Plötzlich frei

Heute ist einer meiner Mandanten aus der Untersuchungshaft entlassen worden. 22 Monate hat er im Gefängnis geschmort, ohne dass ein Urteil gegen ihn ergangen ist. Mit so einer Haftdauer wird die gesetzliche Unschuldsvermutung offenkundig extrem strapaziert.

Verhandelt wird in der Sache schon seit Herbst 2012, an bis zu drei Tagen in der Woche. Ein Ende des Prozesses ist nicht absehbar. Bislang stehen schon die Gerichtstermine für das komplette Jahr 2014 fest. Ob das reicht, ist mehr als fraglich. Die Weichen sind eher auf ein Urteil im Jahr 2015 gestellt, wenn es so zäh wie bislang weitergeht.

Natürlich freue ich mich, dass mein Mandant endlich raus darf. Die ultraknappe Begründung des Gerichts, mit der die Haftbefehle aufgehoben werden, ist dennoch interessant. Die Untersuchungshaft ist nach Auffassung der Strafkammer „jetzt“ unverhältnismäßig geworden.

Auch wenn das Gericht nach eigenem Bekunden noch immer dringenden Tatverdacht hegt, sei die Straferwartung wegen der angeklagten Taten bei einer Verurteilung nicht so hoch, dass dies die Fortsetzung der Untersuchungshaft rechtfertigen könne.

Absolut richtig! Die Frage ist nur, wieso mein Mandant und sechs weitere Angeklagte trotz Unschuldsvermutung erst 22 Monate sitzen mussten, bis man das bemerkt.

Schon am ersten Prozesstag war klar, das Verfahren wird laaaaange dauern. Kein Wunder, wenn man 26 Leute gleichzeitig auf die Anklagebank setzt (und 52 Anwälte daneben). Und das bei einer vielhundertseitigen Anklage. Diese verliert sich bis in Bagatellvorwürfe – die nun aber alle in zermürbender Kleinarbeit aufgearbeitet werden müssen.

Bekannt war seit Mitte 2013 auch, dass es Termine bis Ende des Jahres 2014 gibt, ja dass die Verhandlung eher darüber hinaus dauern wird. Was, so fragt man sich, hat sich denn nun so plötzlich im Januar 2014 an dieser grundlegenden Perspektive geändert? Außer vielleicht, dass ein Schöffenrichter wegen einer Operation bis zum Monatsende ausfällt und sich die Sache deshalb noch weiter zieht?

Ich rede von jener anfänglichen Perspektive, dass keinem der Angeklagten während einer rechtsstaatlich noch vertretbaren Haftdauer der Prozess gemacht werden kann. Jedenfalls nicht ohne das greifbare Risiko, dass am Ende trotz Verurteilung nur Freiheitsstrafen rauskommen, die deutlich kürzer sind als die verbüßte Untersuchungshaft.

Das alles konnte man schon vor sechs, acht oder sogar zwölf Monaten absehen. Einige der Betroffenen, die von einem Tag auf dem anderen aus ihrem Leben gerissen wurden, stehen durch die unnötig verlängerte Untersuchungshaft nun vor dem Trümmerhaufen ihrer privaten Existenz. Dafür gibt es keine Entschädigung. Egal, wie das Urteil am Ende ausfällt.