Wie eilfertig Gerichte mitunter die Ehre von Polizeibeamten schützen, zeigt ein aktueller Fall des Bundesverfassungsgerichts. Um einen gekränkten Beamten Genugtuung zu verschaffen, waren sich ein Amts- und ein Landgericht nicht zu schade, die Meinungsäußerung eines unzufriedenen Bürgers in eine Tatsachenbehauptung umzudeuten – um ihn dann wegen übler Nachrede verurteilen zu können.
Nach Angaben des Betroffenen musste seine Frau dringend auf die Toilette. Deshalb befuhr der Mann mit seinem Auto die Straße zu seiner Wohnung. Nur war die Straße wegen eines Aktionstags gesperrt. Die Sperre endete allerdings in 15 Minuten. Der Mann wurde von der Polizei angehalten und sollte eine Verwarnung zahlen.
Das akzeptierte er jedoch nicht. In seiner Stellungnahme ans Ordnungsamt schilderte er das aus seiner Sicht unverständliche Verhalten der Polizisten. Dann äußerte der Betroffene folgendes:
Ehrliche Meinung meinerseits: Der Beamte war wohl den Tag über zu lange unten am A. Verkehrskreisel in der Sonne gestanden oder hat ganz einfach dort mitgefeiert. Normal war das jedenfalls nicht und menschlich schon 3 mal nicht!
Die Aussage des Mannes betrachteten sowohl das Amts- als auch das Landgericht für bare Münze. Indem sie eine Tatsachenbehauptung annahmen, hatten sie die Möglichkeit, den Betroffenen wegen übler Nachrede zu verurteilen. Nach Auffassung der Gerichte hatte der Mann nämlich zum Ausdruck gebracht, der Polizist habe durch Sonneneinwirkung einen "Dachschaden" erlitten oder sei blöd und im übrigen betrunken gewesen.
Das Bundesverfassungsgericht findet harsche Worte für diese einseitige Interpretation:
Die Gerichte verkennen, dass es sich bei den für strafbar erachteten Äußerungen nicht etwa um nicht erweislich wahre, ehrverletzende Tatsachenbehauptungen im Sinne des § 186 StGB, sondern vielmehr um durch Elemente der Stellungnahme und des Dafürhaltens geprägte Werturteile und damit um Meinungen im engeren Sinne handelt.
Dies erschließt sich bereits aus dem einleitenden Halbsatz "Ehrliche Meinung meinerseits:". Aber auch die für strafbar erachtete Kernaussage ist ihrem Schwerpunkt nach eine solche, die zum Verhalten des betroffenen Polizeibeamten wertend Stellung nimmt, und nicht etwa – wie sich auch aus der Benutzung des Adverbs "wohl" ergibt – ein tatsächliches Geschehen, dass der Betroffene zu lange in der Sonne gestanden habe und mitgefeiert habe, zum Beweis anbietet.
Das Verfassungsgericht attestiert den früheren Richtern zwischen den Zeilen, sie hätten zutreffend erkannt, dass sie auf keinen Fall eine Meinungsäußerung annehmen dürfen, wenn sie den Mann verurteilen wollen. Denn gegen eine Meinungsäußerung wäre juristisch nichts zu machen gewesen. Indem die Richter dem Betroffenen sozusagen in den Mund legen, er behaupte als Tatsache, der Polizist habe entweder zu lange in der Sonne gestanden oder auf dem Fest getrunken, schaffen sie erst die Grundlage für die Verurteilung.
Anders ausgedrückt: Dass in der Entscheidung aus Karlsruhe nicht das Wort Rechtsbeugung auftaucht, liegt nur an der vornehmen Zurückhaltung des Verfassungsgerichts.
Erstaunt sind die Karlsruher Richter auch darüber, dass die Angaben des Bürgers nach Auffassung der Vorinstanzen in keinem sachlichen Zusammenhang mit dem Fall gestanden haben sollen. Das Gegenteil sei der Fall:
Die für strafwürdig erachteten Äußerungen stehen – anders als von den Gerichten angenommen – inhaltlich durchaus noch im Zusammenhang mit seinem Begehren, eine Einstellung des gegen ihn eingeleiteten Bußgeldverfahrens zu bewirken. Der Beschwerdeführer stellt in dem fraglichen Schreiben ausführlich dar, dass er die Vorgehensweise des betroffenen Polizeibeamten für unangemessen und überzogen erachtet hat. Die für strafwürdig erachteten Äußerungen spitzen diese Darstellungen einerseits zu und schließen sie andererseits ab.
Somit habe sich der Man im Rahmen des “Kampfs ums Recht” geäußert. In diesem Bereich dürfe nicht alles auf die Waagschale gelegt werden; auch starke Worte seien erlaubt. Der Betroffene habe sich auch nur gegenüber dem Ordnungsamt so geäußert und habe die Sache nicht nach außen getragen. Etwas spitz merken die Karlsruher Richter zu diesem ja durchaus wichtigen Umstand an, die vorangegangen Entscheidungen verlören darüber kein Wort.
Die Sache muss jetzt vor dem Amtsgericht neu verhandelt werden.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 29. Februar 2012, Aktenzeichen 1 BvR 2883/11