz, das für eine Besitzverschaffung sprechen könnte.

Ob selbst das als Beweis ausreichen würde, bezweifle ich. Aber selbst das, was als Minimum anzusehen ist, lässt sich natürlich nicht mehr belegen. Vielmehr sind es bloße, im Betriebssystem oder an Dateibäumen hängende Worte ohne eine Verknüpfung mit einem noch überprüfbaren Datentransfer, die den Tatnachweis ersetzen sollen. Dabei scheint nicht mal in Betracht gezogen zu werden, dass Dateinamen nicht von einem Amt vergeben werden. Oder dass nicht alles unter Flagge segelt, die es gehisst hat.

Worte sollen also im Ergebnis mittlerweile reichen, einen Beschuldigten ins Gefängnis bringen. Nicht aufschreien, das mit dem Gefängnis ist keine Übertreibung. Es gibt inzwischen Gerichte, die keine Probleme damit haben, auch Ersttätern in dieser Deliktsgruppe Bewährung zu verweigern.

Ich fürchte, es sind genau diese Gerichte, die der Idee, Dateinamen als Beweis für ihren Inhalt zu nehmen, etwas abgewinnen können.

Drei Tritte bleiben ungesühnt

Polizeiprotokolle sind immer mit Vorsicht zu genießen. Das liegt zum einen daran, dass Beamte gern Normalsprech in Bürokratendeutsch konvertieren. Überdies besteht schon mal die Neigung, weniger das Gesagte festzuhalten, sondern das, was der Vernehmungsbeamte gern hören möchte. Was mit der ausgeprägten Abneigung vieler Befragter, sich das Protokoll noch mal richtig durchzulesen, zu verhängnsivollen Resultaten führen kann. 

Kommunikationsprobleme treten jedoch nicht nur im Verhältnis Polizist – Bürger auf, sondern auch dienstintern. Mit einem schönen Beispiel durfte sich heute das Amtsgericht Düsseldorf beschäftigen. Es ging um einen Vorfall, der sich an Altweiber 2010 in der Düsseldorfer Altstadt zugetragen haben soll.

An diesem Tag schoben sich die Narren dicht an dicht durchs Kneipenviertel. Es heißt, die Stimmung sei aggressiv gewesen. Am Rande eines Polizeieinsatzes soll es dann zu einem Vorfall gekommen sein. Diesen hielt ein unbeteiligter Beamter später in einer “Lagemeldung” fest:

Der Beamte POK H. wurde durch einen Störer mindestens drei Mal in das Gesäß getreten. Als sich der Beamte umdrehte, sah er die Person auf sich zulaufen und zu einem Tritt ausholen. Diesen Angriff konnte der Beamte abwehren. Dem Beamten gelang es, an den Personalausweis der betreffenden Person zu kommen.

Der Polizist, der die Tritte abbekommen hatte, schrieb keinen eigenen Bericht. Er stellte auch keinen Strafantrag. Das hätte die zuständige Staatsanwältin stutzig machen können. Hat es aber nicht. Statt den Beamten selbst noch mal befragen zu lassen, klagte sie den vermeintlichen Übeltäter direkt wegen Körperverletzung an. Schönster Satz der Anklageschrift: “Die Zufügung der Schmerzen hatte der Angeschuldigte beabsichtigt.” Den fehlenden Strafantrag ersetzte die Staatsanwältin, indem sie das besondere öffentliche Interesse an der Strafverfolgung bejahte.

Mit dem Inhalt der Lagemeldung, die zu der Anklage führte, hatte das, was der Polizist heute selbst vor Gericht erklärte, wenig zu tun. “Ja”, sagte er, “ich bin von hinten getreten worden.” Wer das war, habe er aber wegen des Rummels nicht gesehen. Er sei mit jemandem vor sich beschäftigt gewesen. Als er sich umdrehte, sei der Angeklagte irgendwie auf ihn zugekommen. Vielleicht sei er auch geschoben oder geschubst worden. Der Angeklagte habe aber nicht zu einem Tritt ausgeholt, wie das in der Lagemeldung steht. Dementsprechend habe er ihn auch nicht abwehren müssen, wovon ebenfalls in dem Dokument die Rede ist.

Das Fazit des Polizisten: “Der Angeklagte kann mich getreten haben. Es kann aber ebenso jeder andere von den 30, 40 Leuten gewesen sein, die direkt hinter mir waren. Ich habe es definitiv nicht gesehen.”

Deshalb, wunderte sich der Polizist, sei ihm nicht klar, wie es zu einer Gerichtsverhandlung kommen könne. Weder die Richterin noch ich hatten jedoch sonderliches Interesse, das Offensichtliche zu hinterfragen. Der Beamte am Schreibtisch, dem die Lagemeldung aus der Feder geflossen war, hatte entweder nicht hingehört oder die Sache mächtig aufgebauscht. Vielleicht auch beides. 

Den unvermeidlichen Freispruch auf Kosten des Steuerzahlers trug am Ende selbst die Staatsanwaltschaft mit.

S21: Stuttgarter Polizist nun vorbestraft

In Stuttgart ist ein erster Polizist wegen übermäßiger Härte am “Schwarzen Donnerstag” gegen S21-Demonstranten verurteilt worden. Der Beamte soll einer am Boden sitzenden wehrlosen Frau grundlos Pfefferspray ins Gesicht gesprüht haben. Er akzeptierte nun einen Strafbefehl wegen Körperverletzung, berichtet die taz.

Die Bereitschaftspolizei Göppingen habe den Beamten angezeigt. Grundlage sei eine Videoaufzeichnung des Vorfalls gewesen. Nach Angaben der taz verhängte das Gericht eine Geldstrafe von 120 Tagessätzen, was für den Beamten 6.000 Euro ausmacht. Gegen den Strafbefehl habe der Polizist keinen Einspruch eingelegt, so dass dieser nun rechtskräftig sei. Ob es zu disziplinarrechtlichen Schritten komme, werde noch geprüft.

Es sollen noch weitere 17 Strafanzeigen gegen Polizeibeamte wegen Übergriffen am “Schwarzen Donnerstag”, dem 30. September 2010, geben. An diesem Tag hatte die Polizei mit großer Härte Demonstrationen und Blockaden aufgelöst, um die Baumfällarbeiten im Schlosspark beginnen zu lassen.