Manchmal schaut man besser ins alte Gesetz

Kein Staatsanwalt hat es gern, wenn ihn jemand beim Plädoyer unterbricht. Schon gar nicht, wenn es sich um den garstigen Verteidiger handelt, der ihm schon den ganzen Prozesstag über Verdruss bereitet hat.

Mitunter ist dies jedoch für mich als Verteidiger unumgänglich. Nämlich dann, wenn sich der Vortrag des Anklagevertreters, sagen wir es mal modern, im Postfaktischen bewegt. Das ist momentan ziemlich regelmäßig der Fall, wenn ich Angeklagte verteidige, die wegen eines Verstoßes gegen § 184b StGB angeklagt sind.

So auch gestern wieder. Der Sitzungsvertreter der Staatsanwaltschaft, ein Rechtsreferendar, hielt sich bei seinem Plädoyer an den üblichen Aufbau, wie er in allen Lehrbüchern steht. Im letzten Drittel sagte er erwartungsgemäß den folgenden Satz:

Fraglich ist, wie der Angeklagte zu bestrafen ist. Das Gesetz sieht für den Besitz von Kinderpornografie einen Strafrahmen von bis zu drei Jahren Freiheitsstrafe oder Geldstrafe vor.

Tja, so steht das tatsächlich im Gesetz. Und zwar seitdem die letzte Ergänzungslieferung in den Schönfelder des Rechtsreferendars gelangt ist. Der Schönfelder ist diese berühmte, rot eingeschlagene Gesetzessamlung aus losen Blättern. Sie wird auch „Ziegelstein“ genannt. Vor ein paar Monaten hat der Referendar also brav nach Erhalt der neuesten Ergänzungslieferung viele, viele Blätter ausgetauscht. Somit ist sein Gesetz wieder auf dem neuesten Stand.

Allerdings sollte man schon daran denken, dass der „neuste Stand“ im Strafrecht nicht immer richtige Stand ist. Wir verhandelten einen Fall, in welchem dem Angeklagten Besitz im Jahre 2011 vorgeworfen wurde. Man muss da also nicht fragen, welches Strafgesetz am 24. November 2016 gilt, sondern welches Strafgesetz am 29. April 2011 galt. Und wenn beide Gesetze unterschiedlich sein sollten, muss man prüfen, welches von beiden das mildere Gesetz ist.

Hier lag der Fall einfach. Mit der Gesetzesänderung zum 27. Januar 2015 wurden die Strafen im § 184b deutlich angehoben. Besitz von Kinderpornografie wurde vorher mit maximal zwei Jahren Freiheitsstrafe bestraft. Jetzt sind es drei.

Ohne meine kleine Intervention hätte der Anklagevertreter die Strafe also in einem Strafrahmen gefunden, dessen Spielraum er um ein Drittel überschätzte. Immerhin reagierte der Betreffende recht souverän auf meinem Hinweis – er nahm ihn dankend an. Was aber auch nicht schwierig war, denn ich hatte die unterschiedlichen Gesetzesfassungen schon mal ausgedruckt mitgebracht. Auch der Richter ließ sich ein Exemplar geben. Wobei ich allerdings nicht ergründen konnte, ob er die Gesetzesänderung schon von sich aus im Auge gehabt hatte.

Für den – weitgehend geständigen – Mandanten kam dann ein erfreuliches Ergebnis zustande. Der Anklagevertreter plädierte ersichtlich milde, nämlich auf eine Geldstrafe. Wobei ich weiß, dass dieser Richter in solchen Fällen entsprechend dem Mainstream an den Amtsgerichten eigentlich immer Freiheitsstrafen verhängt, wenn auch auf Bewährung. Aber heute wollte der Richter dann anscheinend nicht päpstlicher sein als der Papst. Er beließ es bei der Geldstrafe.