Recht und Respekt

Der Strafprozess um die Verantwortlichen des Bankhauses Sal. Oppenheim bot gestern eine Überraschung. Zumindest aus Sicht des zuständigen Staatsanwalts. Dieser fühlte sich von der Entscheidung eines wichtigen Zeugen, die Auskunft zu verweigern, so provoziert, dass er dieses Verhalten im Gerichtssaal als „Unverschämtheit“ titulierte und auch ansonsten kräftig vom Leder zog.

Vor Gericht erschienen war Thomas Middelhoff, Ex-Bertelsmann und Arcandor-Manager. Wenn man von ihm einiges sagen kann, dann dieses: Er steckt derzeit bis über den Hals in Rechtsstreitigkeiten. Er führt Schadensersatzprozesse, er ist auf Schadensersatz verklagt, und auch die Strafjustiz ist an Middelhoff interessiert.

Vor allem letzteres ist natürlich für Middelhoff ein Grund gut zu überlegen, ob er vor Gericht was sagen will. Er entschied sich, dies nicht zu tun. Vor allem, weil der Focus am Wochenende über neue Ermittlungen gegen Middelhoff berichtet hatte. Sagte zumindest Middelhoff.

Das Ganze führt halt nun mal zu einem Auskunftsverweigerungsrecht eines Zeugen. So steht es in der Strafprozessordnung. Was den Staatsanwalt aber nicht daran hinderte, Middelhoff des fehlenden Respekts vor der Justiz zu zeihen und öffentlich sogar über die Notwendigkeit einer „Missbrauchsgebühr“ für vermeintlich renitente Zeugen zu sinnieren.

Da stellt sich in der Tat die Respektfrage – und zwar in Bezug auf den Staatsanwalt. Sein einziges Argument war wohl, dass Middelhoff bis zur Hauptverhandlung eher Bereitschaft für eine Aussage signalisiert hatte. Middelhoffs Sinneswandel, der die Terminsplanung des Gerichts sicher etwas durcheinanderwirbelt, allerdings als „Missbrauch“ zu klassifizieren, offenbart ein fragwürdiges Verständnis zu den prozessualen Rechten eines Zeugen.

Der Staatsanwalt übersieht, dass ein Auskunftsverweigerungsrecht nun mal besteht. Oder eben nicht. Besteht es nicht und beruft sich der Zeuge trotzdem darauf, kann der Staatsanwalt vor Gericht was dagegen unternehmen. Zum Beispiel Zwangsgelder festsetzen oder den Zeugen sogar ins Gefängnis werfen lassen, um ihn zu einer Aussage zu zwingen.

Der Staatsanwalt hat am gestrigen Verhandlungstag aber nichts in die Richtung beantragt. Was die Schlussfolgerung zulässt, dass der Zeuge Middelhoff mit seiner Einschätzung, er müsse nichts sagen und wolle das nun auch nicht, richtig lag. Von Middelhoff zu erwarten und es gar öffentlich zu fordern, dass er aus „Gefälligkeit“ gegenüber dem Gericht dennoch aussagt, dreht Rechte und Pflichten im Strafverfahren komplett um.

Insofern war nicht Middelhoffs Auftritt ein Desaster, sondern der des Anklagevertreters.

Bericht im manager-magazin