Moralisch degeneriert

Ich habe nichts dagegen, wenn Staatsanwälte im Plädoyer ihre persönliche Meinung und Emotionen einbringen. Das tue ich als Anwalt ja auch. Was ich allerdings gestern in Süddeutschland an einem Amtsgericht erlebte, ist mir schon lange nicht mehr passiert. Ich war echt ziemlich sauer über die Worte des Staatsanwalts, denn in seinem Eifer, sich selbst öffentlichkeitswirksam zu positionieren, verlor der Mann seine eigentliche Aufgabe aus dem Auge.

Der Staatsanwalt beschränkte sich im wesentlichen darauf, meinen Mandanten in den Schmutz zu ziehen. Und zwar mit reinen Werturteilen, von denen „moralisch degeniert“ noch ein eher harmloses ist. Das war schon mehr als die übliche Effekthascherei mit Blick auf die Vertreter der Lokalpresse. So einem Mann, dachte ich schon da, würde ich in einem Unrechtsstaat ungern als Angeklagter gegenübersitzen.

Vor allem dachte ich das auch deswegen, weil die unangenehme Einleitung des Plädoyers nicht in das überging, was normalerweise jeder Staatsanwalt zu liefern verpflichtet ist. Nämlich in eine Darlegung, warum der in der Hauptverhandlung festgestellte Sachverhalt ein Strafgesetz verletzt. Das ist das eigentliche juristisches Handwerk. Aber dafür sah der noch recht junge Ankläger offenbar keine Veranlassung. Vielleicht war er sich auch zu fein dafür.

Dabei hatte er genau dazu allen Grund. Er prangerte in seinem Plädoyer nämlich eine Misshandlung von Schutzbefohlenen an. Dabei handelt es sich um keine Bagatelle – wie man schon der Strafdrohung von bis zu zehn Jahren entnehmen kann. Da sollte man dann doch mal einige Worte darüber verlieren, was das Gesetz mit „quälen“ und „roher Misshandlung“ eigentlich meint. Diese Worte stehen in dem Paragrafen ja nicht ohne Grund.

Im sachlichen Teil meines Plädoyers – es gab ehrlich gesagt noch einen anderen – nahm ich dem Staatsanwalt dann gerne diese Aufgabe ab. Ich erklärte anhand der einschlägigen Gerichtsurteile, was man wirklich machen muss, um jemanden zu quälen oder roh zu misshandeln. Nämlich ganz andere Dinge, als jene, die meinem Mandanten zur Last gelegt wurden.

Tja, und so sah es dann wenig überraschend auch das Schöffengericht. Kurz und knapp wischte der Vorsitzende all die Vorwürfe im Zusammenhang mit dem fraglichen Paragrafen vom Tisch: „Das reicht alles nicht.“

Dass der Staatsanwalt dann wenig später sogar noch den schlechten Verlierer gab und mir gegenüber grußlos abrauschte, war keine Überraschung mehr.