Ein Junkie, ganz klar

Es krachte ganz schrecklich, und mein Mandant war womöglich nicht angeschnallt. Jedenfalls fanden ihn die Rettungskräfte bewusstlos in seinem Auto vor. Der Notarzt war auch da und tat allerlei, um den Kreislauf meines Mandanten zu stabilisieren. Der Arme lag rund eine Woche im Koma. Noch heute leidet er an den Unfallfolgen.

Mein Mandant war noch nicht wieder bei Bewusstsein, als ihn schon die Polizei anschrieb. Nicht wegen des Unfalls, sondern wegen eines Drogendelikts. Meinem Mandanten wurde zur Last gelegt, abhängig zu sein. Er soll Heroin erworben und konsumiert haben.

Ihre Erkenntnisse stützte die Polizei auf zwei Umstände. Einem Beamter, der meinen Mandanten wenige Stunden nach dem Unfall in der Klinik aufsuchte, war aufgefallen, dass ein Unterarm meines Mandanten “Einstichlöcher” aufwies. Das hielt der Polizist in einem Vermerk fest. Viel anderes konnte er auch nicht notieren, denn mein Mandant war ja nicht bei Bewusstsein.

Außerdem ergab die Blutprobe, die etwa zwei Stunden nach dem Unfall abgenommen wurde, “freies Morphin” im Blutkreislauf meines Mandanten. Grund genug für den Beamten, der den Unfall bearbeitete, Nachricht an seine Kollegen vom Drogendezernat zu machen. Nach seiner Auffassung hatte die Polizei zufällig einen Junkie erwischt.

Sehr schnell interessierte sich auch das Straßenverkehrsamt für die Sache und bereitete den Entzug der Fahrerlaubnis vor. Den ganzen Aufwand hätte man sich allerdings sparen können, wenn nur mal jemand die Ermittlungsakte etwas genauer gelesen hätte.

Okay, der Notarzt, der an der Unfallstelle war, hat eine grauenhafte Handschrift. Aber mit etwas Anstrengung kann man seinen Notizen schon entnehmen, dass er Mühe hatte bei meinem Mandanten eine Vene zu finden. Was zwanglos den zerstochenen Unterarm erklärt.

Wenige Zeilen später steht im Notarztbericht noch mehr Interessantes. Nämlich, dass der Doktor meinen Mandanten bis unter die Schädeldecke mit Morphium vollgepumpt hat. Was den Befund “freie Morphine” in der späteren Blutprobe ziemlich zwanglos verständlich macht.

Immerhin hatte der Staatsanwalt, mittels Verteidigungsschrift auf die wahren Umstände hingewiesen, dann später ein Einsehen. Er stellte das Verfahren gegen meinen Mandanten ein. Er schreibt: “Der positive Befund der Blutprobe auf Opiate kann nicht widerlegbar auf die ärztliche Morphin-Gabe am Unfallort zurückgeführt werden.”

Selbst das klingt noch so, als schlüpfe mein Mandant nur mit großem Glück durch die Maschen der Justiz. Wozu passt, dass sich kein kritisches Wort zu dem Umstand findet, dass die Polizei den Notarztbericht schlichtweg nicht gelesen hat.