Wenn ein Richter falsche Auskünfte gibt

Heute lernen wir: Auch Richter können irren. Aber auf die falsche Auskunft eines Richters darf man vertrauen. Das hat ein Angeklagter nun vom Oberlandesgericht Oldenburg bescheinigt bekommen. Die Richter gewährten ihm Wiedereinsetzung in den vorigen Stand, weil ihn der Vorsitzende einer Strafkammer falsch informiert hatte.

Der Angeklagte war zu einer Strafe verurteilt worden. Die Revision wollte der Betroffene selbst begründen. Das ist grundsätzlich möglich, aber nur auf der Geschäftsstelle des zuständigen Gerichts. Dort wird dann ein entsprechendes Protokoll aufgenommen.

Der Angeklagte hätte sich an die Geschäftsstelle des Landgerichts Oldenburg wenden müssen. Doch der Richter, der ihn verurteilt hatte, schickte ihn zur Geschäftsstelle des Amtsgerichts Delmenhorst. Dort ließ der Mann seine Begründung auch aufnehmen, doch mangels Zuständigkeit war sie eben unwirksam.

Das Oberlandesgericht Oldenburg meint dazu:

Der Angeklagte durfte nach der falschen Auskunft des Berufungsrichters, der das angefochtene Urteil erlassen hatte, darauf vertrauen, alles Erforderliche zur wirksamen Begründung seines Rechtsmittels getan zu haben.

Der Grundsatz des fairen Verfahrens gebiete es, den Angeklagten nicht die falsche Auskunft des Vorsitzenden Richters ausbaden zu lassen. Der Angeklagte kriegte noch einen weiteren Monat eingeräumt, um seine Revision wirksam zu begründen.

Mit so viel Nachsicht ist allerdings nur zu rechnen, wenn man als Bürger die falsche Auskunft auch beweisen kann. Hier hatte der Richter selbst einen Vermerk in die Akte gemacht. Ohne schriftlichen Beleg wäre es darauf angekommen, ob der Jurist sich noch an das Telefonat erinnern kann. Und ob er die Größe hätte, einen Fehler zuzugeben.

OLG Oldenburg, Beschluss vom 31. Januar 2011, Aktenzeichen 1 Ss 7/11

Geplante Netzsperren: Länder informieren die EU-Kommission

Deutschland ist Netzsperren wieder einen Schritt näher gekommen. Die Regierungspräsidenten der Länder – mit Ausnahme Schleswig-Holsteins – drücken aufs Gaspedal, um künftig Internetseiten in Deutschland per behördlicher Anordnung  “abschalten” zu können. Sie haben  nun den Entwurf des Glücksspielstaatsvertrages offiziell bei der EU-Kommission notifiziert. Federführend in diesem Verfahren ist die Staatskanzlei von Sachsen-Anhalt. Die Ministerpräsidenten sehen somit offensichtlich keine Notwendigkeit, auf die deutliche Kritik zu reagieren, die in den letzten zwei Wochen nach Bekanntwerden der Pläne für Internetsperren geäußert wurde.

Die Europäische Kommission hat den Eingang des Dokuments bereits bestätigt und die Vorgangsnummer 2011/188 /D vergeben. Nun läuft die dreimonatige Prüfungsfrist der EU-Kommission; diese hat den Notifizierungstext auch bereits online gestellt.

Die nach Brüssel geschickte Zusammenfassung der Gesetzespläne enthält keinen Hinweis auf die geplanten Netzsperren. Stattdessen hat man es vorgezogen, in der Zusammenfassung die “zukünftige Öffnung des Internets” als Ziel zu proklamieren.

Die begleitenden Dokumente an die EU-Kommission enthalten exakt die umstrittenen Regelungen, welche die Ministerpräsidenten auf ihrer letzten Sondersitzung am 10. März beschlossen haben. Auch in einem aktuellen Vertragsentwurf (Stand: 14. April) hat sich an der Einführung von Netzsperren nichts geändert. Diese sollen über folgende Regelung gestattet werden:

Die zuständige Behörde des jeweiligen Landes kann … insbesondere Diensteanbietern im Sinne des Telemediengesetzes, insbesondere Zugangsprovidern und Registraren, nach vorheriger Bekanntgabe unerlaubter Glücksspielangebote die Mitwirkung am Zugang zu den unerlaubten Glücksspielangeboten untersagen. Das Grundrecht des Fernmeldegeheimnisses wird insoweit eingeschränkt (§ 9 Abs. 1 Ziff. 4).

Hierdurch verschaffen sich die Länder eben jene Möglichkeiten für Netzsperren, welche auf Bundesebene kürzlich sogar dem Bundeskriminalamt im Kampf gegen Kinderpornografie versagt worden sind. Die christlich-liberale Koalition hatte das Zugangserschwerungsgesetz nach langer Debatte als untauglich verworfen; es soll nun aufgehoben werden.

Kritiker halten Netzsperren für gefährlich. Hierdurch entstehe eine Infrastruktur, die normalerweise nur Diktaturen zu Gesicht steht. Könnten Provider auf Zuruf verpflichtet werden, Teile des Internets für deutsche Nutzer abzuschalten, werde dies früher oder später auch aus anderen Gründen geschehen. Die Musik- und Filmindustrie etwa fordert schon länger staatliche Eingriffe, um Filesharingseiten zu blockieren.

Die geplanten Netzsperren gegen Glücksspielangebote sind sogar ein Beispiel hierfür. Zunächst hatten Politiker nämlich allseits versichert, diese Form der Internetzensur komme allenfalls gegen Kinderpornografie in Betracht. Daran will man sich jetzt offenbar nicht mehr erinnern.

Früherer Beitrag zum Thema

Thomas Knüwer: Sportwetten und der Kampf ums Internet

Hintergrundartikel der FAZ

Online, aber doch geheim

Ich weiß nicht, wie sich die Ratinger Feuerwehr die Funktionsweise dieses virtuellen Raumes vorstellt, in den man Dinge reinschreiben und praktisch weltweit kommunizieren kann. Aber mir macht es schon ein wenig Angst, dass uns ausgerechnet jene Menschen im Not- oder gar Katastrophenfall retten sollen, die eine nach eigenen Worten geheime Brandübung, die morgen früh über die Bühne gehen soll, einen Tag vorher online ankündigen.

Anscheinend hält man es bei der Feuerwehr für ausgeschlossen, dass auch an der Berliner Straße 11 in Ratingen jemand an dieses Interdings angeschlossen ist und demgemäß die Fähigkeit hat, die an die Lokalpresse gerichtete Einladung zur Kenntnis zu nehmen. Und so unter anderem zu erfahren, dass ab 11 Uhr “Teile des Kellers verraucht und präpariert werden”, um Menschenrettung und Brandbekämpfung zu üben.

Gleiches gilt natürlich auch für die Möglichkeit, dass die Ratinger Feuerwehr mit “geheim” in erster Linie ihr eigenes Personal meint. Also die Kräfte, die morgen früh Dienst haben und vielleicht denken, es brennt tatsächlich an der Berliner Straße. Während sich Chefs und Pressestelle womöglich noch ihre Mails ausdrucken lassen, ist der eine oder andere kleine Feuerwehrmann ja vielleicht doch online und ergötzt sich mitunter an den gesammelten Einsatzberichten im Internet.

Sollte es also entgegen der Annahme der Ratinger Feuerwehr an der Berliner Straße 11 – ein stattliches Gebäude übrigens – oder gar in der eigenen Truppe Internetnutzer geben, könnten die Mitarbeiter des Vorbeugenden Brandschutzes enttäuscht sein, wenn sie morgen früh von feixenden Anwohnern empfangen werden, die schon mal ihre Handykameras scharf gestellt haben. Die erhofften Beobachtungen “über das Verhalten der Bewohner im Brandfall” könnten sich zerschlagen und stattdessen das eine oder andere lustige Youtube-Video über Feuerwehrtrockenschwimmer abfallen, die sich mit dem Schlauchausrollen extra viel Zeit lassen.

Ich persönlich fände es übrigens gar nicht lustig, wenn im Keller meines Hauses ein gefaktes Feuer gelegt wird und ich erst nach meiner “Rettung” erfahre, es war alles nur Show. 

Generelles Hausverbot für GEZ-Mitarbeiter möglich

Hausbesitzer und Mieter können gegenüber der GEZ erklären, dass jeder Besuch von “Gebührenbeauftragten” untersagt ist. Halten sich die die Eintreiber nicht an dieses Hausverbot, kann die hinter der GEZ stehende zuständige Landesrundfunkanstalt auf Unterlassung verklagt werden. Das hat das Amtsgericht Bremen entschieden.

Die Kläger sind Eigentümer eines Hauses, in dem sie eine Fußpflegepraxis und ein Elektrogeschäft betreiben. Sie fühlten sich seit längerem von GEZ-Beauftragten gestört, die unangemeldet in den Geschäftsräumen auftauchten. Die Kläger empfanden das als störend und impertinent. Deshalb sprachen sie gegenüber der GEZ das Hausverbot aus.

Trotzdem kriegten die Betroffenen noch zwei weitere Male Besuch. Die GEZ-Eintreiber sagten, sie wüssten nichts von dem Hausverbot. Mit dieser Argumentation konnte die GEZ aber nicht den Kopf aus der Schlinge ziehen.

Das Amtsgericht Bremen stellt fest, dass GEZ-Mitarbeiter nicht über dem allgemeinen Hausrecht stehen, das jeder Hausbesitzer und Wohnungsmieter ausüben kann:

Den Beauftragten der Beklagten stehen keine hoheitlichen Zwangsrechte zu. Weitergehende als die in § 4 des Rundfunkgebührenstaatsvertrages normierten Auskunftsansprüche hat auch die Beklagte selbst nicht. Fehlen aber öffentlich-rechtliche Vorschriften zur zwangsweisen Erlangung der nach Auffassung der Beklagten für die Sicherung der Finanzierung des Rundfunks erforderlichen Informationen, können entsprechende Befugnisse auch nicht über den Umweg zivilrechtlicher Beschränkungen von Eigentümerbefugnissen hergeleitet werden.

Die GEZ scheiterte mit ihrer Auffassung, das Hausrecht werde “treuwidrig” ausgeübt. Um den Bestand des öffentlich-rechtlichen Rundfunks zu sichern, müsse es den Eintreibern gestattet sein, vor Ort an die Gebührenehrlichkeit der Menschen zu appellieren. Außerdem hätten die Besuche auch “generalpräventiven Charakter”. Das Amtsgericht konnte jedoch keine Gesetze erkennen, die solche Sonderrechte rechtfertigen.

Weiter sah die GEZ den Gleichbehandlungsgrundsatz aus Artikel 3 Grundgesetz verletzt. Wenn sich Personen der Gebührenpflicht entzögen, werde der ehrliche Gebührenzahler bestraft. Auch das war für das Amtsgericht Bremen kein Grund, der GEZ Sonderrechte einzuräumen:

Dass aufgrund von Gebührenausfällen „redliche Gebührenzahler für Schwarzseher und –hörer mitbezahlen“ müssten, ist eine gewöhnlich mit Gesetzesverstößen verbundene Folge.

Die GEZ war sich noch nicht mal zu schade dafür einzuwenden, dass sie schlicht keine Software hat, um ihre Beauftragten über Hausverbote zu informieren. Dies nahm das Amtsgericht Bremen eher belustigt zur Kenntnis:

Es liegt im Verantwortungsbereich der Beklagten, durch eine hinreichende innerbetriebliche Organisation durch sie veranlasste Rechtsverletzungen zu verhindern.

Ein gegenüber der GEZ schriftlich erklärtes Hausverbot ist demnach wirksam. Die GEZ haftet auch, wenn von ihr beauftragte Mitarbeiter nichtsahnend gegen das Hausverbot verstoßen.

Amtsgericht Bremen, Urteil vom 23. August 2010, Aktenzeichen 42 C 43/10

Spiegel online: GEZ will ab 2013 Personal aufstocken

Für jede Untat gibt es einen Paragrafen

Unerhörte Dinge gehen vor in Marburg, berichtet die örtliche Polizei:

Bereits zwischen dem 1.Februar und 21.März spuckte ein Unbekannter
mehrmals gegen die Scheibe eines Ladens in der Neustadt. Die Medien
berichteten darüber. Nun hat ein Unbekannter am Dienstag, 12.April, erneut eine Spuckattacke auf die Schaufensterscheibe gestartet.

Bei der letzten Aktion lag der Ladenbesitzer auf der Lauer. Er verfolgte den Übeltäter, verlor ihn aber aus den Augen. Trotzdem kann er auf Hilfe der Polizei hoffen. Die fahndet nun nach dem Verdächtigen, wobei wegen des guten Beweismaterials ja sogar ein Massengentest in Frage käme.

Pflichtgemäß hat sich die Polizei natürlich gefragt, welcher Straftatbestand erfüllt sein könnte. Sie ist fündig geworden:

Die Polizei ermittelt in beiden Fällen wegen Körperverletzung, da sich der Ladenbesitzer geekelt fühlt.

Eine höchst innovative Auslegung des Gesetzes, denn dieses fordert neben einer körperlichen Misshandlung oder einer Gesundheitsschädigung ja auch einen entsprechenden, genau hierauf gerichteten Vorsatz des Täters.

Allerdings könnte mit diesem Ansatz das Ermittlungsgeschäft im eher ruhigen Mittelhessen richtig ins Rollen kommen kommen. Schließlich können sich ja auch Polizisten selbst leicht ekeln, und fiese Spucker sind leicht vor jedem Bahnhof, allen Diskotheken und in jeder Fußgängerzone zu finden.

Das rechtfertigt zahlreiche rote Ermittlungsakten, welche der Staatsanwalt dann mit eben solcher Gesichtsfarbe sofort wieder mangels jedweden Tatverdachts schließen kann.

Ostfriese will keine Ostfriesenwitze im Radio hören

Die Staatsanwaltschaft Osnabrück ermittelt gegen den niedersächsischen Sender radio ffn wegen Volksverhetzung. Grund ist mindestens ein Ostfriesenwitz, den Moderator Timm „Doppel-M“ Busche in „Niedersachsens bester Morningshow mit ffn-Morgenmän Franky“ erzählt hat.

Die Anzeige wurde bei der Osnabrücker Polizei gestellt – natürlich von einem Ostfriesen. Seine Begründung: Durch den Witz, welcher genau ist noch unklar, seien die Ostfriesen als ethnische Minderheit diffamiert worden. Jetzt ermittelt laut radio ffn tatsächlich die Staatsanwaltschaft. 

Weil ffn-Moderatorin Lea Rosenboom aus Aurich stammt, präsentierte Timm „Doppel-M“ Busche jeden Morgen einen neuen Ostfriesenwitz, über den ffn-Morgenmän Franky, Lea und auch die – meisten – Hörer lachen konnten.

Hier die fünf  bisher erzählten Witze: 

• Warum haben Ostfriesen so einen platten Hinterkopf? Weil ihnen beim Wassertrinken immer der Klodeckel auf den Kopf fällt.

• Wie macht sich ein Ostfriese die Milch warm? Er zündet die Kuh an.

• Warum können Ostfriesen keine Eiswürfel machen? Die Frau, die das Rezept hatte
ist letztes Jahr gestorben.

• Wie fangen Ostfriesen Fliegen? Sie jagen sie auf den Heuboden und ziehen dann die
Leiter weg.

• Warum haben die Ostfriesen keine U-Boot-Flotte mehr? Ist am Tag der offenen Tür
untergegangen.

ffn-Programmdirektorin Ina Tenz meint: „Randgruppenwitze ecken immer an – vor allem bei den Randgruppen. Mit ein bisschen Humor erträgt sich’s leichter!“ Sie hofft nun, dass bei den zuständigen Strafverfolgern diese Eigenschaft nicht vollends verkümmert ist.

Wir schauen ihn an

Der Staatsanwalt vermeidet alles, was zu einer nicht durch den Zweck des Ermittlungsverfahrens bedingten Bloßstellung des Beschuldigten führen kann. Richtlinien für das Straf- und Bußgeldverfahren (Ziff. 4a).

Wir schauen ihn an. Wir können gar nicht anders, denn der mutmaßliche Doppelmörder von Krailling ist überall zu sehen. Sein Foto ist auf den Titelseiten der Boulevardblätter, in den Onlinemedien, in Krawallshows des Fernsehens ebenso wie in seriösen Nachrichtensendungen.

Seit gestern hat der Verdächtige für die ganze Welt ein Gesicht. Die Bilder sind keineswegs aus den Ermittlungsakten geleakt. Die bayerische Justiz hat sie vielmehr von sich aus an die Medien gegeben. Die hierfür Verantwortlichen zeigen damit offene Verachtung für die Unschuldsvermutung und die Persönlichkeitsrechte, die auch ein Beschuldigter hat.

Aus dem von den Behörden gespeisten Polizeipresseportal sind, so weit ich das sehen kann, die Bilder mittlerweile verschwunden. Die Müncher Polizei verbreitet das Fahndungsplakat mit den Fotos des Beschuldigten aber nach wie vor als hochauflösendes PDF, obwohl sie in der Pressemitteilung hervorhebt, es handele sich um eine räumlich eng begrenzte Fahndung. Spöttisch könnte man anmerken, das ebenfalls abgebildete Auto hat offensichtlich mehr Rechte als der Beschuldigte. Das Nummernschild des Wagens hat die Polizei nämlich anonymisiert.

Wie logisch das auch immer sein mag, der Schaden ist nicht mehr gut zu machen. Das zeigt schon ein Blick in Google News. Die qualitative Scheidelinie im Journalismus scheint lediglich noch zu sein, ob die Bilder direkt übernommen werden oder ob nur das Fahndungsplakat gezeigt wird (auf dem aber die Fotos ebenfalls gut zu erkennen sind).

Man kann Polizei, Staatsanwältin und der Richterin, welche die “Fahndung” letztlich abgenickt hat, natürlich bösen Willen unterstellen. Vielleicht war es ihnen wirklich ein klammheimliches Vergnügen den Mann bloßzustellen, vorzuverurteilen, ein Beweisergebnis zu zementieren. Möglicherweise (ich meine sogar: wahrscheinlich) waren die Beteiligten aber auch schlicht naiv und haben nicht erwogen, dass ihre Aktion zu einer medialen Hinrichtung führen wird. Ihr Verhalten entschuldigt das allerdings nicht.

Offiziell, das darf man nicht vergessen, handelt es “nur” um eine räumlich eng begrenzte Plakataktion. Eintausend Flyer mit den Fotos des Beschuldigten und seines Autos durfte die Polizei im Bereich des Tatorts aufhängen und in Haushalten verteilen. Doch schon diese Öffentlichkeitsfahndung findet kaum eine Stütze im Gesetz. Die Strafprozessordnung kennt eigentlich nur den Fall, dass nach einem flüchtigen Verdächtigen gefahndet wird.

Wenn das Gesetz nicht passt, kann es natürlich passend gemacht werden. Juristen nennen das “entsprechende Anwendung” der Vorschriften. Hierüber kann man sicher diskutieren, aber wohl kaum über die Verhältnismäßigkeit. Zumindest in letzterem Punkt hat die bayerische Justiz krass versagt.

Krailling ist nicht gerade als Moloch bekannt. Die Polizei war in der Lage, mit Hundertschaften eine kilometerlange Strecke abzusuchen. Nun sieht sie sich aber anscheinend außerstande, durch klassische Polizeiarbeit rund um den Tatort alle in Frage kommenden Zeugen zu erreichen? Das heißt, an Türen klopfen oder anrufen, mit möglichen Zeugen reden und ihnen bei Bedarf auch jene Fotos zeigen, die nun uns allen bekannt sind.

Ganz Krailling soll traumatisiert sein. Nur die Polizei hält es offenbar für möglich, dass jemand mit Bezug zum Ort noch nichts von dem Doppelmord erfahren hat. Was erhofften sich die Behörden also von den Plakaten? Dass ein Kraillinger, den sie – hoffentlich -  ohnehin schon befragt haben, was er in der Tatnacht gemacht und vielleicht beobachtet hat, an der Bushaltestelle das Plakat liest und es ihm wie Schuppen von den Augen fällt?

So sehr ich mich bemühe, ich kann noch nicht einmal erkennen, dass die Plakataktion ein geeignetes Mittel war. Noch weniger ist sie erforderlich. Zumindest so lange die Polizei nicht belegt, dass sie mit konventioneller Arbeit nicht weitergekommen ist.

Dass man offensichtlich wenig über die Erforderlichkeit (zweite Stufe jeder Verhältnismäßigkeitsprüfung) nachgedacht hat, zeigt eine von der Süddeutschen zitierte Äußerung des Ermittlungsleiters. Dieser betont, die Täterschaft des Verdächtigen sei “sehr sicher”. Dann sagt er: “Wir versuchen alles, um das Bild abzurunden." 

Das klingt, als sei die Fahndung nur etwas Kolorit. Ein Spielchen am Rande. Selbst wenn die Motive tatsächlich ernster sein sollten (weil die Beweislage vielleicht doch nicht so gut ist), lässt das ernste Zweifel daran aufkommen, ob überhaupt jemand in der Entscheidungskette die Rechte des Beschuldigten auf die Waagschale gelegt hat.

Auch für diesen Verdächtigen gilt die Unschuldsvermutung. Nun kennt ihn Deutschland. Das macht ihm, unabhängig von einer späteren Verurteilung oder einem Freispruch, sein weiteres Leben schon jetzt kaputt. Das gilt übrigens auch für seine aktuelle Situation in der Untersuchungshaft. Auch dort wird Zeitung gelesen…

Der Beschuldigte hat trotz des Tatverdachts auch seine Persönlichkeitsrechte nicht abgegeben. Diese werden schon durch die Plakaktion mit Füßen getreten. Letztlich aber auf mir bislang kaum vorstellbare Weise durch die zumindest grob fahrlässige Weitergabe des Materials an alle Medien, und das sogar noch ohne nennenswerten Versuch, die Verwendung durch Sperrhinweise zu reglementieren.

Dabei würde es doch schon reichen, wenn sich Polizei und Justiz an die Vorschriften halten. Die wichtigste in diesem Zusammenhang steht am Anfang dieses Beitrags. Sie sollte zumindest künftig nicht in Vergessenheit geraten.

Im Fall Krailling ist alles zu spät.

Amtsrichter widerspricht dem BGH

Die Justiz hinkt der gesellschaftlichen Entwicklung traditionell hinterher. Beim Internet, das unser aller Leben verändert hat, gilt keine Ausnahme. Lange Zeit urteilten zu viele Richter über Sachverhalte mit Bezug zur virtuellen Welt, ohne diese grundlegend oder auch nur ansatzweise verstanden zu haben.

Doch die Zeiten ändern sich. Eingefleischte Online-Abstinenzler sind auch unter Richtern nicht mehr die Regel, sondern absolute Mangelware. Der juristische Nachwuchs gehört ohnehin meist schon zu denen, für die online sein selbstverständlich ist. Es dürfte schwer sein, heute einen Richter unter 40 zu finden, der nicht zumindest privat E-Mails schreibt (und es auch im Dienst gern täte, wenn er es vernünftig dürfte), im Internet surft, online bestellt und vielleicht gar Mitglied eines sozialen Netzwerks ist.

Nun scheint auch die Zeit anzubrechen, in denen waschechte Digital Natives beginnen, Recht zu sprechen. Bei einem aktuellen Urteil des Amtsgerichts Meldorf (Schleswig-Holstein) wette ich zum Beispiel einen Latte aus der Behördenkantine, dass der Autor erst groß geworden ist, als die digitale Revolution schon über Taschenrechner von Texas Instruments hinausgekommen war.

An sich geht es, wie meist am Amtsgericht, um einen unspektakulären Fall. Ein Provider will die Kündigung eines Vertrages nicht akzeptieren und blockiert den Internetanschluss des Kunden. Dieser wehrt sich und will vom Gericht festgestellt wissen, dass er rechtzeitig gekündgt hat und somit kein Vertragsverhältnis mehr besteht.

Zu seiner Verteidigung legte der Provider auch Monate alte Verbindungsdaten vor. Damit wollte er beweisen, dass der Kunde den Internetanschluss weiter genutzt hat und sich somit nicht an seine eigene Kündigung hielt.

Der Richter hat sich gefragt, ob er die Verbindungsdaten überhaupt als Beweis zulassen darf. Er antwortet mit nein:

Die beklagtenseits vorgelegten Verbindungsdaten sind als Beweismittel ohnehin nicht verwertbar, weil die Beklagte nach § 97 Abs. 3 S. 3 TKG zu deren Speicherung nicht über das Verbindungsende hinaus berechtigt war und das vermögensrechtliche Beweisinteresse der Beklagten nicht das Interesse des Klägers an der Vertraulichkeit seiner Internetnutzung überwiegt.

Dabei widerspricht er auch dem Bundesgerichtshof. Das oberste Zivilgericht erlaubt eine befristete Speicherung von Verbindungsdaten aus “technischen Gründen”. Dazu der Amtsrichter:

Soweit der Bundesgerichtshof aus § 100 Abs. 1 TKG die mögliche Befugnis von Internet-Zugangsanbietern zur anlasslosen und generellen Vorratsspeicherung sämtlicher zugewiesener IP-Adressen und Verbindungszeiten ableiten will (Urteil vom 13.01.2011 zum Az. III ZR 146/10), überzeugt dies nicht.

Das ist nicht nur mutig, sondern auch plausibel. Der Richter liefert hierfür eine eingehende Begründung, die sich hier nachlesen lässt. Nicht das Ergebnis der Entscheidung berührt mich. Es ist vielmehr die Kompetenz für die Fragen der digitalen Welt, der man hier an einem, das ist nicht abschätzig gemeint, Provinzgericht begegnet.

Die absehbare weitere Verbreitung solchen Sachverstandes darf uns optimistisch stimmen.   

“Noch kein Grund, Sie zu verdächtigen”

Mal angenommen, Sie sind demnächst in Hamburg. Sie machen eine Stadtrundfahrt, besuchen alle Sehenswürdigkeiten, fahren in verschiedenste Restaurants und betreiben nachts intensives Barhopping. Wenige Tage nach Ihrer Rückkehr stehen zwei Polizisten vor der Tür und möchten mit Ihnen “sprechen”. Wenn Sie fragen, um was es geht, werden die Beamten wahrscheinlich was von “Vorermittlungen” murmeln und fragen, ob sie nicht reinkommen können. Am Wohnzimmertisch lässt sich das doch alles viel besser besprechen.

Sie lassen die Polizisten also rein und merken gleich, dass sie aufmerksam Ihre Wohnung mustern. Während ein Beamter Ihnen beherzt folgt, bleibt der andere vor der Putzkammer, deren Tür etwas offensteht, kurz stehen, damit er besser hineinsehen kann. Sie denken: Sucht der nach einem Geldkoffer? Oder einem Zugang zum geheimen Bombenlabor? “So einen Tischgrill habe ich auch”, lacht der Polizist und kommt schließlich nach. Na bitte, Sie sind erleichtert. Es handelt sich doch nicht um eine verkappte Hausdurchsuchung.

Wenn es die Beamten geschickt anstellen, werden sie beim zweiten Kaffee jede Menge von Ihnen wissen. Sie aber immer noch nicht, um was es geht. Wo Sie arbeiten, haben Sie ja noch gern erzählt. Auch, dass Frau und Kinder derzeit woanders wohnen, Sie den Unterhalt aber pünktlich überweisen. Als die Polizisten aber nach Hamburg fragen, kommt Ihnen das doch etwas seltsam vor.

“Woher wissen Sie denn, dass ich in Hamburg war?” Auf diese Frage werden Sie keine konkrete Antwort erhalten. Höchstens den Hinweis, dass es da halt Ermittlungen gibt und Sie aufgefallen sind. Aufgefallen? Sie werden nachdenklich und überlegen, ob es eine gute Idee war, die Herren rein zu lassen.

“Ihr Mobiltelefon war in verschiedene Funkzellen eingebucht”, sagt ein Polizist. Nun geht Ihr Puls aber doch deutlich nach oben. Sie legen erstmals etwas Schärfe in Ihre Stimme: “Ist es nicht normal, dass das eigene Handy in Hamburger Funkzellen eingebucht ist, wenn man ein paar Tage Urlaub in Hamburg macht?”

Die Polizisten merken, dass Sie nun auf Verweigerungskurs gehen. Einer hebt die Hände. “Immer mit der Ruhe, es handelt sich, wie gesagt, um Vorermittlungen. Und eigentlich haben wir auch noch gar keinen Grund, Sie zu verdächtigen.” Sein Kollege sagt sogar, dass er das auch etwas fragwürdig findet, was die Hamburger Kollegen da abziehen. “Es könnte ja jeden von uns treffen. Ich könnte ja auch verdächtig, äh, ich meine natürlich, Gegenstand von Vorermittlungen sein.” Der andere ergänzt fast flehentlich: “Wir machen nur unseren Job.”

Bei Ihnen kommt nur die zweimalige Erwähnung eines Wortes an. Verdacht, hallt es in Ihrem Hinterkopf. Ein guter Grund, die Arme vor der Brust zu verschränken. “Entweder Sie sagen mir jetzt endlich, was Sache ist. Oder ich möchte mich nicht weiter unterhalten. Das ist ja wohl mein gutes Recht, oder?” Die Beamten schauen sich an. “Okay, okay”, wiegelt der eine ab, “es geht um folgendes…”

“… In Hamburg sollen reihenweise Autos in Brand gesteckt werden. Ich weiß nicht, ob die Kollegen sich auch mal auf die Lauer legen oder mehr Streife fahren. Wäre ja vielleicht eine gute Idee, so gute alte Polizeiarbeit. Jedenfalls finden sie die Täter nicht. Und deshalb haben sie jetzt die Idee gehabt, mal nachzuschauen, welche Handys so in die Hamburger Funknetze eingebucht sind. Da läuft dann eine Software drüber. Ihr Anschluss ist dabei halt aufgefallen.”

Genaues wissen die Beamten auch nicht. Oder Sie dürfen es Ihnen zumindest nicht sagen. “Wahrscheinlich waren Sie halt mal in eine Funkzelle in der Nähe eingebucht, als ein Auto ausbrannte. Oder die Hamburger Kollegen finden es komisch, dass Sie nachts um halb drei mal zu Fuß, dann wieder mit einem Auto oder Taxi unterwegs sind. Das kann man nämlich an der Geschwindigkeit erkennen, mit der die Funkzellen wechselten. Wen genau die Kollegen überprüft haben wollen, wissen wir auch nicht. Allein wir hier in Musterstadt müssen heute noch zwei Bürger besuchen.”

Sie nippen am Kaffe und erinnern sich daran, was Sie neulich über DNA-Massentests gelesen haben. Wie die Polizei in Mordfällen etliche hundert Personen mehr oder weniger auf gut Glück bittet, ihre DNA abzugeben, nur weil sie in ein bestimmtes Raster passen. Männlich, über 25, kein Asiate oder Schwarzafrikaner. Oder so ähnlich. Sie haben sogar noch geschmunzelt. Stilvoller kann man ja wohl kaum im Nebel stochern.

Natürlich, so hieß es in der Zeitung, seien die Tests freiwillig. Merkwürdig fanden Sie aber, dass die Polizei dann Leute “besucht”, die ihre Speichelprobe nicht freiwillig abgeben. Ist ja auch eine Art Zwang, haben Sie gedacht. Sie fanden es etwas scheinheilig, erst von Freiwilligkeit zu reden und Menschen, die von ihren Rechten Gebrauch machen, dann durch die Hintertür zu verdächtigen.

Sie überlegten kurz, wie Sie sich verhalten würden. Zu einem Ergebnis sind Sie nicht gekommen. Ist ja auch viel zu unwahrscheinlich, dass einem selbst so was passiert…

Während Sie die Beamten anschauen, kriegen Sie ein flaues Gefühl im Magen. Jetzt, genau in diesem Augenblick, hat es mich erwischt, denken Sie. Und dann werden Sie böse. “Das kann doch wohl nicht wahr sein, dass ich als Bürger von der Polizei besucht werde, bloß weil ich ein Handy in der Jackentasche habe? Da muss es doch noch was anderes geben.” “Nein”, sagt einer der Polizisten. “So weit wir wissen, sind wir nur hier, weil Sie sich mit Ihrem angeschalteten Mobiltelefon in Hamburg aufgehalten haben.”

Sein Kollege tippt auf den Wohnzimmertisch. “Wissen Sie was, wir sind doch sowieso fertig. Ich meine, Sie sind doch kein Chaot, oder?” Er meint es vielleicht nicht so, aber Sie kriegen die Frage nun wirklich in den falschen Hals. “Bitte haben Sie Verständnis dafür, dass ich jetzt gar nichts mehr sage.” “Haben wir”, lacht der Beamte und geht mit seinem Kollegen Richtung Wohnungstür. “Sie können davon ausgehen, dass unser Bericht nichts Negatives enthält.”

Die beiden verschwinden im Treppenhaus, und Sie denken über den letzten Satz nach. Ein Bericht? Die gesamte Befragung geht jetzt also nach Hamburg zur Auswertung und “weiteren Veranlassung”. Da steht wahrscheinlich auch drin, dass Ihre Wohnung aufgeräumt ist, Sie in Trennung leben, aber ansonsten nicht viel dafür spricht, dass Sie Autos anzünden. Allerdings stehe in Ihrem Buchregal schon linke Literatur (“erinnert werden können Werke von Böll und Solschenizyn, zudem alternative Reiseführer”).

Auch wenn nichts weiter passiert, wollen Sie jetzt zu gegebener Zeit die Hamburger Polizei fragen, welche persönlichen Daten über Sie gespeichert sind. Außerdem nehmen Sie sich fest vor, aus dem heutigen Erlebnis eine Konsequenz zu ziehen. Sie werden künftig in solchen Situationen hart bleiben und jede Mitwirkung verweigern. Sie finden nämlich, dass Sie sich nicht kontrollieren lassen müssen, so lange es keinen vernünftigen Verdacht gegen Sie gibt. Vielleicht werden Sie künftig sogar von Ihrem Recht Gebrauch machen, auch als Zeuge gar nicht mit der Polizei zu reden. Auch wenn Ihre Aussage vielleicht wichtig wäre. Aber wer sagt Ihnen, dass man Ihnen nicht aus einer Kleinigkeit einen Strick dreht? Sie werden es jedenfalls aufmerksam beobachten, dieses Gefühl des Misstrauens, das man ganz natürlich gegen jeden hegt, der einem selbst mit Misstrauen begegnet.

Dass es bald mal wieder Besuch von der Polizei gibt, ist für Sie ja auch keineswegs ausgeschlossen. War ja schön in Hamburg. Sie fahren wohl auch künftig hin. Ihr Handy werden Sie wohl eingeschaltet lassen müssen. Denn was passiert wohl, wenn Sie in Hamburg unterwegs sind und bei einer nächtlichen Kontrolle nach einem Autobrand stellt die Polizei fest, Ihr Handy ist ausgeschaltet?

Bericht zu den Überwachungsplänen der Polizei im Hamburger Abendblatt (Link über Google News, da Bezahlschranke)

Bericht in der Welt

Fürsorgliche Seiten

Staatsanwälte entdecken mitunter ihre fürsorglichen Seiten. So ist es ein beliebtes Spiel, zum Glück aber nur bei einer deutlichen Minderheit der Staatsanwälte, Verteidigern eine Besuchserlaubnis für Untersuchungsgefangene zu versagen. Mit der Begründung, der Beschuldigte habe doch schon einen (Pflicht-)Verteidiger und es sei nicht ersichtlich, dass er den Besuch des Anwalts wünscht.

Mit etwas Hartnäckigkeit und der Bereitschaft, mal ein, zwei Etagen höher zu telefonieren, kriegt man als Anwalt den Sprechschein meistens schon. Immerhin ahnen wohl auch die eifrigsten Freunde dieses zeitaufwendigen und nervenzehrenden Spektakels, dass es für einen Rechtsstaat am Ende oft recht merkwürdig aussieht, wenn ausgerechnet der Staatsanwalt bestimmt, welche Verteidiger vorgelassen werden.

Sehr interessant fand ich jetzt die Argumentation eines echten Hardliners. Der setzte sogar ein hochoffzielles Schreiben auf, mit dem er einem Anwalt den Besuch bei einem möglichen Mandanten verweigerte. Hierbei griff er zunächst zur Standardbegründung, wonach der Beschuldigte nicht um einem Besuch gebeten habe.

Meist gibt es eben diese Bitte übrigens schon. Nur findet sie wegen Telefon- und Internetverbots in der Haft sowie endloser Brieflaufzeiten, bedingt durch richterliche Postzensur, vielleicht nicht so schnell “offizielles” Gehör, wie das in so eiligen Verfahren wünschenswert wäre.

Der Staatsanwalt verwies auch darauf, beim Beschuldigten sei einen Tag zuvor ein Nokia-Handy nebst Ladegerät in der Zelle gefunden worden. Die Auswertung der Ruflisten habe ergeben, dass der Beschuldigte mit dem Anwalt, der ihn gern besuchen würde, telefoniert hat. Punkt.

Mir fehlt da jetzt ein wenig die logische Stringenz. Einschieben sollte ich, dass dem Kollegen wohl kaum ein Vorwurf zu machen ist – auch wenn das Schreiben des Staatsanwalts sehr danach klingt.

Jeder Verteidiger bekommt Anrufe von Beschuldigten aus der Untersuchungshaft. Selbst dann, wenn er noch nicht mandatiert ist. Auch in Gefängnissen arbeiten nämlich Menschen, die einen Blick für die Realitäten bewahrt haben. Vollzugsbeamte, aber insbesondere Sozialarbeiter, Psychologen und Seelsorger gestatten es immer mal wieder, dass ein Inhaftierter ihren Anschluss oder ihr Handy nutzt. Auch, um Kontakt mit einem Anwalt aufzunehmen.

Der Verteidiger musste also gar nicht wissen, dass ihn sein potenzieller Mandant über ein illegales Handy aus der Zelle anruft. Die bloße Tatsache des Anrufs belegt aber doch letztlich eher, dass der Beschuldigte Interesse daran hatte, dem Anwalt ein Mandat zu erteilen. Vielleicht hätte der Staatsanwalt da einen Tick weiter denken sollen.

Sein Vorgesetzter hat genau das übrigens gemacht. Der Anwalt beschwerte sich eine Etage höher und bekam die Besuchserlaubnis direkt vom Abteilungsleiter.

Knast als Strafe fürs Schulschwänzen

Eine hessische Mutter muss für sechs Monate ins Gefängnis. Sie hat ihren Sohn über längere Zeiträume nicht zur Schule geschickt. Das Oberlandesgericht Frankfurt bestätigte jetzt das Urteil der Vorinstanzen, die wegen der Hartnäckigkeit der Frau die gesetzliche Höchststrafe verhängten.

Die alleinerziehende Mutter hatte ihren minderjährigen schulpflichtigen Sohn im Zeitraum November 2008 bis Februar 2009 an insgesamt 37 einzelnen Tagen nicht zur Schule geschickt. Der Sohn stand zu diesem Zeitpunkt auf dem Wissensstand eines Sonderschülers der 4. Klasse, obwohl er altersgemäß die 9. Klasse hätte besuchen müssen.

Schon seit 2004 hatte das Kind die meiste Zeit in der Schule gefehlt. Die Angeklagte war erst zu Geldstrafen, im September 2008 dann zu einer Freiheitsstrafe auf Bewährung verurteilt worden. Ihr Verhalten habe sie aber nicht geändert, befand das Oberlandesgericht.

Der 2. Strafsenat will den Fall nicht als Bagatelle gewertet wissen. Die allgemeine Schulpflicht diene dem Schutz des Kindes. Sie sichere sein Recht auf Bildung und die Heranbildung zu einem verantwortlichen Staatsbürger. Dieser Schutz werde durch durch die allgemeine Schulpflicht gewährt. Insoweit sei das Erziehungsrecht der Eltern eingeschränkt.

Auch Gegner der Schulpflicht (oder Menschen mit einer Egal-Haltung) müssten deshalb aktiv dafür sorgen, dass ihre Kinder in die Schule gehen. Versagten die Eltern ihrem Kind die Teilnahme am Unterricht, liege hierin ein aktiver Verstoß gegen die Schulpflicht.

Die Mutter habe Hilfsangebote nicht angeommen. Auch der teilweise Sorgerechtsentzug habe nichts bewirkt. Deshalb sei die sechsmonatige Freiheitsstrafe, das Maximum laut Hessicher Schulordnung, durchaus angemessen.

Oberlandesgericht Frankfurt, Beschluss vom 18. März 2011, Aktenzeichen 2 Ss 413/10

Gericht kippt Handyklauseln

Ein Mobilfunkunternehmen darf sich in den Geschäftsbedingungen für Prepaid-Verträge nicht die Möglichkeit zu unbegrenzten Preiserhöhungen offen halten. Das hat das Landgericht Kiel nach einer Klage des Verbraucherzentrale Bundesverbands (vzbv) gegen klarmobil entschieden. Außerdem kippte das Gericht auch noch weitere kundenunfreundliche Klauseln des Telefonanbieters.

Klarmobil hatte sich vorbehalten, die Preise nachträglich durch eine Mitteilung an den Kunden zu ändern. Die Klausel gebe dem Unternehmen die Möglichkeit zu einer einseitigen und unbegrenzten Preiserhöhung, monierten die Richter. In der Klausel sei weder ein Grund für mögliche Preisänderungen genannt, noch sei der Umfang der zulässigen Preiserhöhungen begrenzt. Das sei für den Kunden nicht zumutbar, die Klausel somit unzulässig.

Das Landgericht beanstandete noch mehr Kleingedrucktes.

So darf Klarmobil von seinen Kunden nach einer Kündigung nicht mehr 6 Euro für die Auszahlung eines Restguthabens verlangen. Nach Auffassung der Richter sind Mobilfunkunternehmen zur Erstattung des Restguthabens gesetzlich verpflichtet. Daher sei es unzulässig, die damit verbundenen Aufwendungen auf den Kunden abzuwälzen. Durch die Gebühr werde zum das jederzeitige Kündigungsrecht des Kunden entwertet.

Als unzulässig sahen die Richter auch die Mahnkosten von 9,95 Euro an, die Kunden pro Mahnung zahlen sollten. Die Klausel erfasse auch die erste Mahnung, die den Kunden erst in Verzug setzt. Dafür dürfen Unternehmen aber nach der Rechtsprechung des Bundesgerichtshofes generell keine Kosten verlangen.

Klarmobil verlangte außerdem eine Pauschale von 19,95 Euro, falls eine Lastschrift von der Bank nicht eingelöst wird. Auch diese Gebühr ist nach dem Urteil unwirksam. Die Richter gingen davon aus, dass die Pauschale allgemeinen Verwaltungsaufwand durch erhöhte Personalkosten enthält. Das sei unzulässig, jedoch habe das Unternehmen genau dies einem Kunden in einer E-Mail mitgeteilt.

LG Kiel, Urteil vom 17.03.2011, Aktenzeichen 18 O 243/10