Anwalt und Internetpirat

Ab und zu werde ich gefragt, welche Fehler man beim Bloggen vermeiden sollte. An erster Stelle sage ich, man sollte sein Blog nicht als reine PR-Veranstaltung aufziehen. Ab heute werde ich hinzufügen, man sollte wenigstens nicht zugeben, dass es einem nur ums Marketing geht – selbst wenn es offensichtlich ist.

Die kleine Ergänzung verdanke ich einem angesäuerten Berliner Anwalt. Dieser beklagt sich heute in seinem Blog darüber, dass andere Juristen auf ihren Internetseiten eine einstweilige Verfügung des Landgerichts Berlin veröffentlichen, die ER gegen Google erwirkt hat. Die Entscheidung hat der Anwalt zunächst auf seiner eigenen Homepage als PDF veröffentlicht; in seinem Blog wies er darauf hin.

In dem Beschluss wird Google für Beleidigungen haftbar gemacht, die (vermutlich) Unbekannte auf Blogger.com bzw. Blogspot.com hinterlassen haben. Das Landgericht Berlin bejaht also eine “Forenhaftung” auch für den amerikanischen Riesen und droht dem Google-Vorstand Zwangsgelder oder gar Haft an, sofern Google die beanstandeten Inhalte nicht entfernt.

Offensichtlich eine Entscheidung, die fürs Web 2.0 wichtig werden kann. Dementsprechend ist es wenig überraschend, dass der nun mal veröffentlichte Beschluss auch von anderen Anwälten aufgegriffen und publiziert wird. Das aber wiederum stört den Berliner Anwalt, denn er betrachtet die Entscheidung offenbar als so etwas wie sein Eigentum.

Jedenfalls mokiert er sich darüber, dass diverse Kollegen nicht auf sein PDF verlinken, sondern den (kurzen) Beschluss auf ihrer eigenen Seite bringen. Für den Berliner Anwalt handelt es sich hierbei  um “Raubkopien”. Er spricht von “netter Werbung mit fremder Arbeit” und von “ein bisschen Internetpiraterie”. Den aus seiner Sicht raubkopierenden Kollegen gibt er den großzügigen Rat:

Es lohnt in diesem Fall nicht, sich mit fremden Federn zu schmücken.

In seiner Verärgerung scheint der Berliner Jura-Blogger etwas den Sinn für die Realität verloren zu haben. Zunächst mal wird da gar nichts aus seiner Feder raubkopiert. Was auf anderen Seiten auftaucht, ist allein die Entscheidung eines Gerichts. Die ergeht nicht nur im Namen des Volkes; sie ist auch unbelastet von jedem Urheberrecht. Rechtlich ist also gar nichts daran auszusetzen, wenn Urteile von anderen veröffentlicht werden. Es gibt keine Exklusivrechte an Gerichtsentscheidungen.

Ziemlich daneben ist auch die Behauptung, die Betreffenden würden den Eindruck erwecken, sie hätten die Entscheidung erwirkt. Dass Anwälte auf ihren Internetseiten Urteile veröffentlichen, ist ja wahrlich nichts Neues. Kein Leser kommt da auf den Gedanken, der betreffende Jurist sei an jedem Verfahren selbst beteiligt gewesen. Es sei denn natürlich, er lässt das ausdrücklich anklingen. Was hier aber nicht der Fall ist.

Natürlich kann man immer darüber diskutieren, ob es nicht nett ist, jemandem “Credits” zu geben. Der Berliner Kollege besteht aber darauf, dass andere “sein” Urteil nicht selbst veröffentlichen, sondern auf seine Seite verlinken. Tun sie das nicht, sind sie eben Internetpiraten.

So eine Anspruchshaltung, ich habe es eingangs erwähnt, sagt mehr über das betreffende Blog als über die Ziele der Kritik. Aber immerhin ist der Berliner Anwalt freimütig. Er erwähnt selbst, dass bei ihm auch “gekränkte Eitelkeit” eine Rolle spielt. Das ist so erfrischend ehrlich, dass sein Blog vielleicht doch keine hundertprozentige PR-Veranstaltung ist.