Das Bundesverfassungsgericht möchte sich nicht näher mit dem biometrischen Reisepass befassen. Obwohl verfassungsrechtliche Bedenken auf der Hand liegen, wiesen die Richter nun Beschwerden der Schriftstellerin Juli Zeh und eines Rechtsanwalts aus formalen Gründen ab. Die Antragsteller, so das Gericht, hätten sich zu oberflächlich mit der Thematik befasst.
Schon seit 2005 wird im Reisepass ein Foto des Inhabers gespeichert, 2007 kamen Fingerabdrücke hinzu. Wer seitdem einen Reisepass haben möchte, muss sich mit dieser Praxis arrangieren. Viele Bürger haben das mittlerweile auch getan, aber die grundlegenden Zweifel bleiben. Datenschützer bezweifelten von Anfang an, dass die neuen Reisepässe mit dem Grundrecht auf informationelle Selbstbestimmung vereinbar sind.
Auch das Bundesverfassungsgericht sieht die juristischen Probleme. Die Richter zählen in ihrem Abweisungsbeschluss sogar auf, was bisher weitgehend unbeantwortet im Raum steht. Kern ist natürlich die Frage nach der Verhältnismäßigkeit. Immerhin werden alle Antragsteller nun so behandelt, wie man es bislang nur von Beschuldigten in Strafverfahren kennt.
Hinzu kommen erhebliche Bedenken zum Datenschutz. Elektronisch lesbare Dokumente können leichter “abgeschöpft” werden. Das gilt nicht nur für mögliche Hackerangriffe. Auch bei der Ein- und Ausreise in andere Länder oder bei Passkontrollen vor Ort ist oft nicht klar, welche Daten gegebenenfalls dort gespeichert werden. Überdies haben Gerichte auch erhebliche Zweifel daran geäußert, ob der biometrische Reisepass mit dem Europarecht vereinbar ist.
Eine ganze Latte von Problemen also. Das Bundesverfassungsgericht duckt sich jedoch davor weg. Stattdessen richtet sich an die Beschwerdeführer der Vorwurf, sich mit einzelnen Fragen nicht im ausreichenden Umfang beschäftigt zu haben. Fast bedauernd heißt es dann, die aufgeworfenen Fragen könnten deshalb nicht beantwortet werden.
Ich kenne die Beschwerdeschrift nicht. Es dürfte auch eher unwahrscheinlich sein, dass sich die Antragsteller auf bloße Floskeln beschränkt haben. Aber in jedem Fall ergibt sich ja schon aus dem Beschluss des Verfassungsgerichts selbst, dass die Problematik nachvollziehbar herausgearbeitet wurde.
Wenn sich ausgerechnet das höchste Gericht auf einen formalen Standpunkt zurückzieht, hinterlässt das einen bitteren Nachgeschmack. Immerhin fordern die Verfassungshüter ja immer wieder von anderen Gerichten, dass diese die formalen Hürden für ein Verfahren nicht zu hoch hängen. Das Verfassungsgericht hat schon hunderte Entscheidungen kassiert, in denen Gerichte den Eindruck erweckten, sie wählten den bequemen Weg, um sich nicht mit der Sache beschäftigen zu müssen.
Von daher ist es schon merkwürdig, dass offene Fragen, die uns alle betreffen, nun schlichtweg nicht höchstrichterlich beantwortet werden. Womöglich spielt es auch eine Rolle, dass sich die Richter einige Jahre Zeit für diesen an sich wichtigen Fall genommen haben (das Aktenzeichen stammt aus dem Jahr 2009). Mittlerweile ist der biometrische Reisepass schon hunderttausendfach ausgegeben worden. Vielleicht will man schon einfach deshalb nicht mehr dran rühren.
Bundesverfassungsgericht, Beschluss vom 30. Dezember 2012, Aktenzeichen 1 BvR 502/09
Nachtrag: Link zur Verfassungsbeschwerde