Kleiner Verfahrenstrick rettet bei Verspätung

Ärger im Straßenverkehr hat man nicht nur in der eigenen Stadt. Das kann Probleme mit sich bringen, wenn man sich vor Gericht gegen einen Bußgeldbescheid wehren will. Lohnt es sich überhaupt, für ein 40-Euro-Knöllchen ein paar hundert Kilometer zur Gerichtsverhandlung zu reisen? Auch wenn Richter den Betroffenen natürlich immer gern in Person vor sich haben, gibt es mittlerweile einen ganz praktikablen Ausweg.

Um nicht vor Gericht erscheinen zu müssen, braucht sich der Betroffene nur anwaltlich vertreten zu lassen. Wenn er dann noch über seinen Anwalt erklärt, das Auto gefahren zu haben, aber ansonsten die Aussage zu verweigern, muss das Gericht auf seine Anwesenheit verzichten. Das Gesetz sieht nämlich vor, dass ein mutmaßlicher Verkehrssünder nicht im Gerichtssaal auflaufen muss, wenn durch seine Anwesenheit keine weitere Sachaufklärung zu erwarten ist.

Das Oberlandesgericht Düsseldorf geht jetzt noch einen Schritt weiter. Danach darf der Antrag, auf das persönliche Erscheinen des Betroffenen zu verzichten, sogar noch nach Beginn der Hauptverhandlung gestellt werden. Wichtig ist das in den Fällen, in denen der Betroffene eigentlich kommen wollte, sich aber aus irgendwelchen Gründen verspätet. Viele Richter warten dann höchstens eine Viertelstunde, bevor sie das Rechtsmittel des Betroffenen wegen dessen Abwesenheit verwerfen.

Das ist, wenn man dem Oberlandesgericht Düsseldorf folgt, künftig nicht mehr ganz so einfach. Es bedarf dann nur eines Anwalts, der den Kniff kennt. Der Anwalt kann damit zumindest eine Verhandlung zur Sache erzwingen, die ja gerade in Bußgeldsachen auch häufig mit einer Einstellung endet.

Oberlandesgericht Düsseldorf, Beschluss vom 2. Februar 2012, Aktenzeichen IV – 2 RBs 13/12

Carsten R. Hoenig zum gleichen Thema

Arbeitgeber darf AU schon am ersten Tag verlangen

Für viele Arbeitnehmer ist die Krankmeldung erst mal nur eine Formsache. Ein Anruf beim Chef oder einem Kollegen, dass man nicht kommt. Das war’s. Ein ärztliches Attest wird oft erst ab dem vierten Krankheitstag verlangt. Allerdings ist diese Praxis eine reine Kulanz des Arbeitgebers.

Das Bundesarbeitsgericht hat heute entschieden, dass Arbeitnehmer schon ab dem ersten Krankheitstag eine ärztliche Bescheinigung vorlegen müssen, wenn der Chef dies verlangt. Hierfür ist auch keinerlei Begründung erforderlich. Insbesondere ist es auch nicht notwendig, dass gegen den Arbeitnehmer ein Verdacht besteht, er mache blau.

Zwar sieht das Entgeltfortzahlungsgesetz zunächst mal vor, dass nur bei längerer Krankheit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt werden muss. Nämlich dann, wenn der Arbeitnehmer “länger als drei Kalendertage” ausfällt. Bis dahin, so das Gesetz reicht es, wenn der Arbeitgeber unverzüglich über die Arbeitsunfähigkeit und deren voraussichtliche Dauer informiert wird.

Allerdings steht im Gesetz auch folgendere Satz:

Der Arbeitgeber ist berechtigt, die Vorlage der ärztlichen Bescheinigung früher zu verlangen.

Vor dem Bundesarbeitsgericht ging es nun um die Frage, ob der Arbeitgeber nach Lust und Laune die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung verlangen darf. Oder ob das nur in Fällen zulässig ist, in denen ein Verdacht auf Missbrauch besteht.

Geklagt hatte eine Redakteurin, die seit fast 30 Jahren beim WDR beschäftigt war. Sie hatte für den 30. November 2010 eine Dienstreise beantragt. Ihr Vorgesetzter lehnte den Antrag ab. Am Vortag fragte die Redakteurin nochmals nach, aber auch hier lautete die Antwort nein. Sie meldete sich dann für den 30. November krank. Am 1. Dezember kam sie wieder zur Arbeit. 

Darauf verlangte der WDR, die Frau solle künftig schon ab dem ersten Krankheitstag eine Bescheinigung vorlegen. Das lehnte sie ab und klagte dagegen. Ihre Begründung: Zwar sehe das Gesetz die Ausnahme vor, jedoch müsse der Arbeitgeber hierfür sachliche Gründe haben. Ansonsten werde sie diskriminiert.

Das Bundesarbeitsgericht ist anderer Meinung. Laut Gesetz dürfe der Arbeitgeber die Bescheinigung früher verlangen. Besondere Gründe benötige er hierfür nicht. Deshalb komme es auch gar nicht darauf an, ob die Redakteurin schon viele Dienstjahre ohne Beanstandung gearbeitet hat.

Selbst Tarifverträge berühren laut Gericht das Recht des Arbeitgebers nur dann, wenn sie die gesetzliche Regelung ausdrücklich einschränken. Das war im Fall des WDR-Tarifvertrags nicht der Fall.

Bundesarbeitsgericht, Urteil vom 14. November 2012, Aktenzeichen  5 AZR 886/11

“Rechtsradikal” ist zulässiges Werturteil

Eine Person in einem Internetforum während einer Diskussion als „rechtsradikal“ zu betiteln, ist ein Werturteil und grundsätzlich von der Meinungsfreiheit gedeckt. Dies entschied das Bundesverfassungsgericht in einem heute veröffentlichten Beschluss.

Der klagende Rechtsanwalt beschäftigte sich auf seiner Kanzleihomepage und in Zeitschriftenveröffentlichungen mit politischen Themen. Er schrieb unter anderem über die „khasarischen, also nicht-semitischen Juden“, die das Wirtschaftsgeschehen in der Welt bestimmten, und über den „transitorischen Charakter“ des Grundgesetzes, das lediglich ein „ordnungsrechtliches Instrumentarium der Siegermächte“ sei.

Der Beschwerdeführer, ebenfalls Rechtsanwalt, setzte sich in einem Internet-Diskussionsforum mit diesen Veröffentlichungen auseinander: Der Verfasser liefere „einen seiner typischen rechtsextremen originellen Beiträge zur Besatzerrepublik BRD, die endlich durch einen bioregionalistisch organisierten Volksstaat zu ersetzen sei“. Wer meine, „die Welt werde im Grunde von einer Gruppe khasarischer Juden beherrscht, welche im Verborgenen die Strippen ziehen“, müsse „es sich gefallen lassen, rechtsradikal genannt zu werden“.

Das Landgericht und das Oberlandesgericht verurteilten den zweiten Rechtsanwalt zur Unterlassung der Äußerungen, wobei das Landgericht sie teilweise als unwahre Tatsachenbehauptungen und das Oberlandesgericht sie als Schmähkritik aus dem Schutzbereich der Meinungsfreiheit herausfallen ließen.

Das Bundesverfassungsgericht hat beide Urteile aufgehoben und die Sache an das Landgericht
zurückverwiesen. Die Urteile verletzen nach Auffassung der Karlsruher Richter nämlich den Beschwerdeführer in seinem Grundrecht auf Meinungsfreiheit.

Das Gericht nennt folgende Argumente:

Es handelt sich um Meinungsäußerungen in Form eines Werturteils, denn es ist nicht durch eine Beweiserhebung festzustellen, wann ein Beitrag „rechtsextrem“ ist, wann sich ein Denken vom „klassisch rechtsradikalen verschwörungstheoretischen Weltbild“ unterscheidet und wann man „es sich gefallen lassen muss, rechtsradikal genannt zu werden“.

Bedeutung und Tragweite der Meinungsfreiheit werden verkannt, wenn eine Äußerung unzutreffend als Tatsachenbehauptung, Formalbeleidigung oder Schmähkritik eingestuft wird mit der Folge, dass sie dann nicht im selben Maß am Grundrechtsschutz teilnimmt wie Äußerungen, die als Werturteil ohne beleidigenden oder schmähenden Charakter anzusehen sind.

Verfassungsrechtlich ist die Schmähung eng definiert, da bei ihrem Vorliegen schon jede Abwägung mit der Meinungsfreiheit entfällt. Eine Schmähkritik ist nicht einfach jede Beleidigung, sondern spezifisch dadurch gekennzeichnet, dass nicht mehr die Auseinandersetzung in der Sache, sondern die Diffamierung der Person im Vordergrund steht. Dies kann hier aber nicht angenommen werden, denn alle Äußerungen haben einen Sachbezug.

Verfassungsrechtlich geboten war also eine Abwägung zwischen der Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers und dem Allgemeinen Persönlichkeitsrecht des Unterlassungsklägers. Das Ergebnis dieser Abwägung hängt von den Umständen des Einzelfalls ab.

In der Abwägung muss nun das Gericht, an das zurückverwiesen wurde, berücksichtigen, dass
der Unterlassungskläger weder in seiner Intim- noch in seiner Privatsphäre betroffen ist, sondern allenfalls in seiner Sozialsphäre. Dagegen ist die Meinungsfreiheit des Beschwerdeführers in ihrem Kern betroffen. Die Verurteilung zur Unterlassung eines Werturteils muss im Interesse des Schutzes der Meinungsfreiheit auf das zum Rechtsgüterschutz unbedingt Erforderliche beschränkt werden. Der Unterlassungskläger hat seine Beiträge öffentlich zur Diskussion gestellt; dann muss zur öffentlichen Meinungsbildung auch eine inhaltliche Diskussion möglich sein.

Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 17. September 2012, 1 BvR 2979/10

Aufstand auf Facebook – gegen Facebook

Facebook-Nutzer proben gerade einen kleinen Aufstand – gegen Facebook. In zahlreichen Profilen werden Texte geteilt, in denen Nutzer sich gegen die Allgemeinen Geschäftsbedingungen von Facebook aussprechen. Das sieht so oder ähnlich aus:

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Öffentlichkeitswirksam ist der Protest auf jeden Fall.  Und es ehrt Facebook, dass es zumindest bislang noch keine Berichte gibt, wonach die Postings auf wundersame Art und Weise wieder aus den Timelines verschwinden.

Rechtlich wirksam ist der “Widerspruch” allerdings eher nicht. Das Problem liegt schon ganz einfach darin, dass das jeweilige Nutzerprofil kein Briefkasten von Facebook ist. Ein Widerspruch muss demjenigen im rechtlichen Sinne “zugehen”, gegen den er sich richtet. Das heißt konkret: Wer gegenüber Facebook eine Erklärung abgeben will, muss sie Facebook auch direkt zuschicken. Also über den Kundenservice. Per Mail. Oder Briefpost.

Solche ordnungsgemäßen Widersprüche können auch Facebook nicht egal sein. Vielmehr ist auch dieser Riese ans geltende Recht gebunden. Wobei man bei Facebook Europe nur darüber streiten kann, ob für deutsche Nutzer deutsches Recht gilt. Oder doch irisches, wo Facebooks Europazentrale sitzt.

Im Kern gilt aber in beiden Ländern, dass ein Nutzer sich einseitige Vertragsänderungen nicht aufs Auge drücken lassen muss. Konkret: Ändert Facebook sein Kleingedrucktes, kann der Nutzer sehr wohl widersprechen. Dann ist juristisch Facebook am Zug.

Große Anbieter scheuen erfahrungsgemäß davor zurück, ihren Nutzern unterschiedliche Vertragsstände zuzugestehen. Es kann also dann durchaus passieren, dass Facebook den rechtswirksam erklärten Widerspruch zum Anlass für eine Kündigung nimmt und das Profil des Nutzers löscht. Das wäre – jedenfalls nach angemessener Frist- auch zulässig. Denn Facebook kann seinerseits auch nicht gezwungen werden, das Nutzungsverhältnis zu bestimmten Bedingungen fortzusetzen.

Wer es also wirklich ernst meint mit Facebook, muss sich schon direkt an das Unternehmen wenden. Was aber nicht heißt, dass der öffentliche Protest gegen Facebooks Rechtepolitik sinnlos sein muss.

Jens Ferner zum gleichen Thema

Handy-Flatrate: Urteil bremst Telefonanbieter

Ein Urteil, das Telefonfirmen kaum schmecken wird: Wenn Handyverträge mit Flatrate zu Recht vorzeitig gekündigt werden, darf der Anbieter für die Restlaufzeit zwar Schadensersatz verlangen. Aber nicht das volle Entgelt. Vielmehr muss er sich 50 % als ersparte Aufwendungen anrechnen lassen. Das hat das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg entschieden.

Der Telefonanbieter hatte den Laufzeitvertrag wegen “Vertragsverletzung” des Kunden vorzeitig gekündigt. Meist passiert das, wenn der Kunde mit Zahlungen im Rückstand ist. Für jeden Monat der Restlaufzeit wollte die Firma 67,18 Euro berechnen, den Preis für die vom Kunden gebuchte Flatrate.

Das Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg ist jedoch der Meinung, dass der Anbieter ohne den Kunden trotz der Flatrate-Vereinbarung auch Kosten spart. Es kann also nicht davon ausgegangen werden, dass letztlich monatlich 67,18 Euro Gewinn in der Kasse geblieben wären. Das Gericht:

Steht diese Möglichkeit der Inanspruchnahme jedoch aufgrund der Sperrung nicht mehr zur Verfügung, so ist die Schlussfolgerung, dass die Klägerin nicht unerhebliche Aufwendungen erspart hätte, geradezu zwingend.

Dies ergibt sich beispielsweise schon aus dem Vergleich der verschiedenen Tarife der Klägerin, wonach auch die Möglichkeit besteht, nur eine geringe Grundgebühr von 8,95 Euro monatlich zu vereinbaren und dann für jedes einzelne abgehende Gespräch Verbindungsentgelte zu entrichten.

Diese Tarifgestaltung zeigt, dass die tatsächliche Inanspruchnahme der Leistung einen vergütungspflichtigen Wert darstellt, so dass sich der Umkehrschluss, wonach die Nicht-Zurverfügungstellung und Inanspruchnahme der Telekommunikationsdienste einen wirtschaftlichen Vorteil des Anbieters der Leistung bedeutet, aufdrängt.

Gerade weil der Flatrate-Kunde unbegrenzt telefonieren darf, ist er also ein Kostenfaktor. Je mehr solcher Verträge es gibt, desto höher sind zum Beispiel die Kosten für die Netzinstandhaltung und –modernisierung. Das hat das Amtsgericht völlig richtig erkannt.

Viele Gerichte übernehmen kritiklos die Argumentation der Anbieter, wonach diesen für die Restlaufzeit immer die volle Grundgebühr zusteht. Dabei wird gern der zivilrechtliche Grundsatz übersehen, dass sich ein Vertragspartner eben jene “ersparten Aufwendungen” anrechnen lassen muss. Und dass diese, so wie es das Amtsgericht hier macht, eben auch geschätzt werden können.

Amtsgericht Tempelhof-Kreuzberg, Urteil vom 5. September 2012, Aktenzeichen 24 C 107/12

Rechter Schornsteinfeger darf nicht ins Haus

Politische Aktivitäten für die NPD und die Teilnahme an öffentlichen Ehrungen der Mörder Walther Rathenaus rechtfertigen es, einem Bezirksschornsteinfeger die Zulassung zu entziehen. Dies hat das Bundesverwaltungsgericht entschieden. In den beiden Vorinstanzen hatte der Schornsteinfeger aus dem Burgenlandkreis noch recht erhalten und hätte demnach seine Arbeit behalten dürfen.

Der 54 Jahre alte Kläger ist seit 1987 als Bezirksschornsteinfegermeister bestellt. Er betätigt sich aktiv für die Nationaldemokratische Partei Deutschlands (NPD), ohne Mitglied zu sein. Er ist seit dem Jahr 2004 Vorsitzender der NPD-Fraktion im Stadtrat von Laucha, seit 2007 Mitglied der NPD-Fraktion im Kreistag des Burgenlandkreises und hat im Jahr 2005 als unabhängiger Kandidat auf der Landesliste Sachsen-Anhalt der NPD für die Wahlen zum Deutschen Bundestag kandidiert.

In den Jahren 2001 bis 2004 sowie 2006 und 2007 nahm er an Veranstaltungen zum Gedenken an die Mörder des Außenministers der Weimarer Republik Walther Rathenau in Bad Kösen, wo er 2004 an einer Kranzniederlegung mitwirkte und 2007 zudem eine Rede hielt.

Die Behörde entzog dem Mann 2008 die Zulassung mit der Begründung, er habe nicht die erforderliche persönliche Zuverlässigkeit. Das sahen das Verwaltungsgericht und das Oberverwaltungsgericht anders. Die Aktivitäten des Klägers wiesen nach Auffassung der Richter keinen Bezug zu seiner Berufstätigkeit auf.

Das Bundesverwaltungsgericht entschied sich nun für die gegenteilige Ansicht. Das außerberufliche Verhalten dürfe bei der Beurteilung, ob der Kläger bei der Arbeit die Rechtsordnung und namentlich die Grundrechte seiner Kunden achte, nicht ausgeblendet werden.

Zwar unterlägen Bezirksschornsteinfegermeister nicht einer strengen Pflicht zur Verfassungstreue, wie sie bei Beamten vorausgesetzt werde. Allerdings weise der Beruf des Bezirksschornsteinfegers Besonderheiten auf. Der Schornsteinfeger sei bei der Feuerstättenschau, der Bauabnahme sowie der Kontrolle des Energieverbrauchs mit öffentlichen Aufgaben betraut. Diese “Beleihung” mache ihn zum Teil der öffentlichen Verwaltung. Somit unterliegen nach Auffassung des Gerichts alle Bezirksschornsteinfeger der Bindung der öffentlichen Verwaltung an die Rechtsordnung. Außerdem müssten sie die Grundrechte ihrer Kunden beachten.

Durch seine jahrelange aktive Beteiligung an den "Totenehrungen" für die Mörder Walther Rathenaus in Saaleck habe der Kläger zum Ausdruck gebracht, dass für ihn selbst schwerste und zudem antisemitische Straftaten billigenswert und die Täter gar verehrungswürdig seien, sofern sie den von ihm für richtig gehaltenen Zielen dienten. Walther Rathenau sei in der Weimarer Republik wegen seines jüdischen Glaubens Ziel hasserfüllter antisemitischer Hetzkampagnen gewesen ("Knallt ab den Walther Rathenau, die gottverdammte Judensau!"), was dem Kläger bekannt sei.

Zudem habe der Kläger mit der Kranzniederlegung die nationalsozialistische Wertung des Rathenau-Mordes übernommen. Die Billigung der Ermordung eines Menschen unter anderem wegen seines jüdischen Glaubens und die Ehrung der Mörder offenbare eine antisemitische und rassistische Grundhaltung, die elementare Grundrechte von Mitbürgern gering achte.

Das alles sei für die Wahrnehmung eines Bezirksschornsteinfegermeisters von unmittelbarer Relevanz, wenn er etwa in Privathaushalten tätig werden solle. Das sei auch nicht unwesentlich, denn Wohnungsbesitzer müssten dem Schornsteinfeger Zutritt gestatten. Sie hätten auch keine Möglichkeit, einen anderen Schornsteinfeger zu beauftragen.

Das Vertrauen der Bürger werde erschüttert, wenn der Schornsteinfeger durch außerberufliches Verhalten zu erkennen gebe, dass er die geltenden Gesetze und die Grundrechte von Mitbürgern – auch von ethnischen oder religiösen Minderheiten – nicht uneingeschränkt und verlässlich achte. Deshalb habe die Zulassung des Betroffenen widerrufen werden dürfen.

Bundesverwaltungsgericht, Urteil vom 7. November 2012, Aktenzeichen 8 C 28.11

Nette Polizisten nehmen auch Flaschenpfand

Bei der Vollstreckung eines Haftbefehls wegen rückständiger Geldbußen über 264 Euro musste ein 54-jähriger Mann aus Warstein bis an die finanzielle Schmerzgrenze gehen. Als Polizeibeamte bei dem Mann erschienen, um ihn festzunehmen, ging er an die letzten Geldreserven und sammelte aus diversen Geldbörsen und Behältnissen in der gesamten Wohnung 263,07 Euro ein.

Das waren aber immer noch einige Cent zu wenig, um die Einlieferung in die Justizvollzugsanstalt zu verhindern. Denn bei nicht vollständiger Zahlung drohten dem Mann zwei Tage Ersatzhaft. 

Die rettende Idee ließ allerdings nicht lange auf sich warten. In der laut Polizeibericht "leicht unaufgeräumten" Wohnung lagen zahlreiche leere Pfandflaschen herum. Die Polizeibeamten der Wache Warstein schlugen vor, für den fehlenden Betrag von einem knappen Euro Pfandflaschen mitzunehmen und am nächsten Pfandautomaten gegen "Bares" einzutauschen. Sichtlich erleichtert willigt der Betroffene ein und entging so seiner Unterbringung auf Staatskosten.

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Der nicht neutrale Sachverständige

Gerade bei Ermittlungen im Marken- und Urheberrecht ist es fast schon üblich, dass Ermittler Durchsuchungen nicht alleine machen. Sie bringen vielmehr gleich Mitarbeiter der Anzeigenerstatter mit, damit die ihnen vor Ort helfen können. Dieser Praxis tritt das Landgericht Berlin nun entgegen. Nach Auffassung der Richter muss es die Ausnahme bleiben, dass “nicht neutrale Sachverständige” vor Ort sind.

Microsoft hatte einen Geschäftsmann angezeigt, der im großen Stil kopierte Software des Konzerns verkauft haben soll. Bei der Durchsuchung war dann auch der Mitarbeiter eines Büros anwesend, das ausschließlich für Microsoft arbeitet. Er sichtete für die Beamten Datenträger und schlug vor, was beschlagnahmt werden soll.

Das Landgericht Berlin betont, die Ermittlungsbehörden müssten sich zunächst um neutrale Sachverständige bemühen. Dies sei erforderlich, um das Verfahren rechtsstaatlich und fair zu gestalten. Polizei und Staatsanwaltschaft müssten sich auch deswegen um neutrale Helfer bemühen, um das Vertrauen der Bürger in objektive Ermittlungen nicht zu gefährden.

Zwar seien Fälle denkbar, in denen auch nicht neutrale Personen bei der Durchsuchung dabei sein dürfen. Als Klassiker nennt das Landgericht Berlin das Opfer eines Diebstahls, weil dieses an Ort und Stelle am schnellsten sein Eigentum identifizieren könne.

Das sei aber im Falle der Microsoft-Durchsuchung nicht so gewesen. Der “Sachverständige” habe lediglich in stundenlanger Arbeit Datenträger aussortiert, auf denen Microsoft als Hersteller genannt war. Diese Arbeit, so das Landgericht Berlin, hätten die Polizeibeamten auch gut selbst erledigen können. Denn auch sie seien, ich fasse zuammen, in der Lage den Microsoft-Schriftzug zu lesen. Die Anwesenheit des Sachverständigen sei deshalb gar nicht erforderlich gewesen. Im Zweifel hätten auch eigene Experten, etwa vom Landeskriminalamt, eingesetzt werden können.

Beim Beschuldigten sei aber die Botschaft angekommen, dass die Beamten möglicherweise nicht unvoreingenommen ermitteln. Wörtlich:

Die fehlende Unparteilichkeit des hinzugezogenen Sachverständigen … konnte unter diesen Umständen für die Durchsuchungsbetroffene als auch für einen unbeteiligten Bürger den Eindruck entstehen lassen, dass die Ermittlungsbehörden Stellung zugunsten der Anzeigenerstatterin genommen hätten, indem sie jemanden an der Durchsuchung aktiv beteiligten, obwohl dieser erkennbar dem Lager der Anzeigenerstatterin zuzurechnen ist, die wiederum aufgrund eines Konkurrenzverhältnisses zu der Durchsuchungsbetroffenen ein offensichtliches Interesse am Ausgang des Ermittlungsverfahrens haben muss.

Die Ermittlungsbehörden haben daher ihr Handeln nicht so eingerichtet, dass beim Bürger kein nachvollziehbarer Verdacht dahingehend entstehen kann, Staatsanwaltschaft und Polizei hätten gegen das Gebot der Unparteilichkeit verstoßen. 

Wenn es um kopierte Filme, Musik und Hörbücher geht, hat die Zahl der Hausdurchsuchungen zwar abgenommen. Die Rechteinhaber haben ja seit einigen Jahren einen eigenen Auskunftsanspruch vor Gericht, um den Anschlussinhaber einer IP-Adresse festzustellen. Bei größeren Fällen, wenn der Verdächtige gewerblich gehandelt haben soll, wird aber nach wie vor durchsucht.

Hier werden auch immer wieder gern Vertreter der Rechteindustrie eingeladen, meist Mitarbeiter der GVU. Das ist oft mehrfach merkwürdig. Denn in der Regel stellt die GVU im eigenen Namen den Strafantrag, da sie mit der Rechtewahrnehmung beauftragt ist. Oft wird sie dann auch später mit der Auswertung der Beweismittel beauftragt. Ist die GVU dann auch noch bei der Durchsuchung vor Ort, kann man eigentlich kaum noch von einer Hilfeleistung sprechen. Eher nehmen die beteiligten Polizisten eine Art Statistenrolle ein.

Gegen solch offensichtlich eigennützige Ermittlungen gibt der Beschluss künftig gute Argumente.

Landgericht Berlin, Beschluss vom 3. Mai 2012, Aktenzeichen 526 Qs 10 /12 und 526 Qs 11/12

Kein Reißverschluss vor Möbelwagen

Das Reißverschlussverfahren gilt im Straßenverkehr nur, wenn eine Spur für eine gewisse Strecke offiziell geschlossen wird. Aber nicht, wenn die Spur nur durch ein zufälliges Hindernis blockiert wird. Das stellt das Amtsgericht München in einem Urteil klar. 

Anfang September 2011 fuhr eine Autofahrerin mit ihrem VW Cabrio auf der Widenmayerstraße in München auf der linken der zwei Fahrbahnen. Ein Möbelwagen, der in der Straße auf eben dieser Spur parkte, zwang sie zum Halten.

Als sie auf die rechte Spur wechselte, kam es zu einem Zusammenstoß mit der Fahrerin eines Fiat Puntos. Kotflügel, Stoßfänger und das Rad rechts vorne des Cabrios wurden dabei beschädigt. Die Reparaturkosten in Höhe von 1.633 Euro, die Kosten für das Sachverständigengutachten in Höhe von 370 Euro sowie Nutzungsausfall für zwei Tage in Höhe von 68 Euro wollte die Cabriobesitzerin von der Fahrerin des Fiat Punto ersetzt bekommen.

Diese und ihre Versicherung weigerten sich zu zahlen. Schließlich habe die Fahrerin des Cabrios nicht aufgepasst. Im Gegenteil, so entgegnete diese, die andere Fahrerin sei rücksichtslos und extrem unaufmerksam gewesen.

Die Besitzerin des VW Cabrios erhob Klage vor dem Amtsgericht München. Dieses wies die Klage jedoch ab.

Der Unfall beruhe auf einem Spurwechsel der Klägerin. Bei einem Spurwechsel obliege es nach der Straßenverkehrsordnung dem wechselnden Autofahrer, eine Gefährdung der anderen Verkehrsteilnehmer auszuschließen. Gegebenfalls müsse er anhalten oder vom Wechsel Abstand nehmen.

Die Beklagte sei insbesondere nicht verpflichtet gewesen, den Spurwechsel zu ermöglichen. Das Reißverschlussprinzip gelte nur beim Wegfall einer Spur, nicht wenn die Weiterfahrt auf einer noch vorhandenen Spur blockiert sei.

Amtsgericht München, Urteil vom 7. März 2012, Aktenzeichen 334 C 28675/11

Schwierige Frage nach der Vorfahrt

Eine seltsame Kreuzung ist das. Ist es überhaupt eine? Dort, wo der Norden von Düsseldorf fast an den Duisburger Süden stößt, da kommen vier Straßen oder Wege oder Pfade zusammen, jedenfalls befahrbare Routen. Drei davon sind breit und asphaltiert, eine nicht. Ist das nun ein „Einmündungsviereck“ im Sinne des Straßenverkehrsrechts? Eine vertrackte Situation, wie sich noch zeigen wird.

Dagegen glaubte ein Radfahrer, der an dieser Stelle von einem Motorroller fast umgefahren wurde, an eine völlig klare Lage. Der Radfahrer war auf einer der breiten, asphaltierten Bahnen unterwegs. Der motorisierte Fahrer auch, er kam aber von links. Hatte er die rechts-vor-links-Vorfahrtsregel verletzt? Zur Überprüfung zeigte ihn der Radfahrer, der sich das Kennzeichen merken konnte, bei der Polizei an.

Es begann ein bürokratisches Wirrwarr. Die Polizei ließ, auch auf Nachfrage, erst einmal sieben Monate nichts von sich hören. Und dann lapidar wissen, die Anzeige sei „ohne weitere Sachbearbeitung unmittelbar der Bußgeldstelle übersandt“ worden. So sehe es ein entsprechender Erlass vor. Das ist allerding so nicht ganz richtig.

Dieser Erlass des Innenministers schreibt vor, eine Strafanzeige an die Staatsanwaltschaft abzugeben – und eben nicht an die Bußgeldstelle. Warum das nicht passiert ist, verschweigt die Polizei bis heute. Also schickte der Radfahrer die Anzeige noch einmal ab – an die Staatsanwaltschaft. Die beförderte sie, wie kann es anders sein, an die Polizei.

Auf deren Ermittlungen, die diesmal fünf Monate dauerten, berief sich dann eine Amtsanwältin. Sie hatte zunächst einen Verdacht der „Nötigung“ unterstellt, verneinte den aber letztlich. Denn erstens habe der Fahrer des Motorrollers seine Beteiligung rundweg bestritten. Der sei auch, zweitens, bei einer Wahllichtbildvorlage nicht wiederzuerkennen (Zitat: „Helm“). Und drittens, nun ja, da habe die Polizei doch bei einem „Augenschein der Örtlichkeit“ noch etwas „festgestellt“, schrieb die Amtsanwältin dem Radfahrer. „Sie kamen von einem untergeordneten Feldweg. Sie hätten die Vorfahrt des Rollers beachten müssen“. Der Radfahrer war baff.

Nachdem er sich erholt hatte, wurde er kess. Er schrieb der Amtsanwältin der Staatsanwaltschaft, einige ihrer Erklärungsversuche seien nachvollziehbar, “andere Behauptungen bedürfen der Klärung“. Also schickte er ihr Fotos der sogenannten: Kreuzung, und fragte, von wegen der Rechtssicherheit, nach der Vorfahrtsregel dort. Die Antwort kam einen Monat später. Wiederum die Polizei habe, so hieß es diesmal, „nach Kenntnis der Örtlichkeit“  und „nach Sichtung der übersandten Lichtbilder“ mitgeteilt, „dass Sie vorfahrtsberechtigt waren“.

Seltsame Ermittlungen waren das. Um eine Kreuzung, die überraschenderweise doch eine ist. (pbd)

Auf die toughe Art

Wie rau das Klima vor Gericht mitunter ist, zeigt eine aktuelle Entscheidung des Bundesgerichtshofs. Die Verteidiger wollten sich schriftlich für die Angeklagten äußern. Das lehnte das Gericht ab. Selbst die Stellungnahme wollten die Richter am Landgericht Mönchengladbach nicht entgegennehmen.

Als einer der Verteidiger dem Vorsitzenden die Papiere, verbunden mit einem Antrag, reichte, machte dieser kurzen Prozess. Er zerriss die Unterlagen. Dazu der Bundesgerichtshof:

Es trifft zu, dass das Gericht verpflichtet ist, eine schriftliche Stellungnahme des Angeklagten zur Kenntnis zu nehmen. Insofern war die Verfahrensweise, eine Entgegennahme der Erklärung abzulehnen und diese gar zu zerreißen, fehlerhaft.

Die Revisionen der Angeklagten hatten trotzdem keinen Erfolg. Die Verteidiger konnten nämlich nicht hinreichend belegen, dass der Inhalt ihrer Schreiben das Endurteil verändert hätte. Das nicht sonderlich freundliche, ja sogar klar rechtswidrige Verhalten des Gerichts bleibt also ohne Konsequenz.

Würde mich nicht wundern, wenn sich der betreffende Vorsitzende in seiner toughen Art noch bestärkt fühlt.

Das JURION Strafrecht Blog zum gleichen Thema