Staat oder Taschenspieler?

Menschenunwürdige Haftbedingungen sind ein Thema – nicht nur in anderen Ländern. Auch in Deutschland klagen Gefangene gegen unzumutbare Verhältnisse. Die Verfahren richten sich meist gegen zu kleine Zellen, Überbelegung und nicht abgetrennte Toiletten bei Mehrfachunterbringung (älterer Bericht im law blog). Viele Gefangene erstreiten sich eine Geldentschädigung. Und der Staat ist sich oft nicht zu schade, alles zu versuchen, damit er den Klägern letztlich doch keinen Cent zahlen muss.

Die Justiz in Bochum ahnte wohl, dass an den Beschwerden eines Gefangenen was dran sein dürfte. Sie wartete gar nicht den Ausgang des Prozesses ab, sondern pfändete gleich die Ansprüche, die der Betroffene gegen den Staat geltend machte. So sollte das Geld von der einen öffentlichen Hand in die andere öffentliche Hand fließen und letztlich zur Tilgung von Verfahrenskosten dienen, die der Gefangene dem Staat noch schuldete.

Der Bundesgerichtshof zeigte der nordrhein-westfälischen Justiz jetzt die rote Karte:

Eine   Zulassung der  Pfändung   eines aus einer menschenunwürdigen       Haftunterbringung       herrührenden       Entschädigungsanspruchs zur Befriedigung offener Verfahrenskosten würde die Funktion der Genugtuung, der Sanktion und der   Prävention   ebenso   ins  Leere   laufen   lassen   wie   die   Zulassung   einer   Aufrechnung. Denn mit dem Zugriff auf die Forderung des Strafgefangenen würden deren nachteilige Wirkungen verblassen. Der Staat würde sich auf diese Weise eine    Befriedigung     der   wirtschaftlich  wertlosen      Forderung     verschaffen und gleichzeitig den mit der Zuerkennung des Entschädigungsanspruchs verfolgten Zweck umgehen.

Als Zweck der Geldentschädigung sehen die Richter nämlich nicht nur die Genugtuung für den Betroffenen an, sondern auch die Prävention. Der Staat solle durch eine spürbare Zahlung künftig vor Menschenrechtsverletzungen abgehalten werden. Diese Abschreckungswirkung geht aber natürlich gegen Null, wenn die Entschädigung einfach mit anderen Forderungen aufgerechnet werden kann.

Das Verhalten der Justiz verstößt nach Auffassung des Bundesgerichtshofs gegen Treu und Glauben. Es ist demgemäß unzulässig.

Bundesgerichtshof, Beschluss vom vom 05.Mai 2011 – VII ZB 17/10