Diskriminierung behinderter Menschen ist auch auf eher subtile Art und Weise möglich. Das zeigt ein Beschluss des Bundesverfassungsgerichts, dessen Bannstrahl nun wahrscheinlich eher unvermittelt einen kleinen Amtsrichter im beschaulichen Bretten trifft.
Ein Rollstuhlfahrer war von einem Auto angefahren worden, als er einen Zebrastreifen überquerte. Das Amtsgericht Bretten kürzte dem Mann das Schmerzensgeld um ein Drittel. Begründung: Der Rollstuhl hatte einen Beckengurt. Wenn der Rollstuhlfahrer den Beckengurt angelegt hätte, wäre er nicht aus dem Rollstuhl gefallen und hätte sich nicht so sehr verletzt.
Allerdings dient so ein Beckengurt nur zur Sicherung, wenn der Rollstuhl mit seinem Besitzer im Auto transportiert wird. Eine Anschnallpflicht außerhalb von Autos gibt es nicht, und viele Rollstühle haben auch gar nicht solche Gurte. Grund genug für das Verfassungsgericht, hier das Amtsgericht der unzulässigen Benachteiligung eines behinderten Menschen zu schelten.
Aus der Begründung:
Das Amtsgericht ist in der angegriffenen Entscheidung aufgrund des bloßen Vorhandenseins eines Beckengurts am Rollstuhl des Beschwerdeführers von höheren Sorgfaltsanforderungen bei der eigenständigen Teilnahme am Straßenverkehr ausgegangen, als sie an Verkehrsteilnehmer ohne Behinderung oder an Verkehrsteilnehmer mit Behinderung gestellt werden, die – erlaubterweise – lediglich einen nicht mit Beckengurt ausgestatteten Rollstuhl eigenständig nutzen.
Dies ist mit dem Benachteiligungsverbot des Art. 3 Abs. 3 Satz 2 GG unvereinbar und erweist sich hier nicht nur als Rechtsanwendungsfehler im Einzelfall, sondern deutet zugleich auf eine generelle Vernachlässigung der Bedeutung des Verbots der Benachteiligung behinderter Menschen für die Beurteilung eines Mitverschuldens und damit auf einen geradezu leichtfertigen Umgang mit grundrechtlich geschützten Positionen hin.
Das Amtsgericht Bretten muss jetzt neu entscheiden (1 BvR 742/16).