Drittes Auge für hessische Polizisten

Mit dem Projekt “Bodycam” startet die Hessische Polizei in eine neue Ära der Überwachung. Polizeibeamte sollen künftig kleine Videokameras tragen, die auf ihrer Schulter sitzen. Die Polizei hofft, Gewalttäter vor Angriffen auf Polizisten abhalten zu können. Außerdem sollen die Aufnahmen auch zur Aufklärung von Straftaten verwendet werden.

Die neue Kamera tragen sofort Beamte im Bereich Alt-Sachsenhausen an ihrer Uniform. Alt-Sachsenhausen hat das Hessische Innenministerium für den Testbetrieb ausgewählt, weil es das Viertel als “Brennpunkt der Gewalt gegen Polizistinnen und Polizisten” ausgemacht hat.

Immerhin findet die Überwachung nicht verdeckt statt. Mit Kameras ausgerüstete Polizisten müssen eine Weste mit der Aufschrift “Videoüberwachung” tragen. Außerdem, so das Innenministerium, sollen sie nur anlassbezogen filmen dürfen. Dauerhafte Aufnahmen seien unzulässig. Jedoch heißt es auch, schon beim Schlichten von Streitigkeiten könnten die Kameras eingeschaltet werden.

Der Hessische Innenminister glaubt, durch die Kameras ließen sich Angriffe auf Polizeibeamte verhindern. Er formuliert das so:

Bilder sagen mehr als Worte. Potentielle Angreifer werden künftig zwei Mal überlegen, ob es sich wirklich lohnt einen Polizisten anzugreifen, wenn klar ist, dass die Aufnahmen vor Gericht landen können.

Ob das tatsächlich so klappt, darf bezweifelt werden. Die Kritik fasst das Blog “Criminologia” zusammen:

In dieser Argumentation lässt sich unschwer das zugrunde liegende Menschenbild eines rationalen Akteurs erkennen, der “zwei Mal überlegt”, bevor er illegale Handlungen vollführt. Bei den Angriffen auf Polizeibeamte wird es sich in der Regel jedoch um Affekttaten handeln, die von ihrem situativen, spontanen und emotionalen Charakter geprägt sind. Zudem werden die potentiellen, abzuschreckenden Täter im Kneipenviertel Alt-Sachsenhausen wohl nur selten nüchtern und ihr rationales Urteilsvermögen erheblich getrübt sein.

Überhaupt stellt sich die Frage, wieso ausgerechnet zur Videotechnik gegriffen wird. Wäre es nicht besser, ausreichend Beamte einzusetzen? Mir erscheint es gut möglich, dass die Videokameras fehlendes Personal ersetzen sollen, indem man den Beamten ein trügerisches Gefühl der Sicherheit vermittelt. Jedenfalls ist mir nicht klar, wieso physische Präsenz von ausreichend vielen Beamten  weniger wirken soll als technische Gimmicks.

Nach wie vor fehlt auch noch jeder Beweis dafür, dass Kameras Straftaten verhindern. Was für die große Überwachung gilt, wird sich für den Kleinstraum, den so eine Schulterkamera erfasst, umso mehr gelten. Mal ganz abgesehen von der Frage, was für “Beweise” denn mit den zu erwartenden Wackelbildern erzielt werden sollen. Tonaufnahmen dürfen die Bodycams in der Testphase gar nicht machen, auch weil der hessische Datenschutz Bedenken gehabt haben soll. 

Interessant wird allerdings sein, wann und wie lange die Bodycams bei Einsätzen tatsächlich eingeschaltet sein werden. Der Umstand, dass eine Kamera nicht (mehr) lief oder entsprechende Bilder jedenfalls nicht auffindbar sind, könnte in Fällen möglicher Polizeigewalt auch interessante Rückschlüsse zulassen.