Polizei und Justiz beklagen laut Personalnot und Überlastung. Dabei ist das nicht alles fremdverschuldet. Denn es gibt einen unübersehbaren Hang zur Selbstbeschäftigung. Das geht einher mit einer gewissen Unfähigkeit, Prioritäten zu setzen. Natürlich darf sich Strafverfolgung nicht vorrangig an finanziellen Überlegungen orientieren. Aber es ist nicht verboten, im Bereich des von der Strafprozessordnung vrgegebenen Rahmens auch mal zu fragen, ob der Aufwand sich wirklich lohnt.
So zum Beispiel in einem geradezu alltäglichen Fall. Der beschäftigt schon lange Kriminalkommissare, Staatsanwälte, Richter – und auch mich.
Die Polizei hatte eine Frau in ziemlich desolatem Zustand nahe eines stadtbekannten Drogenumschlagplatzes kontrolliert und etwas Kokain gefunden. Zuerst wollte sie erst nicht sagen, woher sie die winzige Menge hatte. Nach Belehrung über das schöne Instrument des gesetzlich vorgesehenen Strafrabatts erklärte sie allerdings, sie habe den Stoff von einem Mann bekommen, der sich ab und zu im Milieu sehen lässt. Die Personenbeschreibung passte auf meinen Mandanten. Muss sie aber nicht.
So weit, so gut. Die Frau erzählte das im lockeren Gespräch“ mit den Polizisten, heißt es in den Unterlagen. Aber schon nach wenigen Minuten wollte sie nichts weiter sagen. Sie wehrte sich auch gegen eine förmliche Vernehmung und war auch nicht bereit, irgendwas zu unterschreiben.
Das hinderte die Polizei aber nicht, umfangreich zu ermitteln. Polizisten fragten in der Folgezeit etliche Frauen, mit denen mein Mandant möglicherweise auch Kontakt gehabt haben könnte. Einige kannten ihn sogar. Sie erzählten, mein Mandant sei ein ganz netter Kerl. So ein bürgerlicher Typ, mit normalem Job. Überdies bezahle er ihre Dienstleistungen gut. Etwa mit Drogen? Nein, mit Geld, sagten alle Zeuginnen übereinstimmend. Mit Drogen habe der Betreffende nun wirklich nichts zu tun.
Die zuständige Staatsanwältin hätte die Sache spätestens hier einstellen können. Es gab keine ausreichenden Beweise. Selbst wenn die zuerst kontrollierte Frau – wider Erwarten – meinen Mandanten vor Gericht belastet hätte, wäre das für eine Verurteilung nicht genug gewesen. Aussagen, die mit Blick auf einen Strafrabatt gemacht werden, müssen nämlich immer mit großer Skepsis betrachtet werden.
Insbesondere braucht man – nach Auffassung des Bundesgerichtshofs – bei „Aussage gegen Aussage“ immer weitere Indizien. Die aber lagen gerade nicht vor. Nichts bewies, dass das Kokain von meinem Mandanten stammte. Im Gegenteil. Alle anderen Zeuginnen hatten ja gerade bestätigt, mein Mandant bezahle nicht mit Drogen.
Aber stattdessen erhebt die Staatsanwältin eine Anklage. Es kommt natürlich, wie es kommen muss. Die Zeugin taucht nicht auf. Beim ersten Gerichtstermin nicht, und auch nicht beim zweiten. Zu dem zweiten Versuch war die Polizei sogar losgezogen, um die Frau vorher einzukassieren, damit sie dann zwangsweise vorgeführt werden kann.
Selbst wenn das gelungen wäre, hätte die Ausage, wie schon gesagt, nicht für eine
Verurteilung gereicht. Aber immerhin kam es jetzt zu einer Einstellung des Verfahrens. Und zwar mit Blick darauf, dass die Polizei noch immer damit beschäftigt ist, schier unermüdlich auch die x-te Frau zu ermitteln und zu vernehmen, mit der mein Mandant möglicherweise mal zu tun gehabt haben könnte.
Juristisch ist der Kniff mit der Einstellung zwar fragwürdig. Aber der Betroffene kann sich nicht dagegen wehren, denn ein Beschwerderecht ist in diesem Fall nicht vorgesehen. Immerhin geht die Geschichte nicht in die dritte Runde. Ich bin gespannt, wie viele Zeuginnen die Polizei jetzt noch vernehmen will, statt mal zu überlegen, ob ich sich die erste Frau nicht schlicht und einfach vertan hat. Immerhin, so steht es auch im Polizeibericht, stand sie bei ihrer Vernehmung unter Drogeneinfluss.
An solche Fälle darf man auch ruhig mal denken, wenn lautstark Personalnot und Überlastung beklagt werden.