Gras auf dem Tresen

Es kommt, das ist kein Geheimnis, immer mal wieder vor, dass von der Polizei sichergestellte Drogen abhanden kommen. Bei der Polizei. So erzählen meine Mandanten schon mal, dass sie zum Beispiel kurz zuvor sauber abgewogene 80 Gramm Marihuana dabei hatten. Im Sicherstellungsprotokoll tauchen dann aber nur 47 Gramm auf.

Das ist natürlich nichts, worüber man sich als Beschuldigter jetzt groß beschweren würde. Ich kann meine Mandanten jedenfalls immer überzeugen, hier kein Fass aufzumachen. Am Ende kommt ihnen eine geringere Menge ja so oder so zu Gute, und die „ertappten“ Beamten leiten dann ja ohnehin nur ein Verfahren wegen falscher Verdächtigung ein. Ist doch klar, wem am Ende nicht geglaubt wird.

Wer solche Geschichten ins Reich der Legenden verweist, dem kann ich jetzt einen ganz aktuellen Fall erzählen. Einen Fall, bei dem das Verschwinden der Drogen sich jedenfalls nicht abstreiten lässt. Der Fall spielt auf einer Polizeiwache in Nordrhein-Westfalen. Die Beamten der Nachtschicht hatten bei einem Einsatz folgendes sichergestellt:

– 700 Gramm Marihuana in einer Tüte.

– 52 Gramm Marihuana in einer weiteren Tüte.

So steht es jedenfalls in dem ersten Protokoll, das angefertigt wurde. In der Nacht kamen Kriminalbeamte auf die Wache und übernahmen die Asservate von der Schutzpolizei. Dabei dürfte es wohl so gewesen sein, dass die Wachführerin eine Liste erstellt hat und die Drogen dann zur Abholung bereit legte. Und zwar auf ihren Tisch im Wachraum, den nur Polizeibeamte betreten dürfen. Die Wachleiterin beteuert, die Sachen in einen leeren Kopierpapier-Karton geapackt zu haben. Den will sie ohne (!) Deckel im Dienstzimmer abgestellt haben.

Es scheint ein wenig gedauert zu haben, bis die Leute von der Kripo eintrafen. Denn als sie dann mal da waren, fehlte die Tüte mit 52 Gramm Marihuana. Und von den ursprünglich gewogenen 700 Gramm waren nur noch 446 Gramm da. Das allerdings merkten die Kripo-Leute nicht gleich, weil sie die Asservate bei Übernahme nicht überprüften. Stattdessen nahmen sie sie mit in ihr Kommissariat. Erst dort fiel ihnen der „Schwund“ auf und sie schrieben einen wenig schmeichelhaften „Aktenvermerk Marihuana“.

Danach stand der Karton eine ganze Zeit auf dem Tresen des Wachraums. Also dort, wo sich jeder Beamte der betreffenden Schicht vorbei musste und sich nach Belieben bedienen konnte. Wie bei einer Dose Haribo.

Eine Befragung der Polizeibeamten aus der Schicht ist wohl ergebnislos verlaufen. Mehr als eine höfliche Rücksprache dürfte es ohnehin kaum gewesen sein. Jedenfalls wurde noch nicht mal eine Zeugenaussage zu Protokoll genommen. Sondern man hat es bei einem Dreizeiler belassen, wonach bei den Befragungen nichts rausgekommen ist.

Gegen meinen Mandanten wird übriges weiter ermittelt. Der Drogendiebstahl beziehungsweise die Unterschlagung in den eigenen Reihen hat aber, soweit ich das sehen kann, die Staatsanwaltschaft auch nach Monaten noch nicht veranlasst, in dieser Richtung tätig zu werden.