„Gemein und daneben“

Gemein und daneben – so bewertet Talkmaster Günther Jauch das Medienecho zum „Geständnis“ von Giovanni di Lorenzo. Der Chefredakteur der Zeit und Buchautor („Auf eine Zigarette mit Helmut Schmidt“) hatte in Jauchs Sendung freimütig erzählt, er habe – dank seiner doppelten Staatsbürgerschaft – zwei Mal für das Europarlament gewählt.

In einem Gastbeitrag für die Bild-Zeitung kritisiert Jauch den Umgang mit di Lorenzo. Jauch:

Menschen fordern di Lorenzos sofortigen Rücktritt als Chefredakteur, vergleichen ihn mit prominenten Steuerhinterziehern oder plädieren ernsthaft dafür, dass er umgehend ins Gefängnis gehöre. Haben wir die Maßstäbe für Schuld oder Unschuld, für Vorsatz oder Fahrlässigkeit, für Wichtiges oder vergleichsweise Nichtiges völlig verloren?

In einem Punkt hat Günther Jauch völlig recht. Es ist maßlos, Lorenzo nun in den Knast zu wünschen. Aber diese Forderungen resultieren halt auch immer aus der Neigung mancher Redaktionen, die Höchststrafe als reale Drohung zu verkaufen.

Auf Wahlfälschung, wegen der gegen di Lorenzo nun der Staatsanwalt ermittelt, stehen bis zu fünf Jahre Haft. Die Betonung liegt allerdings auf bis. Denn die Höchststrafe ist bei uns nicht die Regelstrafe, sondern die Obergrenze des sogenannten Strafrahmens. Und der fängt bei Wahlbetrug mit „Geldstrafe“ an.

Mit ein bisschen Bauchgefühl und einiger Erfahrung als Strafverteidiger meine ich, di Lorenzo droht mit Sicherheit nicht die ewige juristische Verdammnis, die ihm jetzt von manchem in Aussicht gestellt wird.

Er hat die Sache freimütig selbst erzählt. Er hat die Problematik der Doppelwähler damit vehement ins öffentliche Bewusstsein gebracht. Er hat sich sich schnell entschuldigt, und die Demokratie ist durch seine doppelte Stimmabgabe sicher nicht in ihren Grundfesten bedroht.

Bei Letzterem muss man bedenken, dass die Doppelwähler keine homogene Gruppe sind. Sie werden ihre zwei oder mehr Stimmen nicht wesentlich anders abgegeben haben als der Rest der Bevölkerung. Das Wahlergebnis dürfte also nur gering verzerrt werden.

Die Lorenzos mögliches Vergehen ist damit ganz eindeutig im unteren Bereich des Strafrahmens angesiedelt. Über eine Freiheitsstrafe braucht man da gar nicht zu diskutieren. Realistisch wäre eine Geldstrafe. Die läge mit Sicherheit noch unter der Eintragungsgrenze von 90 Tagessätzen (= drei Monatseinkommen), bis zu der sich ein Betroffener auch künftig als nicht vorbestraft bezeichnen kann.

Aber nicht mal so weit muss es kommen. In diesem Bereich kommt auch immer eine Einstellung des Verfahren wegen geringer Schuld in Betracht, sofern Staatsanwaltschaft und Gericht kein zwingendes öffentliches Interesse an der Strafverfolgung erkennen. Wofür es, schon wegen der Ehrlichkeit di Lorenzos, nun gar keine Anhaltspunkte gibt.

Dann würde sich nur die Frage stellen, ob einfach so eingestellt wird, ohne jede Konsequenz. Oder gegen die berühmte Zahlung ans Rote Kreuz.

Das sind die tatsächlichen Perspektiven für den Zeit-Chefredakteur, natürlich neben der kompletten Einstellung seines Verfahrens mangels Tatverdachts. Nämlich dann, wenn die genaue rechtliche Prüfung seine Unschuld ergibt – was ja bei di Lorenzos „Habe ich nicht gewusst“-Argumentation nicht ganz ausgeschlossen ist.