„Lex Gurlitt“: Einen Schritt zu kurz gedacht

Die Rechtslage im Fall Cornelius Gurlitt muss wirklich veheerend sein – für die Behörden. Indirekt bestätigt jetzt der bayerische Justizminister, was auf der Hand liegt. Sämtliche Fristen für eventuelle Rückgabeansprüche gegenüber Gurlitt sind abgelaufen.

Ein Umstand, von dem auch andere profitieren. Selbst staatliche Museen verweigern öfter die Rückgabe kriminell erworbener Kunstwerke trotz recht eindeutiger Beweislage. Einfach, weil sie hierzu juristisch nicht (mehr) verpflichtet sind.

Nun präsentiert der bayerische Justizminister Winfried Bausback laut Spiegel online seine Idee einer „Lex Gurlitt“.  Er habe einen Gesetzesvorschlag erarbeiten lassen, wonach jemand, der beim Erwerb „bösgläubig“ war, sich nicht auf Verjährung berufen kann. Alles andere, so der Minister, wäre „schwer erträglich“.

Allerdings dürften einige Hürden zu nehmen sein, bevor der Minister sein schlechtes Gefühl loswird. Und das sind keineswegs nur juristische.

Grundsätzlich ist ein rückwirkendes Gesetz auf dem Gebiet des Zivilrechts nicht unzulässig. Das Grundgesetz ordnet ein Rückwirkungsverbot ausdrücklich nur für das Strafrecht an. Allerdings gilt auch für das Zivilrecht das Rechtsstaatsprinzip. Ein Element ist der Wunsch nach Rechtssicherheit. Deshalb gibt es Verjährungs- und Ausschlussfristen für fast alle Sachverhalte. Irgendwann soll mit denkbaren Ansprüchen Schluss sein – unabhängig davon, wie berechtigt die Forderungen im nachhinein wirken mögen.

Losgelöst vom Fall Gurlitt wird man kaum behaupten können, dass sich die maximale Verjährungsfrist für Eigentumsansprüche im Bürgerlichen Gesetzbuch, 30 Jahre, als wahnsinnig unpraktikabel erwiesen hat. Immerhin hat diese Frist auch die letzte große Zivilrechtsreform überlebt, wobei im Detail die Tendenz des Gesetzgebers sogar eher in Richtung Verjährungsverkürzung ging.

Die Frage ist also, ob ein als unerträglich empfundenes Einzelergebnis – so man dies bei Gurlitt wirklich tun will – dazu taugt, eine brauchbare Regelung insgesamt zu kippen. Das Problem bei Gesetzen ist halt, dass sie für eine unbestimmte Zahl von Fällen gelten müssen, deren Verlauf sich im Detail nicht voraussagen lässt. Recht ist eben eine abstrakte Messlatte. Aber immerhin eine, auf deren Maßstab man sich als Bürger vorher einrichten kann. Genau das schafft Rechtssicherheit und schützt uns vor dem Regiment des „gesunden Rechtsempfindens“ und, ja auch, der Willkür von Richtern.

Eins sollte den Bayern ohnehin klar sein. Ein Spezialgesetz, das nur für den Fall Gurlitt gilt, wäre selbst greifbares Unrecht. Spezialgesetze sind aus den soeben dargelegten Gründen verboten. Spätestens das Bundesverfassungsgericht würde so eine Lösung für unwirksam erklären.

Eine derart krass zurückwirkende Regelung wie die Vorgeschlagene müsste also für alle gelten. Auch für die bereits erwähnten staatlichen Museen, die heute mit berechtigtem Hinweis auf eine fehlende Rechtsgrundlage die Herausgabe von Beutekunst ablehnen.

Noch weiter: Auch eine Regelung bloß über Beutekunst wäre mit einiger Sicherheit ein unzulässiges Spezialgesetz. Wenn schon, dann wäre wohl jeder mögliche Erwerb von Sachwerten durch bloßen Zeitablauf hinterfragbar zu machen.

Hier, so finde ich, gewinnt die Idee des bayerischen Justizministers dann doch einen eigenen Charme. Dann müssten sich nämlich auch wieder die heutigen Eigentümer oft ja nicht unerheblicher Sachwerte fragen lassen, wie ihre Vorfahren, insbesondere in der Zeit der NS-Herrschaft, an Betriebe, Häuser, privaten Schmuck, Geld und andere Sachwerte gekommen sind.

Hier wäre mit Sicherheit auch heute noch viel aufzuarbeiten und Gerechtigkeit herzustellen. Uns stünden spannende Jahre bevor, in denen die deutsche Justiz ächzen und so mancher um sein ererbtes Hab und Gut zittern dürfte. Auch wenn alles andere nicht zählt, ist letzteres übrigens der Grund, warum es so ein Gesetz niemals geben wird.